- 13 -
7.
Theoretisches Modell „Wert der parlamentarischen Arbeit“
Um die komplexe Fragestellung nach dem Wert der parlamentarischen Arbeit zu
strukturieren, haben wir ein Modell erstellt, das uns eine gesamtheitliche Sicht der
für die Bewertung der parlamentarischen Arbeit relevanten Faktoren ermöglicht.
Es handelt sich hierbei um ein theoretisches Modell, dessen Elemente nicht mit
den reellen Variablengrössen verwechselt werden dürfen.
Das Modell zeigt die Interdependenzen zwischen Erwartungen (Normen),
Aufwand, Leistung, Vergütung und Marktwert auf.
Das Modell hilft uns, den empirischen Teil unserer Studie (Umfrage, Inter-
views, Datenanalyse) zu organisieren.
Darüber hinaus können wir aus dem Modell aber auch einige Postulate
über die Optimierung der Parlamentsarbeit ableiten.
Ausgangspunkt des Modells
Der Begriff „Wert“ ist mehrdeutig. Wer ihn verwendet, bezieht sich auf eine von fünf
Grössen, die wir per Analogie in Bezug auf ein ökonomisches Gut (zum Beispiel
eine Dienstleistung) darstellen. Der „Wert“ eines Gutes kann in diesem Fall folgen-
des bedeuten:
die Gesamtkosten (Herstellungskosten), welche die Produktion und der
Vertrieb des Gutes verursacht haben
den Betrag, den ein Käufer zu bezahlen bereit ist
den Preis des Gutes
den Nutzen, den das Gut dem Verbraucher erbringt (Gebrauchswert)
den Wert, den die für die Produktion des Gutes verwendeten Faktoren (Ar-
beit, Kapital) in der Herstellung eines anderen Gutes schaffen könnten
Auch die parlamentarische Arbeit ist ein ökonomisches Gut und kann unter den-
selben Gesichtspunkten betrachtet werden. Der „Wert“ misst sich hierbei an:
1. den Erwartungen, die an die parlamentarische Arbeit gerichtet werden
2. der Vergütung, welche die Ratsmitglieder erhalten
3. am Aufwand (Zeit, Ausgaben), den das Parlamentsmitglied für seine Auf-
gabe investiert
4. der Leistung (Output) der Ratsmitglieder, individuell und kollektiv
5. den Opportunitätskosten der parlamentarischen Arbeit, d.h. der Vergü-
tung, die ein Parlamentsmitglied an einer anderen Arbeitsstelle, und insbe-
sondere in seinem angestammten Beruf erhalten würde
Detaillierte Beschreibung des Modells
(Die Buchstaben B1, B2, etc beziehen sich auf die ausführliche Version des Mo-
dells in der Beilage und auf die darauf folgende Variante der kollektiven Sicht.)
Die grafische Darstellung des Modells zur Werterfassung präsentiert sich wie folgt:
- 14 -
A Erwartung
Erwartung des Volkes an das Parla-
ment und das Parlamentsmitglied
B Vergütung
Worüber verfügt das Parlamentsmit-
glied; Entschädigung
C Aufwand
Zeitaufwand
Ausgaben
D Produkt, Output
Was produzieren Parlament und Par-
lamentsmitglieder
E Opportunitätskosten
Alternativlohn
Aktuelles Einkommen im Hauptberuf
„Kundenerwartung“
„Preis“
„Herstellungskosten“
„Leistung“
„Wert auf dem Markt“
Wert der Parlamentarischen Arbeit
Erwartung
A. Unter den Erwartungen, die an die parlamentarische Arbeit gerichtet werden,
fassen wir alle Verfassungsnormen, Gesetze, formelle Normen und informellen
Erwartungen zusammen, welche die Arbeit des Parlaments und diejenige des ein-
zelnen Parlamentariers bestimmen. Wir schliessen die Erwartungen der Wähler-
schaft ein, wie auch das Selbstverständnis, welches das Parlamentsmitglied von
seiner eigenen Arbeit hat.
