Von Hinterpommern nach irgendwo …



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noch immer, dass ich trotz Staub und Krach und 
weiterer widriger Umstände nicht wenigstens ein 
paar Stücke dieser mehr als 250 Millionen Jahre alten 
Versteinerungen aus dem Erdzeitalter des Carbon 
und Perm zur Seite geschafft und nach über Tage 
mitgenommen habe.  
Schmunzelnd denke ich immer noch gerne an eine 
Schicht auf der Zeche Rheinelbe. Mit meinem Kum-
pel Walter Widera, er wanderte später nach Kanada 
aus, kam ich direkt aus dem Film High Noon mit 
Gary Cooper zur Nachtschicht um 22 Uhr. Kaum 
hatten wir uns in der Kaue umgezogen, schritten wir 
– wie Gary Cooper mit seinen Pistolen – mit unse-
rem Gezähe (Werkzeug) zur Einfahrt und vom 
Förderturm die Strecke entlang in den Streb, wo wir 
aus dem Toten Mann die wertvollen Eisenstempel 
rauben mussten. Im Streb setzten wir uns gleich zu 
Beginn der Schicht zum Buttern. Uns beaufsichtigte 
ein neuer Steiger, mit dem wir uns noch nicht ange-
freundet hatten. Wir hatten schon bemerkt, dass an 
diesem Tage wieder ein Überdruck auf den Ei-
senstempeln lastete, die wir herauszuschlagen und 
mit einem Flaschenzug zu bergen hatten. Zu einem 
explosionsartigen Absatz des gesamten Berges, des 
Hangenden, kam es dann, wenn man mit dem 
Fäustel gegen einen Hering der Stempel schlug, die 
das Hangende vor dem Einbruch sicherten. Manch-
mal genügte es schon, einen unter Überdruck des 
Wie Gary 
Cooper 
einge-
fahren 


162 
Berges stehenden Eisenstempel mit der Panne 
(Schaufel) zu berühren, um den fürchterlichen Knall 
auszulösen. Wir wollten nun die Bergfestigkeit 
unseres Steigers prüfen und butterten so lange, bis er 
kam und uns zum Arbeitsbeginn drängte. Ein verab-
redeter kleiner Schlag gegen einen Stempel löste 
dann das erhoffte Donnergetöse aus und vertrieb 
unseren sehr ruhig gewordenen Steiger. Er störte 
uns danach nicht mehr beim Buttern.  
Heiligabend 1949 habe ich unter Tage verbracht. 
Wir fuhren mit einem erfahrenen Steiger lediglich zu 
gemeinsamen Kontrollgängen mit einigen Kumpeln 
auf der Zeche Alma ein. Als sich zeigte, dass alles in 
Ordnung war und wir keine Arbeiten zu verrichten 
hatten, hängte der Steiger unsere Grubenlampen in 
einem Dreieck auf, sodass die Illusion eines brennen-
den Weihnachtsbaumes entstand, unter dem es sich 
gut buttern und erzählen ließ. Wo wir saßen, war es 
warm, und über uns war die Strecke durch Stahlträ-
ger gesichert. Es war eine eindrucksvolle Stille 
Nacht.  
Den Pütt habe ich eines Tages spontan verlassen, 
als ich am Ausbau einer Strecke beteiligt war und 
mir beim Beladen eines Hundes – einer Lore – meine 
schwere Grubenlampe aufs Kreuz gefallen war. Sie 
hatte auf einem Luftschlauch über mir gehangen, auf 
den ich versehentlich einen schweren Stein hochge-
wuchtet hatte. Bei furchtbaren Schmerzen konnte ich 
Heilig-
abend 
unter 
Tage 
Nun 
reichte es 


