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Unmittelbar am Hause lag ein halber Morgen
Ackerland, der für Gemüse, Frühkartoffeln, Apfel-,
Pflaumen-, Kirsch- und Birnenbäume sowie Beeren-
sträucher genutzt wurde. Vor der Küche wuchsen
im Sommer der intensiv riechende Dill für den
Gurkensalat und saure Gurken, der Schnittsalat, der
mir damals mit süßer Sahne und ausgelassenem
Speck immer besser als der seltener angepflanzte
Kopfsalat schmeckte, die Tomaten, die mit Zwiebeln,
Salz und Pfeffer aufs Butterbrot kamen und nicht als
Salat angemacht und gegessen wurden, die Stangen-
bohnen, die Schwarzwurzeln und die Pfefferminze
für den Tee. Möhren, Rote Beete, Wirsing-, Rot-,
Weiß- und Blumenkohl, Kohlrabi und Radieschen
waren ebenso versammelt wie Petersiliewurzeln,
Schnittlauch, Schalotten, Sellerie, Porree, Dicke
Bohnen, Kürbis und Erbsen, denn der eigene Garten
musste die Versorgung über das ganze Jahr sicher-
stellen. Aber auch Dahlien, Stiefmütterchen, Astern,
Tagetis und Vergissmeinnicht wuchsen und blühten
im Garten. Unmittelbar vor der Küche und dem
Hauseingang ließ Mutter immer Wicken und Zier-
kürbisse am Staketenzaun ranken.
Bruder Otto wusste noch zu berichten, dass der
Stundenlohn eines Klein Nossiner Landarbeiters vor
Kriegsende sieben Pfennige betrug. Dazu kamen als
Deputat die freie Wohnung nebst Nutzung der
Nebengebäude, ein halber Morgen Ackerland am
Bargeld
und
Deputat
Haus-
garten
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Hause, weitere eineinhalb Morgen Ackerland, zwei
Wiesen, acht Raummeter Holz pro Jahr, vier Tage
zur Torfgewinnung, Stroh für Kuh- und Schweine-
stall, außerdem zwölf Zentner Roggen und vier
Zentner Hafer oder Gerste. Sofern ein zweiter Fami-
lienangehöriger als Gutsarbeiter tätig wurde, erhöh-
ten sich diese Deputate um die Hälfte. Eingeschlos-
sen waren darin eine Kuh- und Gänseweide und die
Gestellung eines Backofens nebst Heizmaterial sowie
täglich ein bis zwei Liter Milch, wenn die Kuh vor
dem Kalben trocken stand.
Trotz wiederholter Recherchen ist es mir nicht
gelungen, in Bibliotheken und Archiven einen hin-
terpommerschen Landarbeitertarif ausfindig zu
machen, der im Detail die Vergütung nach Bargeld,
Deputat und der Zahl der beschäftigten Familienan-
gehörigen regelt.
In der Familie und im Dorf wurde hinterpommer-
sches Platt gesprochen. Der Gutsbesitzer von der
Marwitz wurde mit „Herr Rittmeister“ angeredet,
seine Frau als „Gnädige Frau“. Ob diese Anreden
von allen Gutsarbeitern und deren Angehörigen und
auch von den Bauern verwandt wurden, habe ich
nicht mitbekommen und auch im Nachhinein nicht
in Erfahrung bringen können.
Was bis zum Tage meiner Einschulung im Jahre
1936 an hochdeutscher Sprache an mein Ohr gedrun-
gen ist, vermag ich nicht zu sagen, möglicherweise
Die
Sprache
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Autor dieser ab 1929 in der Zeitung für Ostpommern
erschienenen plattdeutschen Vertellsels war der 1912
geborene Walter Pigorsch aus Vietkow, Kreis Stolp. Den
oben auszugsweise stehenden Nachdruck eines dieser
Vertellsels entdeckte ich mit großer Wiedersehensfreude
im Jahre 2007 im Stolper Heimatblatt, Jahrgang 1963,
Seite 283, nachdem ich bereits im Jahre 2000 in einem
Zeitungsarchiv nach einer Spur dieser Vertellsels irrtüm-
lich in der Stolper Grenz-Zeitung gesucht hatte.
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sind es hochdeutsche Texte der Weihnachts-, Volks-
und Kirchenlieder gewesen. Gegenwärtig ist mir
noch, dass wir zu Beginn der Schulzeit unter uns
acht Erstklässlern – vier Jungen und vier Mädchen –
unbekümmert plattdeutsch gesprochen haben.
Daran ergötzten sich die schon sprachgewandteren
Schüler, deren Rolle wir dann bald selbst einnehmen
sollten.
Mit meinem Opa habe ich in der Tageszeitung
gerne die plattdeutschen Texte „Krischan vertellt“
gelesen. Plattdeutsch wurde auch gesprochen, wenn
die Eltern und Großeltern im Sommer nach Feier-
abend oder an Sonntagen nachmittags zusammensa-
ßen und erzählten. Meistens hatten dann die Männer
das Wort. Sie redeten von ihren Erlebnissen im
Ersten Weltkrieg, vor allem von den Gegenden und
Ländern, die sie dabei kennengelernt hatten. Bei
Frauen und Kindern, die kaum die Dorfgrenze
überschritten, fanden sie damit immer interessierte
Zuhörer. Zu solchen Runden gehörte eine Flasche
Bier, für Frauen und Kinder hin und wieder auch
eine Flasche Malzbier; in größerer sommerlicher und
sonntäglicher Runde beförderte sogar ein vom Fass
gezapftes Bier die Geselligkeit. An eine solche Runde
unter der großen Esche vor unserem Hause mit den
Nachbarn Pallas und Kayser erinnere ich mich noch
in vielen Details.
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Vater als Soldat im Ersten Weltkrieg 1914
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Von Vaters Kriegserlebnissen sind mir seine Erzäh-
lungen von Varna am Schwarzen Meer im Gedächt-
nis geblieben, weniger wegen ihres Inhalts als da-
durch, dass ich Varna im Atlas aufsuchte und mich
später immer daran erinnerte, wenn ich auf eine
Karte mit dem darauf abgebildeten Schwarzen Meer
schaute. Das ist bis auf den heutigen Tag so geblie-
ben. Oft habe ich den Zusammenhang seiner an die
Erwachsenenrunde gerichteten Erzählungen nicht
verstanden, weil er dabei Kenntnisse über Personen,
Zusammenhänge und Ereignisse voraussetzte, die
mir fehlten und die ich mir nicht zusammenreimen
konnte. Fragen und Antworten zum Verständnis gab
es nicht.
Ob Vaters Feldpostkarten und -briefe aufbewahrt
wurden? Ob er während seiner Soldatenzeit hoch-
deutsch sprach oder in einer hinterpommerschen
Einheit auch von nur plattdeutsch sprechenden
Kriegskameraden umgeben war, in der militärische
Befehle auch plattdeutsch erteilt wurden?
Ob Vater auch wie andere Männer im Dorfe priem-
te? Er schnupfte Tabak, den er sich aus einem ver-
schließbaren kleinen Horn auf den linken Handrü-
cken von Zeigefinger und Daumen stieß. Ob er
besonderen Gefallen am Schnupfen hatte oder es tat,
weil es preiswerter und während der Arbeit prakti-
scher war, als Zigaretten zu drehen oder Pfeife zu
stopfen? Vielleicht verboten die Arbeiten während
Tabak
rauchen,
priemen
und
schnup-
fen
Vaters
Erzäh-
lungen
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