Geboren wurde, wissen wir nicht von ihm selbst



Yüklə 0,75 Mb.
Pdf görüntüsü
səhifə35/39
tarix04.12.2017
ölçüsü0,75 Mb.
#13819
1   ...   31   32   33   34   35   36   37   38   39

dieser universalen vernünftigen Einrichtung des Kosmos messen lassen. Eine 

Konsequenz dieser Vernunft ist eine universale Gleichheit der Menschen. Da spielt es 

keine Rolle, welchen Namen der jeweilige Gott hat.

Die Frage ist nun, wie wir die Entstehung der Natur im Einzelnen zu verstehen haben, 

wenn Plotin den Mythos, es gebe da einen Demiurg, der technisch schafft, verabschiedet. 

Ich hatte ja schon gesagt, dass Plotin den Demiurg im Grunde mit den Ideen identifiziert 

und dass er die Vorstellung eines einmaligen Schöpfungsakts ohnehin zurückweist. Bei 

der Beantwortung dieser Frage müssen wir uns mit dem beschäftigen, was die 

griechischen Philosophen φύσις nennen, Natur. 

Was Natur ist, hat nicht nur die Philosophen interessiert, es gibt auch einen poetischen, 

dichterischen Bezug zur Natur z.B. bei Pindar oder auch in den griechischen Tragödien. 

Doch damit beschäftigen wir uns hier nicht. Hier geht es um die Philosophie, die eigentlich 

ein Feind der Dichtung ist.

Bei Aristoteles ist die φύσις eine Art Anfang und Ursache von Bewegung und Ruhe am 

Vorhandenen, wobei sie dem nicht nebenbei, sondern an und für sich zukommt. Natur ist 

Selbstbewegung: nehmen wir ein Beispiel: die Ursache des Hauses ist nach Aristoteles 

die Tätigkeit des Architekten, die Architektur eben. Dem Haus kommt es nicht selbst zu, 

gebaut zu werden bzw. sich selbst zu bauen. Das ist bei einem Baum anders. Der Baum 

wächst aus sich selbst, er hat den Anfang seiner Bewegung in sich. Das eben ist die 

Natur. (Leben!)

Sehen wir zu, wie Plotin die Natur versteht, was bei ihm Bemerkenswertes darüber gesagt 

wird. Da gibt es eine Enneade (III 8) mit dem seltsamen Titel: Über die Natur, die 

Betrachtung und das Eine. Betrachtung heißt auf griechisch θεωρία. Was hat also die 

Natur mit der Betrachtung und dem Einen zu tun? (Alles hat etwas mit dem Einen zu tun 

bei Plotin, also schauen wir vor allem einmal, was die Natur mit der Theorie zu tun hat.)

Die Enneade beginnt:

„Wenn wir nur spielend fürs erste, ehe wir uns an den Ernst machen, behaupteten: nach 

der Betrachtung verlangen alle Dinge, auf dieses Ziel richten sie sich, nicht nur die 

vernünftigen, auch die vernunftlosen Lebewesen und die Naturkraft, die in den Pflanzen 

ist, und die Erde, die die Pflanzen hervorbringt; und alle Dinge erlangen die Betrachtung in 

dem Grade, in dem es ihnen in ihrem naturgemäßen Zustand möglich ist, nur daß jede Art 

in verschiedener Weise die Betrachtung ausübt und erlangt, die einen üben sie wirklich 

aus, die andern erfassen nur eine Nachahmung, ein Abbild davon - ertrüge man wohl das 

Unerwartete unseres Vorgehens?“

Plotin stellt demnach selbst die Frage: wie kann man das überhaupt verstehen, dass die 

Natur gleichsam in der Betrachtung, in der Theorie, besteht? Ist das nicht paradox, das ist 

75



das Wort, das im Griechischen dort steht. Paradox heißt wörtlich übersetzt „Neben- oder 

Außermeinung“, was soviel heißen soll wie: eine manchmal scheinbar, manchmal wirklich 

unmögliche Meinung, eine Meinung, die scheinbar oder wirklich widersprüchlich ist. 