163 
kaum atmen und nicht schreien und fühlte mich 
blitzartig der gleichen Lebensangst ausgesetzt wie 
beim Sturz von einer Schaukel auf die spitz hervor-
stehende Wurzel einer Linde in meiner Kindheit. 
Vor dem Förderturm und der Ausfahrt wurde ich 
von Sanitätern in Empfang genommen und bin nie 
wieder in eine Grube eingefahren.  
Irgendwann zog ich in die Schwanenstraße 3. Hier 
hatte ich von einem pensionierten Bergmann im Hof 
seines Hauses ein Zimmer mit einem Kohleherd der 
Marke Küppersbusch und konnte immerhin ein 
eigenständigeres Leben führen.  
Später zog ich in ein schon recht komfortabel 
möbliertes Zimmer bei einer jüngeren Kriegerwitwe 
in der Klosterstraße in unmittelbare Nähe des alten 
Polizeipräsidiums. In der Klosterschänke gegenüber 
trank ich abends gerne ein „Pilsken“ und traf hier oft 
auf Jürgen von Manger, den mir aus manchen Rollen 
an den Städtischen Bühnen vertrauten Schauspieler 
und späteren Blödelbarden Tegtmeyer.  
Von beiden Wohnplätzen aus waren die Städti-
schen Bühnen, das Hans-Sachs-Haus als Konzert-
haus, das Grillogymnasium als Veranstaltungsort 
der Volkshochschule, Buchhandlungen, das Postamt, 
das schöne Restaurant des im Kriege unversehrt 
gebliebenen Jugendstilbahnhofs und der Stadtpark 
zu Fuß in wenigen Minuten erreichbar. Ich lebte im 
Zentrum einer großen Stadt.  
Wohnen in 
Gelsen-
kirchen 


164 
Mit meinem erstern maßgeschneideten Anzug  
um 1950/51
 


165 
Wenn ich Frühschicht oder Nachtschicht hatte, war 
ich regelmäßig in der Volkshochschule, fand beson-
deren Gefallen an dem großen Zeitungslesesaal des 
englischen Kulturinstituts „Brücke der Nationen“ 
und an der Stadtbücherei, deren Leiter ich in den 
Veranstaltungen der Volkshochschule kennengelernt 
hatte. In mehreren Kursen zur bildenden Kunst 
lernte ich auch den städtischen Kunstwart Bernd 
Lasch kennen. Nach den Veranstaltungen wanderten 
wir noch häufig plaudernd durch die Straßen oder 
saßen noch zusammen und tranken ein Bier. Er lud 
mich später ein, mit ihm zusammen im Heimatmu-
seum Ausstellungen aufzubauen und an Eröffnun-
gen teilzunehmen.  
Persönliche und politische  
Orientierung in der Großstadt 
Volkshoch-
schule und 
Reform-
haus 


166 
Ich war auch stetiger Kunde des Reformhauses in 
der nahe gelegenen Bahnhofstraße, ab Frühjahr 1950 
Vegetarier. Unter Tage war ich für meine Kumpel 
dadurch zum Nussknacker oder Eichhörnchen 
geworden, weil ich beim Buttern nun anstelle von 
Butterbrot meistens Studentenfutter aß.  
Diese vom ersten Tage ab einsetzende Zuwendung 
zu den Bildungsangeboten der Volkshochschule und 
zur Lebensform war keine originäre eigene Entschei-
dung. Zu verdanken habe ich sie Heinrich Scharn-
berg, den ich 1948 bei Wanderungen über den Höh-
beck kennengelernt hatte. Zu Beginn der zwanziger 
Jahre hatte er hier mit anderen Lebensreformern 
gesiedelt. Er bewirtschaftete auf der Schweden-
schanze eine Obstplantage und lebte mit seiner 
Familie vegetarisch. Zu den Siedlern gehörte auch 
Karl Voelkel, der Besitzer der Mosterei in Pevestorf, 
in der ich eine Zeit lang gearbeitet hatte.  
Hein nahm sich stets Zeit für ein Gespräch und um 
mir aus seiner Bücherkiste auch die Titel zu suchen 
und mitzugeben, die sich auf Fragen der Jugendbe-
wegung der zwanziger Jahre und der Lebensreform 
erstreckten. Er war 1921 Teilnehmer des ersten 
Lehrgangs der ersten deutschen Heimvolkshoch-
schule Dreißigacker bei Meiningen gewesen und 
schilderte dessen Bedeutung für seine persönliche 
Entwicklung wiederholt so überzeugend, dass ich 
schließlich auch schon in Gartow eine Veranstaltung 
Motive 


