Bilder nicht auf die Wirklichkeit zurückgehen - also gänzlich Unwirkliches kann sich keine
Phantasie vorstellen - was sollte das sein?). Diese von der Phantasie produzierten Bilder
materialisiert dann die unterste Seele, die Plotin als die pflanzliche denkt (φυτικόν), zur
Welt, zum Kosmos. Und genau das, was so die Seele in ihrer untersten Schicht leistet,
das leistet auch die Natur. Sie produziert vorbewusst aus sich heraus den Kosmos.
Nun kann dieser Prozess auch umgedreht werden. Die Seele nimmt wahr und erinnert
Naturdinge. Diese werden zu reinen Bildern und daher entmaterialisiert. Sie kehren wieder
zurück ins Innere der Seele.
Wichtig aber ist hier festzuhalten: Seele und Natur sind im Grunde zwei
Produktionsweisen. Die eine produziert in einer Schicht innere, die andere äußere Bilder.
Darüber steht die Seele, die noch näher am Geist steht, die Seele, die diskursiv die
einzelnen Begriffe durchläuft. Doch eine Seele, die nur das tut, gibt es nicht. Daher muss
gesagt werden, dass auch die Seele wie die Natur Bilder produziert. Das muss sie tun, um
sich zu sich selbst zu vermitteln, sie tut es, um sich selbst zu sich selber zu verhalten. In
diesem Sinne ist die Seele dann auch das Vorbild der Natur.
Anders gesagt: das Denken ist das Vorbild des Lebens. So heißt es einmal: „Denkvollzüge
sind nämlich auch alle anderen Formen des Lebens; aber das eine ist ein vegetatives
(naturhaftes) Denken, das zweite ein wahrnehmendes, das dritte ein seelisches Denken.
Wieso sind sie nun Denken? Weil sie formale Bestimmtheiten λόγοι sind.“ λόγος aber ist
(allgemein im Griechischen) nicht nur der Gedanke oder das Ausgesagte, sondern auch
das vernünftige Denken und das Sprechen selbst. Worum es also geht, ist klar: was
Denken und Leben teilen, das ist ein Selbstverhältnis, mag dieses Selbstverhältnis auch
im Bewusstseinsgrad sehr differieren. Wenn Denken wie Leben ist, lässt sich auch sagen:
„Alles Leben ist irgendwie Denken, nur das eine Denken ist trüber als das andere, so wie
auch das Leben.“
Beseelung, Beseeltsein, heißt Leben, heißt also auch Denken. Das Interessante an Plotin
ist nun durchaus, dass er dieses Verhältnis nicht einförmig denkt, sondern in verschiedene
Klarheitsstufen auseinanderlegt. Am untersten Ende der Seele (ist die Seele eigentlich
ausgedehnt? es ist immer dieselbe Frage, die bis zu Freud reicht, der einfach einmal sagt:
„Psyché ist ausgedehnt, weiß nichts davon.“ also der seelische Apparat hat eine
Ausdehnung, was aber doch dann heißen muss, dass sie materiell ist - das geht aber
nicht, jedenfalls nicht für Plotin, denn die Seele ist unsterblich, sie ist eben nicht materiell)
entspringt die Materie. Es gibt also ein intensives Verhältnis zwischen der Seele und der
Materie, zwischen der produzierenden Seele und der produzierenden Natur. Das ist
durchaus modern in vielen Hinsichten. Sind wir in der Psychoanalyse oder der
Psychologie nicht der Ansicht, dass uns das Unbewusste irgendwie mit der Natur
verbindet? Aber man braucht solche Modernisierungen nicht. Ganz offensichtlich war es
den nichtchristlichen Antiken überhaupt klarer, dass der Mensch nah an der Natur lebt.
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In der sehr kurzen Enneade IV I mit dem Titel Über das Wesen der Seele heißt es direkt
am Beginn:
„Im geistigen Kosmos befindet sich das wahre Sein; der Geist ist in ihm das Beste, aber
die Seelen sind auch dort; denn von dorther kommend sind sie ja. Jener geistige Kosmos
nun birgt in sich die Seelen ohne Körper, dieser irdische aber die Seelen, die in die Körper
eingetreten und durch die Körper geteilt sind; dort oben aber ist der ganze Geist
beisammen, ungeschieden und ungeteilt, beisammen sind auch die Seelen in diesem
einheitlichen Kosmos, nicht in räumlicher Trennung.“
Es ist immer dasselbe. Am Ende der Überlegungen über Plotins Philosophie stellt sich die
Fragen was die Ideen, die natürlich eben weil sie im Grunde zum geistigen Kosmos
gehören und deshalb unsterblich sind, warum diese Seelen sich überhaupt an diesen
untersten Rand der drei Hypostasen begeben haben, um dort dann die Materie zu
produzieren. Denn dieser Abstieg ist nun in der Tag ein Abfall ins Negative. Woher also
das Negative in dieser Ordnung, in der eigentlich alles gut ist?
