Leitmotive im 20



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TEIL A



Das Subjekt im Kontext von Körper, Maschine und Tod

„Man kann vom Körper nicht loskommen.“

(Max Horkheimer/Theodor W. Adorno)
2. Körpervorstellungen
2.1 Zur Geschichte des Körpers
Die Auffassung vom menschlichen Körper hat sich analog zu den Veränderungen der Gesellschaft entwickelt. Lebewesen sind wie Symbolsysteme einem stetigen Wandlungsprozeß unterworfen. Körper und Körpererfahrung des Menschen sind integrierter Teil eines umfassenden dynamischen Prozesses. Es existiert keine allgemeingültige Definition des Körpers, es handelt sich vielmehr um ein sich kontinuierlich wandelndes und mehrdeutiges Körperverständnis. Körperlichkeit bedeutet stets individuelle wie kulturelle Körperlichkeit, Körpervorstellungen stehen immer in einem bestimmten historischen Kontext. Kulturelle Differenzen und Analogien lassen sich nur begreifen, wenn sie in Bezug zu historischen und kulturellen Prozessen gesetzt werden, das gilt für die „Geschichte des Körpers“ in der Gesamtheit, als auch für die des einzelnen. Jeder Körper kann auf eine „eigene“ Geschichte zurückblicken, so sind beispielsweise Frauen- und Männerkörper wie Körper unterschiedlicher Ethnien (auch heute noch) kulturell und sozial höchst unterschiedlich geprägt.

Dietmar Kamper und Christoph Wulf entwickeln in Transfigurationen des Körpers. Spuren der Gewalt in der Geschichte8 die historischen Voraussetzungen für die Umformung des Körpers und stellen dar, daß es zu keiner Zeit ein homogenes historisches Körperverständnis gab und auch nicht geben kann. Sie verstehen ihren Ansatz vielmehr als „Lektüre einer Narbenschrift“, deuten den menschlichen „Körper als Gegenstand und Gedächtnis“ von historischer Gewalt. (Kamper/Wulf 1989, S.1) Kultur und Zivilisation sind die prägenden Determinanten unseres Verständnisses vom menschlichen Körper, vom Menschsein und vom Tod.


„Im Verlauf des abendländischen Zivilisationsprozesses haben sich viele verschiedene Figuren des Körpers herausgebildet. Als menschlicher hat er sich im Bezug zum Körper der Götter konstituiert; als männlicher bzw. weiblicher hat er sich aus der Geschlechterdifferenz und in einer geschlechtsspezifischen Machtverteilung geformt; als ein das Ganze widerspiegelnder Mikrokosmos ist er in Analogie zum Makrokosmos gesehen worden. Jede Figur des Körpers oder eines Teilkörpers wird von dem Kontext bestimmt, in dem sie Gestalt gewinnt.“ (ebd. S.2, Hervorhebung im Original)

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno befassen sich im geschichtsphilosophischen Hauptwerk der kritischen Theorie Dialektik der Aufklärung9 mit dem „Schicksal des Körpers“. Sie verstehen die „Geschichte des Körpers“, die Geschichte der „menschlichen Instinkte und Leidenschaften“ und der „Verstümmelung“ des Körpers als die unbekannte, unterirdische Geschichte Europas (vgl. Horkheimer/Adorno 1998, S.246). Ähnlich wie Norbert Elias und Michel Foucault in ihren Arbeiten aufzeigen, daß gesellschaftliche Machtstrukturen das Verständnis von Körper, Sexualität sowie den Umgang mit dem Tod prägen und daß über den menschlichen Körper stets Macht ausgeübt wird, setzen sich auch Horkheimer/Adorno mit dem Körper in seinem Verhältnis zur Macht auseinander.10 Ihre Analyse einer Manipulation des Körpers beruht nicht zuletzt auf der von ihnen miterlebten jüngsten Vergangenheit, den Erfahrungen des Faschismus und der Judenvernichtung, die die Verbindung von Körper(manipulation) und Tod aufs Schrecklichste manifestiert. In der faschistischen Propaganda wurde der Körper verherrlicht – der Arierkörper zum Prototyp erklärt, Gesundheit, physische Stärke und Fruchtbarkeit wurden als Leitziele erklärt, der Frauen- wie der Männerkörper wurde trainiert –, gleichzeitig der nicht-erwünschte Körper in Arbeits- und Konzentrationslagern versklavt und vernichtet. Horkheimer und Adorno konstruieren das Bild einer Doppelbindung in Form einer Haßliebe zum Körper, für sie sind die zivilisatorischen Leistungen „das Produkt der Sublimierung, jener erworbenen Haßliebe gegen Körper und Erde, von denen die Herrschaft alle Menschen losriß.“ (ebd. S.248f.)