167 
zur Sternenkunde der Volkshochschule besuchte. 
Nachdem ich ihm meine Absicht bekundet hatte, 
wie bereits viele andere aus der Region in den Berg-
bau zu wechseln, empfahl er mir, doch nach Gelsen-
kirchen wegen der dort bestehenden hervorragen-
den Volkshochschule überzusiedeln. Diese Informa-
tion hatte er von seinem ehemaligen Mitschüler aus 
Dreißigacker, Heiner Lotze, der jetzt Referatsleiter 
für Erwachsenenbildung im Niedersächsischen 
Kultusministerium war.  
 
Über Ankündigungen in einer vegetarischen 
Zeitschrift und einen Aushang im Reformhaus stieß 
ich eines Tages zur Theosophischen Gesellschaft. An 
deren Studienzyklen habe ich mehrere Jahre teilge-
nommen, bis die beiden Leiterinnen, die Realschul-
lehrerinnen Herter und Linné, nach ihrer Pensionie-
rung nach Bad Liebenzell übersiedelten. Die Mitar-
beit und Mitgliedschaft in diesem Kreis war eine 
Zeit vielfältiger Anregungen für religiöse und philo-
sophische Themen. Indische Literatur sowie der 
Buddhismus in seiner ganzen Vielfalt und kulturel-
len Gestalt übten eine geradezu unwiderstehliche 
Faszination auf mich aus. Ich malte mir aus, eines 
Tages nach Indien oder Tibet zu reisen und nicht 
wiederzukehren, so verbunden fühlte ich mich der 
dort vorhandenen Religion, der fernöstlichen Geis-
teswelt in Philosophie, Architektur und bildender 
Kunst.  
In der 
Theoso-
phischen 
Gesell-
schaft 


168 
Einer Einladung der theosophischen Partnergesell-
schaft in den Niederlanden verdankte ich meine 
erste Auslandsreise. Ich lernte gepflegte bürgerliche 
Haushalte kennen, war beeindruckt von dem allge-
meinen Wohlstand des Landes und genoss die 
Gastfreundschaft der niederländischen Theosophen 
in Den Haag, Amsterdam, Rotterdam und Utrecht. 
Im Völkerkundlichen Museum in Leiden verhalfen 
mir die spendablen Gastgeber zu einem unvergess-
lich eindrucksvollen Erlebnis, als ich plötzlich allein 
in dem Tempel meditierender Buddhas stand.  
Der Theosophischen Gesellschaft gehörte auch 
Edith Ott an, die Ehefrau des Bassisten Emil Ott im 
Gelsenkirchener Symphonieorchester. Nachdem ich 
schon Abonnent der städtischen Bühnen war, wurde 
ich durch das Ehepaar Ott mit vielen Musikern des 
Orchesters persönlich bekannt, wenn wir nach den 
Konzertabenden im Hans-Sachs-Haus oder in einem 
altdeutschen Restaurant, der Kanne oder Kupferkan-
ne in der Annenstraße, noch zusammensaßen. Mit 
Alfred Kolmsee, den ich während eines Konzertbe-
suches im Hans-Sachs-Haus kennenlernte, wurde ich 
ein guter Kunde einer Gelsenkirchener Buchhand-
lung, in der ich den ersten großen Brockhaus im 
Abonnement erwarb. Wir kauften beide ebenfalls 
viele antiquarische Bücher.  
Der Gelsenkirchener Stadtpark, der Schlosspark in 
Buer und der Baldeneyer See in Essen waren damals 
Freizeit-
leben 


