und daß sie das alles tut als eine Wesenheit, die verschieden ist von den Dingen, die sie
formt, die sie bewegt und lebendig macht.“
Die Seele schafft die Welt und alles was darin lebt, und zwar kommt dieses Schaffen jeder
einzelnen Seele zu. Dahinter steckt allerdings ein besonderer Platonischer Gedanke, den
auch Plotin aufnimmt. Wie jeder einzelne Organismus, wie jedes Lebewesen deshalb eine
Seele haben muss, weil eben die Seele das Leben selbst ist, so hat auch die Welt selbst,
der Kosmos, eine Seele. Das ist die Lehre von der „Weltseele“. Platon spricht von ihr im
Phaidros, im Timaios und in den Nomoi, diesem späten Riesendialog. Noch bei Schelling,
im Jahre 1798, taucht sie einmal auf in einem Text „Von der Weltseele“.
Die Welt hat eine Seele, weil genauso wie im Menschen und seinem Organismus, in
dieser Menschenseele, in welcher das Denken das höchste Vermögen ist, die Welt auch
eine vernünftige und schöne Organisation aufweist. Das zeigt sich vor allem in den
Sternen, deren Bewegungen sich berechnen lassen und die im höchsten Sinne
regelmäßig sind. Durch die Weltseele ist das Ganze, der Kosmos, ein Lebewesen, in dem
jedoch alle Einzelwesen nicht die Funktion haben, die die Glieder eines Organismus
bestimmen (da hat ja alles eine genaue und spezifische Funktion), sondern in der
Weltseele haben die Einzelseelen durchaus Selbständigkeit. Selbständigkeit heißt nun
natürlich nicht, dass sie unabhängig von der Weltseele sein können, das nicht. Doch die
Vielheit, mit der es die Einzelseele in der Welt zu tun hat, bildet kein Chaos. Dafür sorgt
die Weltseele.
Zur Weltschöpfung sind aber noch zwei Dinge zu sagen, die ich in der nächsten Woche
wieder aufnehmen werde. Das Schaffen der Welt kann nicht so verstanden werden, als
gäbe es einen einmaligen Schöpfungsakt. Vielmehr geht es darum, dass die vernünftige
Seele die Vernünftigkeit des Kosmos, der Welt, ständig begründet und als begründete
auch erhält. Zudem gehört zum Schaffen bzw. zum Kosmos auch die Materie. Das werden
wir dann in der nächsten Woche ansprechen.
.
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9. Vorlesung
Die Seele ist ἀρχὴ τῶν ζῴων, Ursprung, Prinzip der Lebewesen, sagt Aristoteles. Sie ist
Prinzip der Bewegung, der Selbstbewegung, denn Leben ist Selbstbewegung. Ein weiterer
Gedanke ist der, dass die Seele in sich differenziert ist. Dieser Gedanke ist bei Platon
aufgekommen. In der Politeia schon spricht Platon von einer dreifachen Teilung der Seele:
dem begehrenden (schlechten) Seelenteil, dem mutartigen Seelenteil und dem
vernünftigen Seelenteil. Dann hat Aristoteles diese Theorie noch versucht, auszubauen (in
De anima), indem er fünf verschiedene Seelenteile Unterschied. Plotin knüpft an beiden
an. Auch für ihn ist die Einzelseele (auch) geteilt, doch er nimmt diese Teilung nicht so
schematisch vor, scheint mir, wie Platon und Aristoteles. Wir werden sehen.
Die Seele ist nicht nur die individuierte Einzelseele, sondern es gibt auch so etwas wie
eine „Weltseele“, etwas, das Schelling in seiner Schrift „Von der Weltseele“ (1798) einen
„allgemeinen Organismus“ nennt, was, wie er sagt, „die älteste Philosophie als die
gemeinschaftliche Seele der Natur ahndend begrüßte“. Nicht nur dem Menschen eignet
eine Seele, sondern der Natur schlechthin. Damit müssen wir nun über „Welt“ und „Natur“
bei Plotin sprechen, bzw. zunächst einmal über die Welt- oder Naturentstehung.
Plotin orientiert sich auch hier zunächst am „göttlichen Platon“. Der hatte in dem Dialog
„Timaios“ einen Mythos erzählt, wonach ein Gott, der zugleich Handwerker ist, ein
δημιουργός, den Kosmos, d.h. die Welt, schafft. Da Gutes nur Gutes schaffen kann (wir
erinnern uns daran, dass das auch bei Plotin ein Argument ist), kann der Kosmos nicht nur
gut sein, sondern sozusagen der beste, bestmögliche. Das heißt aber, dass der Kosmos
νοῦς haben muss, was wir hier besser übersetzen mit: Vernunft. Vernunft aber kann sich
bei keinem Ding einfinden, das keine Seele habe. Aufgrund dieser Überlegung fügte er
also Vernunft der Seele ein, Seele in Körper und baute so das Ganze zusammen, auf daß
er somit das von Natur bestgelungene und edelste Werk verfertigt (30b) hatte. So müsse
man sagen: Dieser geordnete Kosmos ist als ein beseeltes und in Wahrheit
vernunftbegabtes Wesen aufgrund der Vorsorge des Gottes entstanden.