Der Mensch hat sich seinem Körper nicht entfremdet, sondern steht gegenteilig in einem so engen Verhältnis zu ihm, daß er sich von ihm gar nicht loszulösen vermag. Zwischen Geburt und Tod vollzieht sich die Entwicklung eines menschlichen Lebens, das unweigerlich mit dem Körper verknüpft ist. Bis zum Tod bleibt der Mensch mit seinem individuellen Körper verbunden. Der Körper wird von den Optimisten weiterhin als Garant der Individualität und authentischen Expressivität des Einzelnen gesehen, von den Pessimisten als „Objekt gesellschaftlicher Kontrolle, Disziplinierung und Unterdrückung.“ (Kamper/Wulf 1989, S.2)


2.2 Zur symbolischen Funktion des Körpers
Die moderne Körpervorstellung, die die Dimension des Symbolischen integriert, konnte sich erst ab dem 19. Jahrhundert durchsetzen. Ein naturwissenschaftlich definierter Körperbegriff, der in seinen Grundzügen auf René Descartes zurückgeht, hatte großen Einfluß auf die Medizin – und zeigt sich sublim auch heute noch. Sein Verständnis vom Subjekt als ein sich konstituierendes im Denken sowie die von ihm formulierte Trennung in Körper und Geist beeinflussen das Körper- und Subjektverständnis bis in die Gegenwart.11 Als Gegensatz zum rein biologistischen Verständnis des menschlichen Körpers steht die symboltheoretische Begriffsbestimmung, die die Ausdrucksfunktion von Eigenschaften hervorhebt.
Das Symbol stellt den „Schlüssel zum Wesen des Menschen“ dar, der Mensch erfasst die Wirklichkeit nicht an sich, sondern durch die Vermittlung der symbolischen Formen. Geistesgeschichtlich einflussreich war der philosophische Symbolbegriff des Erkenntnistheoretikers und Kulturphilosophen Ernst Cassirer, den er in seinem Hauptwerk Philosophie der symbolischen Formen12 entwickelte. Cassirers philosophische Hauptthemen waren die symbolischen Formen, Sprache, Mythos, Religion sowie Kunst und Wissenschaft, später desgleichen Wirtschaft und Technik. Nach Cassirer existiert zwischen Mensch und Umwelt im Sinne einer Vermittlungsinstanz eine künstliche Sphäre aus Symbolen.
„Die physische Realität scheint in dem Maße zurückzutreten, wie die Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt. Statt mit den Dingen hat es der Mensch nun gleichsam ständig mit sich selbst zu tun. So sehr hat er sich mit sprachlichen Formen, künstlerischen Bildern, mythischen Symbolen oder religiösen Riten umgeben, daß er nichts sehen oder erkennen kann, ohne daß sich dieses artifizielle Medium zwischen ihn und die Wirklichkeit schöbe.“ (Cassirer 1990, S.50)
Dem Symbol kommt als Universalprinzip eine große Bedeutung zu, es stellt aufgrund „seiner allgemeinen Gültigkeit und Anwendbarkeit [...] das Zauberwort dar, das ‚Sesam, öffne dich!‘, das den Zugang zur menschlichen Welt, zur Welt der menschlichen Kultur, gewährt.“ (ebd. S.63)13 Das Symbol verweist zeichenhaft auf etwas anderes, ein Zeichen oder Signal ist für Cassirer „mit dem Ding, auf das es sich bezieht, fest und eindeutig verbunden.“ (ebd. S.64) Ausgehend von einem zeichentheoretischen Ansatz bestimmt Cassirer auch das Körper-Seele-Verhältnis anhand der Funktionen der Zeichen, der Ausdrucksfunktion, der Darstellungsfunktion und der Bedeutungsfunktion. Im Verhältnis Leib und Seele erkennt Cassirer die symbolische Funktion wieder, wie er im dritten Teil seiner Philosophie der symbolischen Formen ausführlich darstellt:
„Das Verhältnis von Leib und Seele stellt das erste Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation dar, die sich weder in eine Dingbeziehung noch in eine Kausalbeziehung umdenken läßt. Hier gibt es ursprünglich weder ein Innen und Außen, noch ein Vorher oder Nachher, ein Wirkendes oder ein Bewirktes; hier waltet eine Verknüpfung, die nicht aus getrennten Elementen erst zusammengefügt zu werden braucht, sondern die primär ein sinnerfülltes Ganzes ist, das sich selbst interpretiert [...] Der eigentliche Zugang zum Leib-Seele-Problem wird erst gefunden, wenn einmal generell erkannt ist, daß Sinn-Verknüpfungen dieser Art es sind, auf denen auch alle Dingverknüpfungen und alle ursächlichen Verknüpfungen letzthin beruhen.“ (Cassirer, PSF III, S.117)
Die Idee einer symbolischen Relation als genetischem „Ursprung aller anderen dinglichen und kausalen Beziehungen“ wie sie von Cassirer konstruiert wird, zeigt Ähnlichkeit zu Merleau-Pontys Philosophie des Leibes, die dem Leib eine zentrale Position zukommen läßt. (Paetzold 1993, S.50)
„Die Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys stellt den Leib zentral. In allen Äußerungen der menschlichen Kultur spürt Merlau-Ponty die leiblichen Grundierungen auf. Seine Kritik gilt dem leibvergessenen Intellektualismus der westlichen Philosophie, ihr geht es um die faktische Funktion und die faktische Organisation der Kultur. Auch Cassirer sieht in der Leib-Seele-Polarität im Menschen den Ursprung aller weiteren symbolischen Ideationen. Doch wiederum findet man bei Cassirer neben einer phänomenologischen Facette bei der Deskription der menschlichen Erfahrung zugleich eine rationalistische, die letztlich auf Leibniz zurückzudatieren ist. So bricht, mit Merleau-Pontys Augen gesehen, der Tribut, den Cassirer dem Rationalismus zollt, der konsequenten Ausgestaltung einer Philosophie des Leibes wiederum die Spitze.“ (Paetzold 1993, S.127f.)
Leib und Körper beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte des menschlichen Daseins, der Terminus Leib verweist auf die ganzheitliche Erfahrung, auf eine Leiberfahrung, auf eine direkte Beziehung zwischen Leib und Leben. Petzold spricht vom „Leib, der wir sind und der unsere letzte endliche Wirklichkeit und Heimat ist“, während Merleau-Ponty davon abgeleitet etwa die Gegensatzpaare: Körper-haben und leibliches Sein; „leibliches Ich“ und „welthafter Leib“ aufstellt (vgl. ebd.). Für Merleau-Ponty ist der Leib „ein Ding, aber ein Ding, in dem ich wohne“, der menschliche Leib ist nicht auf einen bestimmten physischen und menschlichen Bereich determiniert, sondern er reicht vielmehr „so weit, als die durch ihn erschlossene Kultur reicht.“ (Maier 1963, S.55; S.79)

Herbert Plügge grenzt anknüpfend an Merleau-Ponty in Der Mensch und sein Leib14 den naturwissenschaftlich-determinierten Körperbegriff ab zum Terminus der Leiblichkeit, um die unterschiedliche Bedeutungsebene hervorzuheben:


„Danach ist der Körper – wie ihn die klassischen Physiologen und Biologen sehen – ein morphologisch determiniertes und reguliertes Funktionssubstrat, wobei der Reizerfolg im Reflexbogen als Wirkung des physikalisch definierten Reizes beschrieben wird. Aber auch dort, wo der Reizerfolg als final determinierte Reaktion erkannt wird, wird der Reiz nicht in seiner Bedeutung, sondern in seinen physikalischen Bestimmungen definiert. Dadurch kommt es zu einer Isolierung des Organismus von allem ihm welthaft Begegnenden. Alles Leibliche dagegen ist als etwas nie fertiges, ständig neu Erstehendes, von der gegebenen Situation und ihrer Bedeutung entscheidend bestimmtes, von Gestalt zu Gestalt wechselndes, personales und mithin welthaftes Phänomen zu begreifen. [...] Alles Leibliche dagegen verwirklicht sich, ständig sich wandelnd in der Situation.“ (Plügge 1967, S.34f., Hervorhebung im Original) 15
Als Ausdrucksmedium kommt jedem Körper eine symbolische Funktion zu, jeder Körper wird zum Zeichenträger und zum Mittler von Botschaften, die er aussendet. Gunter Gebauer analysiert in diesem Zusammenhang „die Transformation des Besitzes in symbolischem Ausdruck von Eigenschaften“ gleichsam als „politischen Prozeß“ (Gebauer 1982, S.313). So differenziert er in seiner Formulierungsweise zwischen „der Körper besitzt Eigenschaften“ und „der Körper symbolisiert Eigenschaften“ und beschreibt die Entwicklung vom „Körper als Besitzer von Eigenschaften“ über „die Demokratisierung der Körper“ hin zum „Körper als Ausdrucksmedium“ als eine historische (vgl. ebd., S.314ff.).
„Es wird folglich alles das als zum Körper zugehörig angesehen, was an seinem Ausdruck beteiligt ist. Unter diesem Aspekt wird der Körper-Begriff im Vergleich zum 16. Jahrhundert ausgeweitet; Bekleidung, Prothesen, Kosmetika, Präsentationsmittel und -techniken gehen in den modernen Begriff des Körpers ein. Unter einem anderen Aspekt erscheint er allerdings vergleichsweise eingeschränkt: Seine Herkunft, seine Geschichte, die Formung durch den Geist und die tägliche Arbeit verschwinden aus der Begriffs-Explikation.“ (ebd. S.319, Hervorhebung im Original)
Neben dem physikalischen Körper existieren Körperbilder in einem eher philosophischen Sinne, die auch ohne plastische Wahrnehmbarkeit des Körpers transportiert werden können. Der moderne Körperbegriff verabschiedet die „quasi-biologische Auffassung“. So charakterisiert Gebauer den modernden Körper durch die folgenden fünf Merkmale:
„(1) Der Körper wird segmentiert, d.h. in eine Menge isolierter Einzelsymbole zerlegt.

  1. Die Körpereigenschaften werden als Ergebnisse von Anstrengungen aufgefaßt. Zwar wird das Rohmaterial ursprünglich durch die Natur gegeben, doch ist der Weg der Natur lenkbar und beeinflußbar.

  2. Der Körper erhält einen Produkt-Charakter. Seine Eigenschaften können zum Teil mit Hilfe von Geld erstanden werden. Der Körper wird partiell von der Person ablösbar.

  3. Die dargestellten Körpereigenschaften sind Bestandteile der Inszenierung von Personen. Sie werden als Ausdruck einer Persönlichkeit mit einer bestimmten Lebensweise, materiellen und geistigen Situation aufgefaßt.

  4. In der körperlichen Inszenierung werden die geleisteten Anstrengungen zum Verschwinden gebracht (z.B. die Arbeit des Pflegens, das Training, das Abmagern, die Askese usw.). Der darstellende Körper umgibt sich mit einer mimetischen Sinnlichkeit, die in hohem Maße auf Einbildung beruht.“ (ebd.)

In der heutigen nachindustriellen Gesellschaft hat der Körper weitestgehend in der Arbeitsproduktion ausgedient. Der moderne Körper ist Zeichenträger, Symbolträger, Arbeits- und Freizeitkörper, sexueller Körper, um nur einige der möglichen Zuordnungen zu nennen, Christa Karpenstein-Eberbach bezeichnet den modernen Körper infolgedessen schlichtweg als „unleserlichen Körper“. Autoren wie Georg Simmel und Jean Baudrillard verwenden zudem im Rahmen ihrer Gesellschafts- und Subjekttheorie den Begriff des Körpers als Metapher für die Stadt.16 Er steht weiterhin als Bild für die Gesellschaft (Gesellschaftskörper), den Staat (Staatskörper) oder als Sprachkörper. Gert Mattenklott bezeichnet mit der Terminologie des Sprachkörpers folgendes:


„So ein Sprachkörper ist plastischer Leib nicht nur mit der Masse, die an ihm greifbar und faßlich ist, sondern auch mit seinem Negativ, dem, was er verdrängt, was er nicht sein soll oder sein will. Der Raum, den er selbst einnimmt, den kann oder soll kein anderer beanspruchen. Jedes Wort diese Sprachleibs erhält Klang und Farbe, also auch Bedeutung nicht nur in positiver, quasi vorzeigbarer Weise, sondern auch, indem er sich gegen Ungesagtes absetzt: nicht mehr Gesagtes oder noch nicht; ängstlich oder polemisch Gemiedenes, Unaussprechliches auch durch Tabuisierung.“ (Mattenklott 1989, S.187)
Das spezifische Verhältnis zwischen Körper und Sprache stellt bei Gert Mattenklott ein ähnlich wichtiges Unterscheidungsmerkmal wie Klasse, Ethnie, Geschlecht, Alter, Beruf und Konfession dar. Sprache und Körper können darüber hinaus gleichgesetzt werden. In der Folge wird die Linguistik zur „linguistischen Theorie des Subjekts“ erweitert, um damit der Subjektbeschreibung zu dienen. Peter Weibel begründet die Anwendung der semiotischen Theorie in Bezug auf Körper und Subjekt mit der Vergleichbarkeit der „Koordination zwischen Laut und Bedeutung“ und „der Verbindung und Zuordnung von Körper und Subjekt.“ (Weibel 1997, S.31). Es handelt sich hierbei um eine entdeckte Ähnlichkeit mit weitreichender Folgewirkung in Bezug auf Kunst und Philosophie der Moderne, deutlich ablesbar etwa am Surrealismus oder am Lacanismus17. In der Übertragung des Erklärungsmodells für das Verhältnis zwischen Subjekt und Körper wird der Körper hierbei zum Signifikanten, das Subjekt zum Signifikat. Der Binarismus weiblich-männlich determiniert, so Weibel weiter, die Beziehung des Körpers zu seinem Geschlecht, das Subjekt wird konstituiert durch die sozial erzwungene „Einheit des Tripels Körper, Geschlecht, Subjekt.“ (ebd. S.34)18
Der symbolischen Funktion des Körpers kommt gleichfalls im Ansatz Pierrre Bourdieus eine große Bedeutung zu. So geht der französische Soziologe im Rahmen seiner Interpretation symbolischen Handelns ausführlich auf die Ausdrucksfähigkeit des Körpers als Medium der sozialen Distinktion ein.

Bei Bourdieu konstituiert sich der Lebensstil – wie er in Die feinen Unterschiede19 ausführt – über die Kategorie des Geschmacks. Lebensstile tragen zur Reproduktion der Klassengesellschaft bei und legitimieren die soziale Ungleichheit in der symbolischen Dimension. Der Geschmack bietet sich als „bevorzugtes Merkmal“ einer klassenspezifischen Unterscheidung an und ist abhängig von der Verteilung der drei Kapitalsorten (ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital).