Zu den Erwartungen zählen wir insbesondere:
Die Aufgaben des Parlaments gemäss Verfassung und Gesetzen;
Der Leistungsauftrag der Parlamentsmitglieder (respektive die Absenz ei-
nes klar definierten Leistungsauftrages);
Das Rekrutierungsprinzip der Ratsmitglieder (Wer bewirbt sich aufgrund
des Status, der Anforderungen und der Vergütung um das Amt?)
und die
effektiven Kriterien, die für die Wiederwahl ausschlaggebend sind;
Das Verhältnis zwischen Repräsentations- und Produktionsfunktion der
Ratsmitglieder;
- 15 -
Die politischen Dilemmata bezüglich Unabhängigkeit/ Interessenvertretung,
Spezialisierung / Generalistentum, etc.;
Zur Anwendung gelangende Entschädigungsprinzipien.
Die Erwartungen an die Arbeit des Parlamentsmitgliedes sollten die Grundlage für
die Vergütung darstellen, und den betriebenen Aufwand sowie den Output (die
Leistung des Parlamentsmitgliedes) bestimmen.
Vergütung
B. Zur Vergütung der Parlamentsarbeit zählen wir einerseits alle Komponenten
der Entschädigung (B1), abzüglich der Abgaben, die das Ratsmitglied an seine
Fraktion oder Partei leisten muss (B5). Andererseits müssen wir aber auch den
indirekten Nutzen (B3) berücksichtigen, sei er nun materiell oder immateriell, den
ein Parlamentsmitglied aus seiner Arbeit und aus seinem Status zieht. Eventuell
verfügt das Ratsmitglied auch über externe Finanzierungsquellen für seine Arbeit
(B2).
Falls die Summe dieser Vergütungen für die Parlamentsarbeit geringer ist als die
Erwartungen, die an sie gestellt werden, oder falls sie kleiner ist als der Aufwand
der Parlamentsmitglieder, entsteht Unzufriedenheit (B4), die wir empirisch messen
können.
Aufwand
C. Zum Aufwand gehören die Zeit, welche das Parlamentsmitglied in seine Arbeit
investiert (C1), wobei gemäss dem Anforderungsniveau zwischen verschiedenen
Ansätzen unterschieden werden sollte. Andererseits sind die im Zusammenhang
mit seinem Mandat entstehenden Ausgaben zum Aufwand zu rechnen. Diese Aus-
gaben können offiziell vorgesehen (C2) oder einfach de facto existent (C3) sein,
z.B. für ein Büro, eventuellen Support in Form von Infrastruktur und Assistenz
durch eine Hilfskraft oder eine Organisation.
Nicht jeder Aufwand muss jedoch als für die Ausübung des Mandates notwendig
betrachtet werden. Dies ist im Falle einer ineffizienten Arbeitsweise des Parlamen-
tes als Ganzes oder eines individuellen Parlamentsmitgliedes der Fall. Je nach
Anreizsystem könnte ein Parlamentsmitglied auch zu unnötiger Arbeit verleitet
werden („Überaktivität“, „Absitzen von Sitzungen“, „Leere Betriebsamkeit“
5
). Diese
Elemente haben wir im Punkt C4 dargestellt.
Leistung
D. Das Resultat der parlamentarischen Arbeit, der Output, d.h. die Leistung, ent-
steht durch den mehr oder weniger effizienten und effektiven Gebrauch der einge-
setzten Ressourcen. Um diesen Output zu bewerten, sollte er messbar sein, quan-
titativ und qualitativ. Dieses prinzipielle Erfordernis besteht unabhängig der
Schwierigkeit, geeignete Bewertungskriterien und Messinstrumente für die parla-
mentarische Arbeit zu definieren. Die Leistung muss im Übrigen nicht nur individu-
ell für das Ratsmitglied (D1), sondern vor allem auch für das Parlament als Ganzes
berücksichtigt werden (D2).
Opportunitätskosten
E. Die Opportunitätskosten der parlamentarischen Arbeit berechnen sich in un-
serem Verständnis auf der Grundlage des Alternativlohns eines Ratsmitgliedes im
angestammten Beruf (E1) oder mit Hilfe des auf ein Vollzeitpensum hochgerech-
neten Einkommens aus dem nicht-parlamentarischen Haupterwerb (E2).
5
Frischknecht, Ernst: „In drei Minuten ein Experte. Anmerkungen zum Thema Parlament und Information“ in
Parlamentsdienste (Hg.): „Das Parlament, "Oberste Gewalt des Bundes" ?“, Bern, Haupt, 1991.