169 
beliebte Ausflugsziele. Im Sommer hielt ich mich 
stundenlang in Schwimmbädern der Stadt und auf 
einem Zechengelände auf und machte intensive 
Tauchübungen und Sprünge von allen Brettern bis 
zu zehn Metern Höhe.  
Ich lebte gerne in Gelsenkirchen. Während dieser 
Jahre ging ich regelmäßig zu Tanztees und Tanz-
abenden. Von der ersten Nachkriegszeit verabschie-
dete ich mich mit einem schwarzen Maßanzug, den 
ich bei einem Gelsenkirchener Schneider anfertigen 
ließ und erstand im Westfalenkaufhaus fast zeit-
gleich einen Mantel und Hut. Wahre Errungenschaf-
ten nach den Notjahren der Nachkriegszeit. 
Die Schlager der vierziger und fünfziger Jahre mit 
ihren süßlich anheimelnden, kitschigen Texten und 
Melodien bereiteten mir damals durchaus großes 
Vergnügen. Die einzelnen Tanzschritte, Tanzabende, 
Lokale und vor allem die Partnerinnen sind mir 
noch gut in Erinnerung.  
1954 wurde ich Mitglied einer Loge des Freimau-
rerordens Le Droit Humain in Dortmund, deren 
Meister vom Stuhl Heinz Lange aus Dortmund-
Aplerbeck war. Es handelte sich um eine gemischte 
Loge für Männer und Frauen. In der Familie Gudrun 
und Heinz Lange war ich schon Jahre vorher an 
vielen Wochenenden zu Gast. Die 1952 von ägypti-
schen Offizieren erzwungene Abdankung König 
Faruks von Ägypten ist eines der historischen Ereig-
Frei-
maurerei 


170 
nisse, die aus den Gesprächen dieser Wochenenden 
ihren Erinnerungswert behaupten. Das andere ist die 
von der deutschen Fußballnationalmannschaft im 
Jahre 1954 errungene Weltmeisterschaft. Die Jubel-
schreie hörte ich im Radio eines Cafes während eines 
sonntäglichen Spazierganges im Stadtpark.  
Nach 1949 löste ich mich auch allmählich aus der 
Ideen-, Personen- und Symbolwelt des Nationalsozi-
alismus, die mich doch entscheidend geprägt hatte. 
Die im Radio bis zum 23. Mai 1945 in Schleswig 
gehörten Berichte über die NS-Verbrechen in den 
Konzentrationslagern wirkten zwar erschütternd, 
andererseits wehrte ich mich aber dagegen, solche 
Nachrichten von den Siegermächten als objektiv zu 
akzeptieren.  
Diese passive Haltung gegenüber allen Bemühun-
gen von alliierter, später auch von deutscher Seite, 
über die Verbrechen des NS-Systems aufzuklären 
und dessen prominenteste Vertreter im Nürnberger 
Prozess von den Siegern abzuurteilen und durch 
Hängen zum Tode zu befördern, haben konsequen-
tes politisches Nachdenken bei mir bis gegen Ende 
der vierziger Jahre nicht ausgelöst. Dafür gab es 
weder bei Gesprächen während der Flucht Anlass, 
noch Impulse durch die nach dem Kriegsende ein-
setzenden persönlichen Orientierungsversuche, die 
bäuerlichen Arbeitsverhältnisse und Lebensgemein-
schaften. Ob beispielsweise ein Radio auf den Bau-
Allgemeine 
politische 
Umorien-
tierung 


171 
ernhöfen überhaupt existierte oder mitgehört wer-
den konnte, erinnere ich nicht.  
Eine Zeitung habe ich regelmäßig erst seit Beginn 
meiner bergmännischen Tätigkeit lesen können. 
Ganz sicher haben aber auch die Gräueltaten sowje-
tischer Truppen in Deutschland, Berichte über das 
Kriegsende in meinem Heimatdorf und die Umstän-
de der polnischen Besiedlung der Ostgebiete sowie 
der Vertreibung und das Schicksal eigener Familien-
angehöriger eine kritische Auseinandersetzung mit 
dem Nationalsozialismus in dieser Lebensphase 
blockiert.  
Im Herbst 1948 war ich aber bereits Mitglied der 
Gewerkschaft Gartenbau, Landwirtschaft und Fors-
ten geworden, nachdem ein Landwirt in Meetschow 
– heute ein Ortsteil der Gemeinde Gartow – mich 
hinauswarf, weil ich ihn um eine Lohnerhöhung von 
45 Mark auf die monatlich üblichen 60 Mark gebeten 
hatte. Nur sehr schemenhaft erinnere ich mich noch 
eines gewerkschaftlichen Lehrganges in Brackwede, 
der wohl über gewerkschaftliche Aufgaben und 
Arbeitsweisen informierte. 
Ein Verständnis für Interessenvertretungen, Kolle-
gialität, politisches Denken und Engagement vermit-
telten mir indes anschaulich die Aktivitäten des 
Betriebsratsvorsitzenden der Zeche Alma und des 
örtlichen DGB-Vorsitzenden. Der Erstere ein Kom-
munist, der andere ein Sozialdemokrat. Ihre aktive 
Gewerk-
schaftliche 
Erfahrun-
gen 