Auf diesen Mythos folgten viele Diskussionen. Wie hat man diese Rede von der
handwerklichen Schöpfung zu verstehen? Gibt es da einen wirklichen Demiurgen, der, auf
die Ideen hinblickend, eine schon vorhandene ungeformte Materie (nach Aristoteles
πρώτη ὕλη) in einem Akt am Beginn des Kosmos stiftete (es gibt keine creatio ex nihilo
bei den Griechen - die Materie wird vorausgesetzt)? Oder hat er gar noch die Ideen selbst
geschaffen (in der Politeia sagt Sokrates, der Gott habe die Ideen geschaffen, ein
problematischer Gedanke)? Und wie steht es um die Materie, ist sie ein eigenständiges
Seiendes irgendwie, vielleicht sogar ein eigenständiges Prinzip?
Plotin beantwortet die erste Frage so, wie die meisten Platoniker. Die Schaffung des
Kosmos ist kein einmaliger Akt. Vielmehr muss man verstehen, dass die Begründung des
Werdens durch das ewige Sein, d.h. durch die prinzipielle Bedeutung der Ideen, in sich so
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etwas wie eine ewige Schöpfung ist. Der Demiurg ist nur eine mythische Figur, die diesen
ewigen Schöpfungsakt darstellt. Das bedeutet, dass er mit dem Ideenkosmos eigentlich
identisch ist. Die Materie ist für Plotin natürlich kein eigenständiges Prinzip, sondern wird
von der Seele hervorgebracht.
Es gibt also eine allgemeine Seele des Kosmos und die Einzelseelen. Dabei ist nun
natürlich zu fragen, wie dieses Verhältnis genauer aussieht. Es wurde schon gesagt, dass
nicht nur die Seele des Kosmos kosmisch ist, d.h. den Kosmos schafft, sondern dass das
jede Seele tut. Das hieße aber, dass der Kosmos auch durch unsere Einzelseelen
mitgeschaffen wird. Was heißt das?
Es gibt für Plotin, wie überall, so auch hier, eine übergeordnete Einheit von Weltseele und
Einzelseele, die man eben schlicht als „Seele“ bezeichnen kann. Weltseele und
Einzelseele sind Konkretionen eben dieser Seele. Dabei wird eben das Individuelle an der
Einzelseele in und von der Weltseele nicht „aufgehoben“. Weltseele und Einzelseele
existieren sozusagen gleichzeitig. Dabei wird die Individualität, wie gesagt, nicht durch die
Materie hervorgebracht (ein Gedanke, der im Mittelalter zu finden ist: die Materie - der
Körper - als Individuation der Seele), sondern die Seele selber ist individuell bzw.
verschieden, was sich dann in den verschiedenen Lebensläufen der einzelnen Menschen
auch zum Ausdruck bringt.
Wir hatten schon von Platon gehört, dass die Seele vernünftig sein muss, d.h. dass alle
Seelen in einem Allgemeinen, in der Seele des Kosmos, zusammenkommen. Indem sie
also gleichsam identisch und doch verschieden sind von diesem Kosmos, haben sie an
der weltschaffenden Kraft des Kosmos teil. Daher auch ist der Kosmos ein einheitlicher,
eine Einheit, in der sich alle Menschen oder Lebewesen einfinden und in der sie sich
begegnen können. Der allgemeine Kosmos ist eine Einheit für Alle, weil die
Strukturprinzipien in der Seele, also z.B. die Vernunft, die selben sind. Der Kosmos ist
demnach für Plotin niemals etwas wie eine von uns unabhängige Welt an sich, sondern
sie ist für jeden zugleich die eine und doch die verschiedene.
Wenn ich einmal kurz etwas außerhalb unseres Themas im engeren Sinne sagen dürfte,
so ist das der eigentliche Gedanke des Kosmopolitismus. Der Begriff, die Idee, stammt
von Diogenes von Sinope, einem sogenannten Kyniker, der zwischen 410 und 323 vor
Christus, also ein halbes Jahrhundert früher als Plotin, lebte. Es wird berichtet (man hat
keine originalen Texte), dass er in einer Schrift, die wohl Politeia geheißen haben soll,
forderte, alle bestehenden Staaten abzuschaffen und anzuerkennen, dass die einzig
wahre Ordnung der Kosmos sei. Der Mensch gehört deshalb nicht zu einem Volk oder
einem Staat, sondern er lebt im Kosmos, er ist Kosmopolit. Diesen Gedanken haben dann
die Stoiker um 300 vor Christus übernommen und ethisch ausgebaut. Man muss dann
doch manchmal den Kopf schütteln, welche schädlichen Wirkungen den Religionen eignet,
wobei man in dieser Hinsicht, das meine ich doch sagen zu dürfen, die Religionen
unterschiedlich betrachten kann. Es hilft nichts: die Religionen müssen sich am Maßstab
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