16
Mit meinen Eltern, Großeltern und älteren Geschwistern
auf dem Schoß meines Vaters, 1932
Blick auf unser Wohnhaus um 1980
17
Meine in Klein Nossin geborenen Eltern lebten mit
uns fünf Geschwistern und den Großeltern mütterli-
cherseits seit 1935 in der Hälfte eines Landarbeiter-
hauses mit zwei Zimmern, Küche, Vorratskeller,
Flur und Speisekammer.
Die Großeltern waren 1859 und 1860 geboren,
meine Eltern 1894 und 1897, meine Geschwister
1920, 1922, 1936 und 1937, ich selbst im Jahre 1930.
Der Flur und die Küche waren mit Ziegelsteinen
gepflastert. Dieser Bereich wurde regelmäßig gefegt
und danach mit feinem Sand ausgestreut, der den
Staub und Schmutz aufnahm. Den Sand gab es in
der Sandkuhle am nahen Lindenberg. Die Familien
In der Familie bis 1944
Familie
Unsere
Land-
arbeiter-
wohnung
18
Bruder Otto und Schwester Katharina, 1930
19
am anderen Ende des Dorfes hatten in ihrer Nähe
dafür den Sandberg an der Schule.
Unter dem Holzfußboden der Speisekammer, in
der Schinken und Wurst hing und auf dem untersten
Bord eines Regals die Grapen, Kochtöpfe und Brat-
pfannen standen, lag der Vorratskeller. Speisekam-
mer und Flur hatten zunächst keine elektrische
Beleuchtung.
Das Zimmer, in dem meine Großeltern und wir
fünf Geschwister in vier Betten schliefen, war gleich-
zeitig auch Wohnzimmer. Die Betten waren reichlich
mit selbst gestreiften Gänsefedern gestopft, Strohsä-
cke dienten als Matratze. Ein Nachttopf war den
Großeltern vorbehalten, ein zweiter uns Kindern.
Auch in kalten und verschneiten Nächten mussten
wir im Notfalle zu unserem etwa 30 Meter vom
Haus entfernten Plumpsklo oder in den warmen
Kuhstall.
In der Mitte des Zimmers stand unter einer mit
bunten kleinen Perlen behangenen Deckenlampe ein
Tisch, von dem stets eine Decke mit langen Fransen
herunterhing. Der aufgemauerte und braun verputz-
te Ofen war von der Küche zu heizen. Vor ihm
befand sich eine selbst gezimmerte und ziegelrot
gestrichene Bank mit bis zu vier Plätzen. So breit wie
die Sitzfläche der Bank waren auch deren Füße aus
einem ausgesägten und nach oben spitzen Dreieck.
Dazu gehörte eine schon gut gebraucht aussehende
Interieur
20
kleine Rutschbank, die hauptsächlich als Sitzplatz
für Kinder leicht und in kleinste Lücken zu verrut-
schen war.
Auf dem Holzfußboden des elterlichen Zimmers
lagen Teppiche. Auf dem Tisch, der so dunkel wie
das Bett gebeizt oder gestrichen war, lag immer eine
braunbeige und mit goldenen Fäden durchwirkte
Decke, und darauf stand vom Herbst ab oft monate-
lang eine Glasschale mit Zierkürbissen. Zwischen
den beiden Fenstern zur Straßenseite hing in einem
dunklen Rahmen ein großer Spiegel, vor dem Mutter
sich oft stehend ihr langes schwarzes Haar kämmte
und danach ihre dicken Zöpfe flocht, die hinten
rund gelegt und mit einer langen Nadel gesteckt
wurden.
Unter dem Spiegel stand ein kleines Schränkchen
und darauf lag ein weißes Häkeldeckchen unter
einer kleinen Glasschale für Mutters Utensilien zur
Haarpflege, für eine Flasche Kölnisch Wasser und
die auch immer vorhandene Schachtel Nivea Creme,
die Bruder Otto Sonntag auch als Haarpomade
nutzte. In dem Schränkchen bewahrte ich einige
Bücher aus dem Nachlass des Gutsinspektors Balzer.
Darunter befand sich auch eine großformatige und
reich bebilderte Prachtausgabe über den Weltkrieg
1914–1918, die ich immer wieder zum Lesen und
Durchsehen nutzte. Meistens lag ich dabei auf dem
Fußboden.
21
Über dem Bett der Eltern hingen zwei größere
Bilder, am Kopfende eines mit einer auf Wolken
schwebenden Engelschar und seitlich ein gesticktes
Bild mit einem in der Abenddämmerung röhrenden
Hirsch in einem langformatigen achteckigen vergol-
deten prächtig breiten Rahmen. An den Wänden des
Wohn-Schlafzimmers für die Großeltern und uns
Kinder hingen die Fotos der drei im Ersten Welt-
krieg gefallenen Brüder meiner Mutter, Otto, Paul
und Albert Mischke und neben dem Ofen ein Ab-
reißkalender mit den täglichen Sinnsprüchen auf der
Rückseite, die an langen Abenden oft von Vater oder
Großvater vorgelesen wurden.
Ein bronziertes Gipsrelief des Kopfes von Adolf
Hitler hing in einem der beiden Zimmer mal hier,
mal dort. Als Pimpf hatte ich es in den vierziger
Jahren als damals begehrenswertes Kunstwerk
entweder selbst erworben oder geschenkt bekom-
men.
Im Zimmer meiner Eltern stand neben dem Ofen
eine Chaiselongue. An der Stirnseite des Ofens gärte
im Winter Vaters Wein aus Roggen, Zucker, Wasser
und Hefe in einem Glasballon von 25 Litern. Er war
mit Stroh ummantelt und stand in einem hohen
Korb aus Weidengeflecht, der ihn vor Stößen und
Kälte schützte. Im gärenden Wein schossen die
Körner zeitweise mit großer Geschwindigkeit um-
her. In einer gekrümmten Glasröhre, die durch den
Wand-
schmuck
Roggen-
wein
Dostları ilə paylaş: |