„Der Geschmack, die Neigung und Fähigkeit zur (materiellen und/oder symbolischen) Aneignung einer bestimmten Klasse klassifizierter und klassifizierender Gegenstände und Praktiken, ist die Erzeugungsformel, die dem Lebenssstil zugrunde liegt, anders gesagt, dem einheitlichen Gesamtkomplex distinktiver Präferenzen, in dem sich in der jeweiligen Logik eines spezifischen symbolischen Teil-Raums – des Mobiliars und der Kleidung so gut wie der Sprache oder der körperlichen Hexis – ein und dieselbe Ausdrucksdistinktion niederschlägt.“ (Bourdieu 1996, S.286)
Den individuellen Körper gibt es bei Bourdieu nicht, vielmehr ist der Körper stets ein gesellschaftlich produzierter und damit ein klassenspezifischer Körper. Einen „natürlichen“, individuellen Körper kann es nicht geben, denn jeder Körper ist „gesellschaftlich gekennzeichnet“, Gestik, Mimik sind gleichsam gruppenspezifisch geprägt, auch Kleidung und Kosmetika sind kulturell geprägt.
„Die gesellschaftliche Vorstellung des eigenen Körpers, die bei jedem Individuum von Anbeginn in dessen sich entwickelndes subjektives Bild vom je eigenen Körper und der je eigenen körperlichen Hexis konstitutiv eingeht, wird demzufolge durch die Anwendung eines sozialen Klassifikationssystems erreicht, dessen Prinzip sich in nichts von dem der gesellschaftlichen Produkte unterscheidet, auf die es angewendet wird. So wären Wert und Geltung eines Körpers zweifellos jeweils genau proportional zur Stellung seines Besitzers innerhalb der Verteilungsstruktur der übrigen Grundeigenschaften, würde die gegenüber der Logik sozialer Vererbung autonome Logik der biologischen Vererbung nicht dann und wann einigen der hinsichtlich aller anderen Aspekte Mittellosen mit den selteneren körperlichen Eigenschaften wie etwa Schönheit ausstatten (die in derartigen Fällen dann häufig auch – weil hierarchiebedrohend – als ‚fatal‘ apostrophiert wird), und wären umgekehrt den ‚Großen‘ durch biologische ‚Unfälle‘ nicht manchmal die körperlichen Attribute ihrer Stellung wie Hochwüchsigkeit und Schönheit versagt.“ (ebd. S.311)
Bourdieus Habituskonzept als spezifisches Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster, das sich sowohl bewußt als auch unbewußt in Vorlieben und Interessen ausgestaltet und damit die Zugehörigkeit und das Selbstverständnis einer Klasse oder Klassenfraktion ausdrückt, findet seinen Ausgangspunkt im Körper, der zum Ursprung sozialer Erfahrung wird. Die Art und Weise, körperliche Präsenz zu zeigen, in der verbalen und non-verbalen Kommunikation – dominant oder zurückhaltend – Raum einzunehmen und den eigenen Körper zu inszenieren stehen als Folge eines Sozialisationsprozesses. Jeder einzelne Akt der Körperbewegung transportiert Gefühle und Erfahrungen, die mit dem sozialen wie geschlechtshierarchischen Stellenwert, den gesellschaftlichen Werten und Bedeutungen korrespondieren. Der Körper als Distinktionsmittel entspricht einem sozialen Produkt (produit social), eine Gleichheit der Körper ist in der existierenden Gesellschaftsform, in einem funktionierenden „System von Distinktionen“, weder vorgesehen noch erwünscht.