Beispiel: „Ich bekenne, dass ich gerade lüge.“ Also ist es nicht paradox zu sagen, dass die 

Natur, dass offenbar gerade nichts mit Theorie zu tun hat, Theorie ist?

Plotin sagt also, man müsse nun erklären, inwiefern die Produktionen und Produkte der 

Erde auf die Wirkung der Betrachtung zurückgehen können, inwiefern die Natur, die man, 

wie ich andeutete, für vorstellungs- und vernunftlos hält, Betrachtung in sich haben könne. 

Plotin räumt sogleich ein, dass man nicht über Natur sprechen könne, ohne über die 

Materie zu sprechen. Denn die Natur hat Materie nötig, um an und mit ihr Gestalten und 

Formen zu schaffen. Ich hatte auch das schon in der letzten Sitzung angedeutet. Es gibt 

einen ersten Stoff (unterschieden von dem jeweiligen Stoff der Gegenstände) und es gibt 

die Form, die Formen, die den Stoff im jeweiligen Ding formen - wobei der Stoff, der in 

einem Ding auftaucht, ja selber schon geformt ist, also nicht der erste Stoff sein kann. (Der 

Gedanke der πρώτη ὕλη sehr eigenartig).

Die gesamte idealistische Philosophie - bis heute - favorisiert nun die Form vor dem Stoff. 

(Das ist nicht unproblematisch, denn ist nicht vielleicht die Bedeutung der πρώτη ὕλη im 

Geld zu erkennen? Ja, ich würde wirklich fragen: ist Geld nicht die πρώτη ὕλη? Und was 

heißt es dann, dass die Form wichtiger ist als der Stoff?) Das tut auch Plotin. Und so sagt 

er: „Schaffen/Produzieren/Hervorbringen ποιεῖν ist eine gewisse Form schaffen ποιεῖν, 

und d.h. alles erfüllen mit Theorie.“ Die Beispiele, die Plotin liefert, sind interessant. Er 

sagt, dass auch die Fehlleistungen beim Entstehen von Dingen oder beim Handeln, 

Abirrungen der Betrachtenden vom Gegenstand ihrer Betrachtung sind: der schlechte 

Künstler ist der, der hässliche Formen schafft. So sei auch der Eros, also der Trieb zur 

Liebe, ein Schauen und Hindrängen zur Gestalt, er meint womöglich nicht nur, dass wir 

zum Schönen streben, wenn wir lieben, sondern auch, dass das Lieben als poetischer 

Vorgang auch eine Tendenz zur Form hat, denn das Kind ist ja immerhin ein geformter 

Stoff.


In der Natur, so wir sie als eine Art von selbsttätiger ποίησις verstehen, ist demnach ein 

universales Streben nach Form und zwar in zweifacher Hinsicht: die Natur ist 

Betrachtetes, der Gehalt der Anschauung, insofern sie als Form erscheint, aber sie ist 

auch selber Betrachten, erzeugende Betrachtung als Hervorbringen von Formen. Es ist 

interessant, dass Plotin die Theorie so versteht. Theorie ist bei Aristoteles eher ein 

rezeptives Hinnehmen, ein passives Schauen. Bei Plotin ist sie selber ποίησις, Produktion 

von Formen. Und zwar deshalb, weil sie eine Kraft in sich hat, die Produkte, die sie 

gleichsam aus sich heraussieht, zu formen. In diesem Sinne hat die Theorie einen Logos 

in sich.

Und hier ist der Vergleich der Theorie mit der erotischen Liebe interessant. Denn von der 

Stoa übernimmt Plotin die Lehre von den λόγοι σπερματικοί, kleine Logoseinheiten, die 

76



Yüklə 0,75 Mb.

Dostları ilə paylaş:
1   ...   31   32   33   34   35   36   37   38   39




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©www.genderi.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

    Ana səhifə