Genau das aber ist die Frage, die die Metaphysik sich stellen muss und stellt. Der
Ursprung des Ganzen ist gut, ist das Gute, warum also gibt es Negation und Negatives?
Auf griechisch lautet die Frage: πόθεν τὰ κακά; Anders gefragt: woher stammt das Böse?
Diese Frage setzt natürlich eine andere voraus, nämlich: was ist denn überhaupt das
Böse? Es gibt nun in der Tat eine Enneade, die Enneade I 8, die genau diesen Fragen
gewidmet ist.
Diese Frage ist nicht nur für Plotin, aber für ihn besonders, mit der Materie verbunden. Die
Materie bildet sozusagen zu den Zugang zum Negativen in der Welt. Das ist natürlich ein
Gedanke, den wir heute kaum fassen können. Er steht in einem Kontext, der auf Platon
zurückgeht. Es ist eigentümlich, gerade weil die Materie so im Verdacht steht, das
Schlechte im Kosmos darzustellen, hat sich Plotin besonders viele Gedanken über sie
gemacht. Ja, es gibt sogar bei ihm einen Unterschied zwischen einer ersten und einer
zweiten Materie. Aber das werden wir dann in der nächsten und letzten Stunde
kennenlernen.
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9. Vorlesung
Das Denken des Plotin bewegt sich in den drei Hypostasen des Einen, des Geistes und
der Seele. Das Eine ist der Ursprung von Allem. Aus ihm fließen die anderen drei Stufen
des Seins aus. Mit der sogenannten Emanation, also der Entstehung des Ganzen aus
dem Einen, geschieht ein Abstieg: „Denn alles Erzeugte muß stets von gleicher Art sein
wie das Erzeugende, dabei aber schwächer sein, weil es im Hinabschreiten verblasst.“
Das bedeutet, dass der Geist „schwächer“ ist als das Eine, die Seele „schwächer“ als der
Geist. Dennoch gibt es zwischen den drei Hypostasen eine gewisse Einheit insofern, als
sie das Sein bilden. Das Eine, der Geist und die Seele sind.
Beginnen wir nun so: die drei Hypostasen sind Ausfluss des Einen bzw. des Guten. Ich
habe schon darauf hingewiesen, dass es für Plotin eine Identität zwischen dem Einen und
dem Guten gibt, wobei genauer betrachtet, das Eine noch über das Gute hinausgeht. Das
Eine, der Geist und die Seele sind grundsätzlich gut. Nun gibt es aber doch auch Böses
oder Schlechtes. Es gibt doch böse Handlungen und schlechte Zustände des Seienden,
d.h. es gibt z.B. Mord und es gibt Krankheit. Die Philosophie seit Augustinus, der von
Plotin lernt, spricht von einem malum morale (einem moralisch Bösen) und einem malum
physicum ( einem natürlichen Bösen). Wie aber kann es - wenn doch die drei Hypostasen
prinzipiell gut sind, so etwas wie das Böse überhaupt geben?
Genau das ist die Frage in der Enneade I 8. Direkt am Beginn heißt es: „Wer die Frage
prüfen will, woher das Böse gekommen ist, sei es in die Wirklichkeit überhaupt, sei es nur
in eine Gattung der Wirklichkeit, der würde dieser Prüfung als passenden Ausgangspunkt
die Frage zugrunde legen müssen, was denn das Böse, die Wesenheit φύσις des Bösen
überhaupt ist; denn hiermit würde zugleich sich die Erkenntnis ergeben, woher es
gekommen, wo es seinen Sitz hat, wem es anhaftet, und es käme zur Entscheidung, ob es
überhaupt in der Wirklichkeit vorhanden ist.“ Gibt es das Böse überhaupt und wenn ja
wie? Kommt es überall vor oder vielleicht nur in irgendwelchen Handlungen? Wer so fragt,
fragt nach dem Wesen des Bösen, das, was das Böse zum Bösen macht.
Dabei macht sich Plotin dann sogleich einen Einwand. Nur Gleiches könne Gleiches
erkennen? Was meint das? Das ist eine alte Erkenntnis. So kann nur z.B. etwas, das
einen Verstand hat, verstandesmäßiges Seiendes verstehen. Nur wer Geist hat, kann
Geist begreifen. Nur wer Seele hat, kann Seele verstehen. Der Mensch ist ein Geist/
Seele-Wesen, Geist und Seele sind ja die zweite und die dritte Hypostase. Was aber Geist
und Seele verstehen kann, das ist immer εἶδος, Gestalt. Und dann heißt es: „Das Böse /
Schlechte / Üble aber kann sich einer unmöglich als Gestalt vorstellen, da es gerade in der
Abwesenheit jegliches Guten in Erscheinung tritt.“ Es gibt eine ἀπουσία παντὸς ἀγαθοῦ,
eine Abwesenheit alles Guten im Bösen. Gewiss, denn sonst ließe sich natürlich nicht vom
Bösen oder Üblen sprechen, wenn darin noch etwas Gutes anwesend wäre.
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