2.3 Zum Verhältnis Körper und Subjekt
2.3.1 Der Mensch als Subjekt
Beim Subjektverständnis, einer Idee der Moderne, handelt es sich wie bei den kulturell und historisch geprägten Betrachtungen des Körpers, um sich wandelnde Vorstellungen. Die moderne Subjektphilosophie geht in ihrem Ursprung auf René Descartes „Cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin ich“ zurück. Der französische Philosoph, Wissenschaftler und Mathematiker Descartes gilt als wichtigster Vordenker der Aufklärung und Begründer der neuzeitlichen Philosophie. Die Konstitution des Subjekts vollzieht sich nach Descartes im Denken, das Individuum wird damit zum „Herrscher über die Natur“.
„Er [Gott, A,S.] täusche mich, soviel er kann, niemals wird er es doch fertig bringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei. Und so komme ich [...] zu dem Beschluß, daß dieser Satz: „Ich bin, ich existiere“, so oft ich ihn ausspreche oder in Gedanken fasse, notwendig wahr ist.“ (Descartes zit. n. Poschardt 1995, S.379, Hervorhebung im Original)
Seit der Neuzeit dient das Subjekt als Erklärungsmodell. Das Subjekt wird zum Ort der Identitätsbildung, Träger individueller wie überindividueller Züge. Autonomie und Identität charakterisieren die Subjekthaftigkeit des Menschen. Der moderne Mensch denkt sich, wie es der Subjekttheoretiker Peter Bürger ausdrückt, als „Einheit von individueller Besonderheit und Allgemeinheit, die wir Subjekt nennen.“ (Bürger 2000, S. 52) Für Bürger ist die Geschichte des Subjekts, wie er in seiner grundlegenden Abhandlung Das Verschwinden des Subjekts20 aufzeigt, nicht in der „Form einer herkömmlichen Erzählung“ darstellbar. (Bürger 1998, S.217f.) Sie lasse sich vielmehr
„[...] auf unterschiedliche Weise erzählen: als Geschichte einer Emanzipation oder eines Verlusts, aber auch als Geschichte einer fortdauernden Katastrophe. Jede dieser Geschichten hat selbst wiederum ihre historische Stelle. Diejenige, die die Dialektik der Aufklärung erzählt, verdankt sich einer besonders düsteren Situation, der Konstellation von Faschismus, Stalinismus und Hochkapitalismus.“ (ebd. S.236)
Identität als ein Konstrukt der Neuzeit ist Ergebnis des Humanismus der Renaissance und der Aufklärung. Die Epoche der Renaissance, die sich durch ein wieder erwachtes Interesse an der Kunst und Kultur der Antike auszeichnete, markiert den Beginn der Neuzeit. Zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert kam es zudem in Europa zu tiefgreifenden Veränderungen. Die bis dahin hierarchisch gegliederte Feudalgesellschaft des Mittelalters, die hauptsächlich von einer agrarisch strukturierten Wirtschaft und einer dominierenden Kirche geprägt war, begann in ihren Strukturen allmählich aufzubrechen. Der Humanismus der Renaissance stellte einen weiteren Bruch mit mittelalterlichen Traditionen dar. Die Konzeption des modernen Menschen und ein verändertes Bildungsideal gehen auf Neuerungen des Humanismus zurück. So bildet sich in dieser Epoche die Vorstellung des modernen Subjekts. Der moderne Begriff des Individuums, der mit dem Subjektbegriff korrespondiert, geht von der Prämisse seiner Unteilbarkeit aus, eine Begriffsbestimmung, die seit dem 17./18. Jahrhundert ausschließlich zur Beschreibung des menschlichen Wesens verwandt wird (vgl. Luhmann 1997, Bd.2, S.1035).21 Es stellt sich damit die für die anthropologische Philosophie relevante Frage nach dem Inhalt einer Individualität, nach der Identität und nach dem Ich.
Im Folgenden soll die historische Besetzung des Ich-Begriffes genauer skizziert werden, um wichtige Etappen des Subjektverständnisses in ihrer Bedeutung nachvollziehen zu können. Im Mittelpunkt steht – in Abgrenzung zum Ich-Konzept der Psychoanalyse, das wir im Rahmen unserer Auseinandersetzung mit Freud betrachten werden22 – das Ich der Subjektphilosophie. In der Philosophie, in der das Ich vielfach das „bewußte Selbst“ bezeichnet, stellt die Auseinandersetzung mit dem Ich-Begriff eine zentrale Idee dar, ob bei Descartes, Fichte, Kierkegaard, Husserl, als dem Begründer der Phänomenologie oder seinem Schüler Heidegger u.v.a..23 „Das Ich, das Individuum als gestaltende Kraft, der Mensch also in seiner Subjekthaftigkeit“ ist nicht nur das zentrale Thema, sondern gleichfalls das zentrale Problem neuzeitlicher Philosophie. (Fuchs 1999, S.214)

Peter Bürger analysiert die Geschichte des modernen Subjektes von ihren Anfängen bei Pascal und Montaigne bis hin zur Subjektauflösung in der Subjekttheorie des 20. Jahrhunderts bei Lacan, Foucault, Barthes u.a.24 und stellt hierbei einen Paradigmenwechsel in der Subjektphilosophie fest. Für Bürger ist die Vorgeschichte der neuzeitlichen Subjektivität in der Religion verortet, hierbei sei das Motiv des Hungers, in erster Linie ein Hunger nach Gott, bestimmend, wie es auch ähnlich von Nietzsche interpretiert wurde (vgl. Bürger 1998, S.29). Nach Bürger führt die Entdeckung des modernen Subjekts und damit der neuzeitlichen Subjektivität zurück bis auf Aurelius Augustinus, Michel E. de Montaigne, René Descartes, Blaise Pascal und François La Rochefoucauld.25 Das neuzeitliche Subjektverständnis geht – wie gezeigt – in seinen Grundzügen auf René Descartes Vorstellung der Aufteilung in ein „Körper-Ich“ und ein „Geist-Ich“ zurück. Er begründete mit dieser Aufspaltung eine historisch bedeutende Subjektkonzeption, die zum Bezugspunkt der nachfolgenden Vorstellungen von Subjektivität wurde. Bei Descartes wird