172 
Rolle im betrieblichen, politischen und kulturellen 
Leben der Stadt prägten auch mein späteres politi-
sches und kulturelles Verhalten in beruflichen und 
politischen Arbeitsfeldern. 
Die Lektüre in- und ausländischer Zeitungen in 
einem Zeitungslesesaal der Gelsenkirchener „Brücke 
der Nationen“ hatte mein Interesse für Zeitgeschich-
te und politische Themen ebenso geweckt wie Kurse 
zu sozialgeschichtlichen, arbeitsrechtlichen und 
ökonomischen Themen, die Dozenten der Sozialaka-
demie Dortmund in der Volkshochschule Gelsenkir-
chen anboten. Dadurch erlangte Kenntnisse und 
Überzeugungen sowie meine beruflichen Erfahrun-
gen führten schließlich zu einem gewandelten politi-
schen Selbstverständnis, in dessen Zentrum Ideolo-
gieferne, Meinungsvielfalt und eigenverantwortli-
ches Denken und Handeln standen.  
Obgleich ich schon unmittelbar nach Kriegsende 
zu meiner großen Überraschung feststellte, wie 
wenig konkrete Erinnerungen an meinen Vater sich 
bei mir einstellten, vermisste ich ihn jetzt als lebhaf-
ten Gesprächspartner für politische Ereignisse und 
Probleme.  
Im Radio verfolgte ich viele Bundestagsdebatten 
ebenso interessiert wie seinerzeit die aufputschen-
den Reden Adolf Hitlers und seines Propagandami-
nisters Goebbels. Meine besondere Aufmerksamkeit 
galt den Kultusministern der Länder und der Bil-
Brücke der  
Nationen, 
Volkshoch-
schule und 
Radio 


173 
dungspolitik. Keine Ministerin, kein Minister, die ich 
nicht mit Namen kannte. Bildung und Kulturpolitik 
hatte in dieser Nachkriegsperiode einen hohen Rang. 
Mit der Überzeugung, die Repräsentanten ihrer 
Bildungspolitik in den Ländern seien auch der 
Inbegriff sozialdemokratischer Gesellschaftspolitik, 
trat ich im Jahr 1955 in die SPD ein.  
Trotz vielfältiger kultureller Interessen für Musik, 
Theater, Bildende Kunst, Literatur, Religion und der 
Ansammlung zahlreicher Teilnahmebescheinigun-
gen der Volkshochschule war ich 1954 aber immer 
noch ohne eine berufliche Qualifikation.  
Zu dieser Zeit lernte ich einen deutschstämmigen 
schwedischen Studenten kennen, der mich auf der 
Straße um eine Auskunft bat und mir im Laufe des 
Gespräches und weiterer Kontakte ausführlich 
schilderte, dass er sein Studium aus dem hohen 
Verdienst einer zeitweiligen Arbeit als Holzfäller 
finanziere und diese Möglichkeit auch Ausländern 
in Schweden bei entsprechendem Einreisevisum 
offen stände.  
Nach längerer Überlegung bat ich daraufhin das 
schwedische Generalkonsulat um ein einjähriges 
Einreisevisum für diesen Zweck. Während eine 
Antwort längere Zeit auf sich warten ließ, erhielt ich 
Kenntnis davon, dass es in Wilhelmshaven-
Rüstersiel eine Hochschule für Arbeit, Wirtschaft 
und Politik gäbe, an deren Propädeutikum man mit 
Weiter-
bildungs-
bilanz 


