vergeht die Idee der Katze nicht. Sie bleibt: und seit Platons Zeiten bis heute haben die
Leute einzelne Katzen geliebt und stets und immer von der Katze gesprochen. Die Idee,
so Platon, vergeht nie, sie ist ewig.
Das bedeutet aber, dass die Idee ein anderes Sein bedeutet als ihr vergängliches Abbild.
Die Idee ist ein ὄντως ὄν. Das Wort ὄν bedeutet soviel wie „seiend“, es ist ein Partizipium
des Infinitivs εἶναι (Sein). Das Wort ὄντως heißt noch einmal „seiend“, die Idee ist
demnach ein seiendes Seiendes. Was soll das sein? Sagen wir: die Idee ist das rein
Seiende, nichts anderes als volles, erfülltes Sein, ewige Anwesenheit sozusagen.
Dagegen unterscheidet Platon das μὴ ὄν. Wir haben dasselbe ὄν, „seiend“. μὴ bedeutet
nun aber soviel wie „nicht“. Doch das Griechische hat zwei Worte für „nicht“. Das andere
Wort heißt: οὐκ. οὐκ ὄν bedeutet soviel wie, etwas ist nicht, ist also sozusagen nicht
existent. μὴ ὄν meint nicht „überhaupt nicht seiend“, sondern nicht-seiend im Verhältnis
zum ὄντως ὄν, nicht-seiend im Verhältnis zur Idee. Eine Katze ist nun gleichsam nicht so
seiend wie die Katze.
Platon spricht also den höchsten Gegenständen des Denkens ein Sein zu, das über das
Sein der einzelnen empirischen Gegenstände hinausgeht. Das gilt auch für die Seele im
Verhältnis zum Körper. Wenn der Körper altert, hässlich wird, stirbt, so nicht die ihn
belebende Seele. Sie ist nicht-körperlich, d.h. sie ist unsterblich. Der Dialog „Phaidon“
versucht das zu erläutern. Die Seele ist mehr seiend als der Körper. Das ist natürlich ein
Gedanke, den das Christentum verwenden konnte. Augustinus z.B. hat den Neuplatoniker
Plotin sehr aufmerksam studiert.
Wenn also Plotin sich als Abbild bezeichnet, dann will er sagen: ich in meinem Fleisch bin
nicht eigentlich ich als Seele. Ich als Seele bin unsichtbar, weshalb ich eigentlich gar nicht
von einem Maler oder Bildhauer darstellbar bin. Das Bild nun oder die Büste wäre sogar
ein Abbild des Abbildes, d.h. das Kunstwerk wäre noch weiter vom unsichtbaren Selbst
des Plotin entfernt als er in seinem Körper.
Der Neuplatonismus setzt auf dieses ontologische Verständnis der Idee. Die Ontologie ist
gemäß dem, was wir vorhin hörten, die Lehre vom Seienden oder Sein. Nun kommen aber
noch mindestens zwei weitere Gedanken Platons hinzu, den Neuplatonismus in seinen
Voraussetzungen zu erfassen. Da ist zunächst ein Gedanke aus der „Politeia“. Platon
spricht dort von der höchsten Idee. Das sei die Idee des Guten. Diese Idee des Guten, die
gleichsam alle anderen Ideen sein lässt, die also so etwas ist wie die Idee der Idee, ist
keine gewöhnliche Idee mehr. Sie „ist“ nicht wie die anderen Ideen, sie befindet sich
ἐπέκεινα τῆς ουσίας, jenseits des Seins (sechstes Buch des Dialogs, Sonnengleichnis).
Das ist ein besonders wichtiger Gedanke, der gewiss nicht einfach zu verstehen ist, der
aber m.E. von alles überragender Bedeutung ist - auch und vielleicht gerade heute noch.
Wir hatten bisher den Unterschied von ὄντως und μὴ ὄν kennengelernt, eine
Differenzierung zweier Arten des Seienden, die eine höher als die andere, höher eben die
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unwandelbaren Ideen, die uns das empirische Seiende verstehen lassen. Nun aber
scheint Platon behaupten zu wollen, dass es noch etwas über die Ideen hinaus gibt, etwas
das so seinsmächtig ist, das es sich außerhalb des noch irgendwie Denkbaren befindet,
eben jenseits des Seins.
Platon spricht in dieser Hinsicht von der Idee des Guten. Plotin hat den Gedanken eines
Jenseits des Seins und d.h. Jenseits der Ideen aufgenommen, nur hat er es nicht als Idee
des Guten bezeichnet. Alle Neuplatoniker haben sich noch mit einem anderen Dialog
Platons beschäftigt (es gibt natürlich noch mehr Dialoge: Symposion, Alcibiades etc.).
Dieser Dialog trägt den Namen eines Vorplatonikers, nämlich den Namen „Parmenides“,
ein späterer Dialog des Platon, der vielleicht schwierigste.
In diesem Dialog versucht Platon noch einmal, seine Theorie der Ideen zu begründen, ja
sie irgendwie konsistent zu gestalten (es ist ja nicht einfach, zu begründen, wie sich
ὄντως und μὴ ὄν zueinander verhalten). Dabei nun wählt Parmenides nicht zufällig einen
Begriff, ja eine Idee, die in der Geschichte der Philosophie von überragender Bedeutung
ist: τὸ ἕν, das Eine. Der historische Parmenides hatte bereist festgestellt, dass das Sein
Eines sei, dass die Einheit ein Merkmal des Seins ist. Auch Heraklit hatte über das Eine
gesprochen. Noch in der Neuzeit ist das Eine und die Einheit ein gewichtiges
philosophisches Problem (z.B. bei Spinoza und dem Deutschen Idealismus).
Wie dem auch sei. Plotin identifiziert nun mehr oder weniger das Jenseits des Seins mit
dem Einen. Warum? Dafür gibt es Argumente, die ich aber hier noch nicht ausführlich
darstellen möchte. Nur soviel: nach Platon gibt es etwas, dass es sozusagen nicht gibt,
jedenfalls nicht so gibt wie Ideen und Einzelgegenstände. Von dem, was es da gibt, kann
man im Grunde gar keine Bestimmungen mehr angeben (es ist ja höher als die Ideen).
Das Eine ist nun ein ernstzunehmender Kandidat für Etwas, von dem man keine
Bestimmungen angeben kann, denn wenn wir sagen „das Eine ist gelb“, haben wir schon
zwei Bestimmungen (Einheit und Gelbheit), d.h. wir haben das Eine bereits verfehlt. Selbst
wenn wir sagen „das Eine ist“, haben wir zwei (nämlich die Einheit und das Sein), schon
wieder haben wir das Eine verfehlt. Darüber werden wir natürlich sehr ausführlich
sprechen.
Also: der Unterschied zwischen Körper und Seele, der Unterschied zwischen μὴ ὄν und
ὄντως ὄν, d.h. zwischen Einzelgegenstand und Idee, der Gedanke des Jenseits des
Seins, das mit dem Einen verbunden werden kann - das sind die Platonischen
Voraussetzungen für Plotin (und nicht nur für Plotin). Davon geht er aus.
In einer Hinsicht allerdings ist - nachdem wir das über die Entstehung des Begriffs des
„Neuplatonismus“ gehört haben - der Titel irreführend (jeder Titel ist als solcher
irreführend). Hegel schreibt einmal in seinen Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie:
„Besonders gut sind bei ihm (Plotin) Platons Ideen und Ausdruck herrschend, aber
ebensogut die des Aristoteles; man kann Plotin ebensogut einen Neuplatoniker als
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