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zubereitet und mit etwas Mehl angedickt – nur am
Abend gegessen wurden, vermag ich nicht mehr zu
erinnern. Gewiss kamen mit Milch und Butter ange-
richtete Stampfkartoffeln, in die kleine Gruben für
den ausgelassenen Speck gedrückt waren, nur mit-
tags auf den Tisch. Spiegeleier und frische Butter-
milch gehörten dazu. Ob wir die Stampfkartoffeln
aus der Schüssel oder vom eigenen Teller aßen,
wüsste ich noch gerne.
Zur Diamantenen Hochzeit meiner Großeltern am
18. November 1942 hatte meine Schwester wohl zum
ersten Male einen Braten geräuchert, ihn dann als
Kassler Braten mit Möhren, grünen Bohnen und
Rosenkohl zubereitet und im Zimmer meiner Eltern
aufgetragen. Duft und Geschmack sind wie Gesich-
ter und Lobeshymnen der Gäste, darunter auch
Bürgermeister Artur Grunst und Lehrer Otto Hä-
cker, immer noch in lebhafter Erinnerung.
Sonntag Nachmittag standen zum Kaffee selbstge-
backene Kuchen oder Torten auf dem Tisch. Meine
Schwester konnte besonders abwechslungsreich und
schmackhaft und dekorativ backen, seit sie aus dem
Pastorenhaushalt in Groß Nossin in die Familie
zurückgekehrt war, um unsere an permanenten
Herzbeschwerden leidende Mutter zu entlasten. In
Groß Nossin hatte ich sie einmal besucht und mit
den Kindern der Familie Behling und der Oma
Bielenstein aus Budow Kaffee getrunken. Dazu gab
Kaffee
und
Kuchen
Kassler
Braten
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es mir besonders wohlschmeckendes Gelee von
roten Johannisbeeren.
Morgens und nachmittags wurde Muckefuck,
Kaffee aus gebrannter Gerste und Zichorie getrun-
ken, der als Kaffee Kathreiner im Handel war. Meis-
tens stellten wir diesen Kaffee in der Röstpfanne, die
ich auch mehrmals drehte, selbst her. Die sonntags
für den Kaffee verwendeten Kaffeebohnen wurden
von einem gelegentlichen Hausierer im Rohzustand
erworben, zunächst in Flaschen verkorkt auf dem
Ofen gelagert und dann geröstet. Dadurch ließen
sich auch wieder ein paar Pfennige sparen.
Pfefferminze ernteten die Eltern im Garten. Kamil-
le wurde am Abhang vor dem Hause unter der
Krone der riesigen Esche gepflückt, Lindenblüten
von dem Baum hinter dem Hause, an dem im Som-
mer meine Schaukel hing.
Der alltägliche Rhythmus häuslichen Lebens wur-
de von der Arbeit des Vaters bestimmt. Früh stand
er auf, um das Vieh zu füttern, die Ställe auszumis-
ten, zu melken, die Milch zu zentrifugieren, zu
frühstücken und dann zur Arbeit zu gehen. Zeit für
Gespräche gab es dabei selten, und wenn, dann
galten sie der täglichen Arbeit und der Versorgung
von Mensch und Vieh. Ich meine, mich nur an ein
oder zwei Gespräche erinnern zu können, in denen
der Erwerb einer Siedlerstelle in benachbarten Dör-
fern erörtert wurde. Solche lediglich anfänglichen
Tee
Alltags-
leben
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Überlegungen endeten dann aber schon bei den
ersten einhergehenden Vorstellungen, die vertraute
Nachbarschaft, dörfliche Gemeinschaft und land-
schaftliche Geborgenheit aufzugeben und wiet wech
to trecke.
Eineinhalb Stunden dauerte die Mittagszeit der
Landarbeiter, in der vor allem das eigene Vieh
versorgt werden musste. Wenn während der Ernte-
zeit auch noch die Sensen zu dengeln waren, ge-
schah das auf eigens dafür angefertigten Bänken im
monotonen Hammerschlag gleichzeitig oder etwas
zeitversetzt im Umkreis mehrerer Häuser. Anfang
und Ende der Mittagszeit bestimmten die unüber-
hörbaren Schläge des Hofmeisters gegen ein an einer
Linde angebrachtes altes Pflugschar, das sogenannte
Klappern in der Dorfmitte vor dem Hause des
Gutsinspektors.
Auf dem Gut wurden Männer und junge Frauen
fest beschäftigt. Sobald die Frauen verheiratet waren,
oder wenn sie – wie meine Schwester – in der Fami-
lie Hausarbeit leisteten, wurden sie nur unregelmä-
ßig tätig. Oft waren auch bald nach der Heirat meh-
rere Kinder zu versorgen.
Und wie ein Tag vom Aufstehen bis zum Schlafen-
gehen in den verschiedenen Jahreszeiten für Großel-
tern, Eltern und Geschwister tatsächlich verlief,
haftet auch nicht mehr annähernd deutlich im Ge-
dächtnis. Aber das laute Muhen der Kühe in den
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Ställen und auf den Weiden, die Geräusche beim
Melken und Buttern, das Klacksen der Kuhfladen
auf die Dorfstraße, wenn die Herden von der Weide
oder der Tränke in der Schottow zurückkehrten, das
Schmatzen der Schweine bei der Fütterung, das
„Putt, Putt, Putt“ meines Großvaters beim Füttern
der Hühner, das Läuten der Dorfglocke zum Feier-
abend, zum Sonntag und bei Beerdigungen sind
gegenwärtig wie im Hörspiel.
Wenn die Kuh vor dem Kalben trocken stand,
holten wir Kinder mittags nach Schulschluss die
einem Landarbeiter zustehende Deputatmilch direkt
aus dem Kuhstall oder aus der Gutsküche, in der die
Mamsell zu unserem Erstaunen immer mit ihren
großen Töpfen und anderem Küchengerät hantierte.
Im Kuhstall stand direkt neben dem Eingang links
der mächtige Bulle, der seine Liebesdienste nicht nur
der gutseigenen Herde gewährte, sondern auch
öffentlich und überdies kostenlos den Kühen der
Gutsarbeiter, für einen geringen Preis oder gelegent-
liche Spanndienste wohl auch auf die gleiche Weise
den Kühen der Bauern. Von dem Schweizer wurde
er dabei an einem Nasenring mit einer Stange ge-
führt. Für uns Kinder war es ein interessantes Schau-
spiel, wenn dann auch noch der Bulle mit seinem
langen Zagel zum Sprung ansetzte.
Verwandtschaften und Nachbarschaften verwisch-
ten sich für Kinder auch durch den Besuch der
Milch
holen
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