174 
einer Berufsausbildung nach einer bestandenen 
Aufnahmeprüfung gelangen könne.  
Da ich über die geforderte Qualifikation einer 
abgeschlossenen Berufsausbildung nicht verfügte, 
zögerte ich mit meiner Bewerbung, ließ den nächsten 
Bewerbungstermin verstreichen und bewarb mich 
dann aber doch noch per Eilbrief. Nach meiner 
Tätigkeit im Bergbau, einer Glashütte und als Mau-
rer in der Herdfabrik Küppersbusch befand ich mich 
zu dieser Zeit in der Drahtzieherei Grillo-Funke in 
Gelsenkirchen-Schalke.  
Im Juni 1955 bestand ich dann mit zwölf von 
insgesamt 78 Bewerbern diese Aufnahmeprüfung 
und wurde im Oktober immatrikuliert.  
Wilhelms-
haven-
Rüstersiel  


175 
Mit dem zum Wintersemester 1955 beginnenden 
Besuch des Propädeutikums an der Hochschule für 
Sozialwissenschaften (HfS) in Wilhelmshaven und 
dem ab 1957 anschließenden Studium an der Hoch-
schule für Wirtschaft und Politik (HWP) in Ham-
burg mit dem Abschluss als Diplom-Betriebswirt 
begann eine neue Lebensphase. Diese das spätere 
Leben prägenden Jahre behaupten mit der anschlie-
ßenden 33-jährigen Tätigkeit  im Bereich der Volks-
hochschulen Niedersachsens dennoch keinen so 
nachhaltigen Platz wie die bis 1945 in Pommern ver-
lebte Kindheit, die Flucht aus Hinterpommern und 
die danach überwiegend im niedersächsischen 
Studienzeit und Beruf 1955 bis 1993 


176 
Wendland und im Ruhrgebiet verlebte Nachkriegs-
zeit bis 1955. 
 Zur Finanzierung während des Studiums und in 
den Semesterferien ausgeübte Jobs als Busschaffner, 
Brauereiarbeiter, Hafenarbeiter, Gartenarbeiter, Ma-
ler, Teppichklopfer und wissenschaftlicher Hilfsar-
beiter trugen zu weiteren sozialen Erfahrungen bei. 
Sie stellten sich aber auch noch zusätzlich im organi-
sationspolitischen Feld der aktiven Betätigung in 
einer Gewerkschaftlichen Studentengruppe (GSG) 
und im Sozialistischen Deutschen Studentenbund 
(SDS) ein und erwiesen sich danach als sehr vorteil-
haft für die Tätigkeit als Dozent für politische Bil-
dung und Lehrgangsleiter für Seminare mit deut-
schen und niederländischen Jugendlichen und Er-
wachsenen vieler Berufe und verschiedener Schul-
gattungen an der Deutsch-Niederländischen Heim-
volkshochschule in Aurich von 1960 bis 1962. Ich 
profitierte davon auch als Leiter Volkshochschule 
für die Stadt und den Kreis Leer von 1962 bis 1970 
und als Direktor des Landesverbandes der Volks-
hochschulen Niedersachsens bis 1993. 


177 
Abkürzungen 
 
DDR   –   Deutsche Demokratische Republik 
DGB  
–   Deutscher Gewerkschaftsbund 
GSG  
–   Gewerkschaftliche Studentengruppe 
HfS 
–  Hochschule für Sozialwissenschaften 
HJ  
–   Hitlerjugend 
HWP   –   Hochschule für Wirtschaft und Politik 
LBA  
–   Lehrerbildungsanstalt 
NSKK   –   Nationalsozialistischer Kraftfahrerkorps 
NVHS   –   Niedersächsische Volkshochschule 
OT  
–   Organisation Todt 
SA  
–   Sturmabteilung (der NSDAP) 
SBZ  
–   Sowjetische Besatzungszone 
SDS  
–   Sozialistischer Deutscher Studenten-
bund 
SPD  
–   Sozialdemokratische Partei Deutschland 
VHS  
–   Volkshochschule 


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