„[...] das Subjekt in zweifacher Gestalt dargestellt – als körperlich-geistige Einheit, die fähig ist, Erfahrungen zu machen, und als sich selbst setzende Vernunft, die sich instrumentell sowohl auf die Welt wie auf den eigenen Körper bezieht –, so läßt sich dieser Unterschied auch als Prozeß auffassen, in dem das Ich der Erfahrung in das der instrumentellen Vernunft übergeht. Dieser Prozeß ist im Sinne der Dialektik der Aufklärung als einer zu begreifen, in dem das Ich zunehmende Herrschaft über sich selbst ausübt.“ (ebd. S.42)
Als Aufklärer beschäftigten sich ferner die Schriftsteller und Philosophen Voltaire26 und Denis Diderot mit dem Subjekt. Voltaire definierte das Ich als „unauffindbar“. War für Descartes die Distanz zum eigenen Körper die „Voraussetzung der Herrschaft des Ich über sich selbst“, wurde Voltaires Ich zum „Gegenstand eines geistreichen Spiels.“ Die Eigenliebe war für Voltaire das Motiv und der eigentliche Antrieb des menschlichen Handelns, für ihn stellten Krankheit und Todesnähe keine existentiellen Bedrohungen mehr dar, vielmehr galt ihm der eigene Körper „als Futteral für etwas, was er selbst nicht als seine Seele bezeichnen mag.“ Während sich für Voltaire das Geist-Ich nur „zufällig in diesem und keinem andern Körper“ befand, geht Diderot – die von Descartes formulierte Trennung zurücknehmend – von der Einheit von Körper und Seele aus.27 Das „aufklärerische Ich“ bei Diderot ist gegenwarts- und erlebnisbezogen, das Subjekt Diderots ist „noch ein Ganzes“, es ist noch nicht vom Zerfall bedroht (vgl. ebd., S.64-75).28

Das 18. Jahrhundert verkörpert in erster Linie das Zeitalter des Rationalismus und des vernunftsbestimmten Ich der Aufklärung. Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant, der den deutschen Idealismus begründete und auf die Philosophie Fichtes, Hegels und Schellings wirkte, ging in seinem Verständnis von zwei Ich-Begriffen – einem „empirischen“ und einem „trans-zendentalen“ Ich – aus. Die Einheit des Körpers ist bei Kant nur „Erscheinung einer vor-gestellten Oberfläche, das Ideal einer geschlossenen, weil bloß angeschauten Kompaktheit, während der Körper der Erfahrung, der erfahrbare Körper, sich in Intensitätsverdichtungen und Kraftkontraktionen zeigt, die unaufhörlich wechseln und immer andere Koalitionen und Oppositionen eingehen.“ (ebd. S.206f.)

Die radikale Infragestellung des Subjekts erfolgte mit Nietzsche und Freud29 am Ende des 19. Jahrhunderts. In der Philosophie Friedrich Nietzsches findet eine zentrale Auseinandersetzung mit dem Subjekt statt, er sieht das Subjekt als Dividuum, das „Subjekt als Vielheit“:
„Die Annahme des E i n e n S u b j e k t s ist vielleicht nicht nothwendig, vielleicht ist es ebensogut erlaubt, eine Vielheit von Subjekten anzunehmen, deren Zusammenspiel und Kampf unserem Denken und überhaupt unserem Bewußtsein zu Grund liegt. Eine Art A r i s t o k r a t i e von ‚Zellen‘, in denen die Herrschaft ruht? Gewiß von p a r e s, welche miteinander an’s Regieren gewöhnt sind und zu befehlen verstehen?

M e i n e H y p o t h e s e :

das Subjekt als Vielheit [...].“ (Nietzsche 1972, Bd. VII/3, S.382, Hervorhebung im Original)
Mit der Prämisse des Individuums als Dividuum wird das Subjekt als unteilbares, kontinuierliches Individuum radikal in Frage gestellt. In Analogie zu Nietzsches These vom „Tod Gottes“ kann der „Tod des Subjekts“ postuliert werden. Die von Nietzsches These ableitbare Interpretation verweist, wie wir noch sehen werden, auf das fragmentierte Subjekt und auf den zerstückelten Körper. Nach dem „Tod Gottes“ sieht sich der Mensch vor neue Aufgaben gestellt, die er zu bewältigen hat. Wer ist nun der Schöpfer der Welt und der Menschen? Auf welcher Grundlage basiert das Handeln des Subjekts?30


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