Geboren wurde, wissen wir nicht von ihm selbst



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wie ein Same wirken. Diese Formkräfte durchdringen nach Plotin die ganze Natur, sie ist 

es, die diese Formkräfte in alles hineinbringt. Für Plotin sind diese Formkräfte aber 

immateriell wie die Vernunft selbst. D.h. dass das Strukturprinzip der Natur in sich selbst 

vernünftig ist, wie die Theorie (die allerdings interessanterweise in sich ποίησις ist).

Also - wir verstehen das so, die Natur ist Theorie, weil sie rationale Formen enthält, 

rationale Formkräfte, die die Naturgegenstände als solche erscheinen lassen. Theorie 

muss - wie gesagt - im objektiven Sinne verstanden werden, also als Betrachtetes, und im 

subjektiven Sinne als Betrachtendes, wobei diese Unterscheidung in Objekt und Subjekt 

natürlich von Plotin nicht gekannt wurde. Nun ist aber die Frage, inwiefern ist die Natur als 

Theorie Betrachtendes? Heißt Betrachtend sein denn nicht immer, selbstbewusst-reflexiv 

betrachten? Muss ich nicht wissen, dass ich betrachte, wenn ich betrachte? Und wie 

könnte dann so etwas für die Natur gelten?

Wir hatten über das reflektierende, diskursive Bewusstsein bei Plotin schon gesprochen. 

Für ihn gilt, dass diese Form des Bewusstseins schon unter dem Geist steht, der sich in 

einer einheitlichen und unmittelbaren Synthesis selbst hat - er muss nicht streben oder 

suchen wie die Seele strebt und sucht. Ich hatte das in der letzten Woche auch anhand 

der Zeitlichkeit der Seele thematisiert. Der Geist ist nicht zeitlich, er ruht ewig in sich 

selbst. Er hat sich selbst von Anfang an. Da gibt es nun zwischen der Natur und dem  

Geist eine Analogie (nicht den Geist mit der Natur vermischen), denn auch die Natur als 

Theorie hat sich immer schon. Sie strebt und sucht nicht, sie setzt die gehabten Formen 

aus sich heraus.

Das hat zwei Konsequenzen, die wir festhalten müssen: die Natur besteht in einer nicht 

voll bewussten Selbstbeziehung, sie ist so etwas wie ein nicht voll bewusstes Betrachtetes 

Betrachtendes; aufgrund dieser Selbstbeziehung ist die Natur eine Form der Seele, und 

zwar die unterste Stufe der Seele.  

Da gibt es wieder interessante Beispiele bei Plotin. Es heißt da: „Und mein Betrachten 

bringt das Betrachtete hervor, so wie die Mathematiker (die Geometer) zeichnen, indem 

sie betrachten; und während ich freilich nicht zeichne, sondern nur betrachte, treten die 

Linien der Körper ins Dasein, gleichsam wie ein Niederschlag (ὥσπερ ἐκπίπθουσαι - sehr 

eigentümlich, wie ein Herausgefallenes, Herausgestürztes - es fällt sozusagen plötzlich 

aus meinem Denken heraus). Es steht um mich nicht anders als um meine Mutter und 

meine Erzeuger: auch sie entstammen einer Betrachtung, und so ging auch meine Geburt 

vonstatten, ohne daß jene irgend handelten, sondern da sie höhere Formkräfte sind und 

sich selber betrachten, dadurch bin ich erzeugt worden.“ Also in der Geometrie ist das klar. 

Ich betrachte, indem ich zeichne. Deshalb ist die Tafel im Mathematikunterricht sehr 

wichtig (heute powerpoint). Um geometrisch zu denken, muss ich zeichnen, und wenn 

auch nur vor meinem inneren Auge. Bei dem zweiten Beispiel ist das nicht ganz so klar: 

Die Erzeuger betrachten sich, sie handeln nicht, sondern die Formkräfte setzen sich von 

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selbst durch und dann gibt es das Herausgestürzte, den kleinen Plotin, diesen geformten 

Stoff.


Die Natur hat kein Selbstbewusstsein. Trotzdem hat sie eine Art von Bewusstsein: „Nicht 

in dem Sinne, wie wir Bewusstsein und Verstehen bei den anderen Wesen meinen, 

sondern wie man das Bewusstsein des im Schlaf Befangenen mit dem des Wachen 

vergliche: sie kann ruhen, denn sie betrachtet das Schaubild ihrer selbst, welches ihr 

ersteht dadurch, dass sie in sich und bei sich selber verharrt, und dadurch, dass sie eben 

Schaubild ist.“ Die Natur träumt, ein schönes Bild. In der Tat hat Hegel die Natur als 

„schlafenden Geist“ bezeichnet. Und doch darf man nicht verkennen, dass das für Plotin 

nicht die eigentliche und wahre Theorie ist, die die Natur vollzieht. Denn gerade an der 

Stelle, die ich zitierte, fährt er fort: „So ist ihr Betrachten lautlos; aber auch ein wenig 

getrübt. Denn es gibt ein anderes, das deutlicher zum Schauen ist, ihre Betrachtung aber 

ist nur das Nachbild einer andern. Deshalb ist denn auch das von ihr Erzeugte durch und 

durch kraftlos, weil eine kraftlose Betrachtung ein kraftloses Schaubild hervorbringt. Auch 

die Menschen, wenn sie zur Betrachtung zu kraftlos sind, wenden sich dem Handeln zu, 

einem Schattenbild des Betrachtens und der Vernunft. […] Denn welcher Mensch, der das 

Wahre zu schauen vermag, wendet sich hauptsächlich dem Schattenbild des Wahren zu? 

Eine Bestätigung dieser Auffassung bieten die Knaben von trägerem Geiste: da sie zum 

Lernen und Betrachten nicht fähig sind, verfallen sie auf Technik und Arbeit.“ Das ist die 

echte Ansicht des Philosophen. Die Betrachtung des Geistes oder der Seele des 

Philosophen geht natürlich über die der Natur hinaus, denn sie produziert eben doch auch 

Materie, die Plotin für durch und durch kraftlos hält. Das Denken der Philosophie kommt 

ganz ohne Materie aus. Und wer eben die Wahrheit schaut, d.h. die Ideen, warum will der 

sich noch mit den Abbildern, der Natur, beschäftigen. Nur die Dummen werden Techniker 

und Arbeiter - denkt der Philosoph.

Die Natur ist diese vorbewusste Materialisierung von Bildern oder Formen. Woher aber hat 

sie diese Formen? Gemäß der allgemeinen Regel, die Plotin einmal so formuliert: „Denn 

alles Erzeugte muß stets von gleicher Art sein wie das Erzeugende, dabei aber schwächer 

sein, weil es im Hinabschreiten verblasst.“ ist die Natur schwächer als das, woher sie die 

Formen hat, die sie träumt. Das aber ist die Seele, das diskursive und reflexive Denken, 

das ja selbst schon ein verblasstes Denken des Geistes ist. 

Schauen wir uns das genauer an: die diskursive Seele, also die Seele, die ihre 

Denkinhalte durchspricht, auseinanderlegt, differenziert, macht das als geistige so, dass 

sie diese Differenzierungen, die Ideen, nicht zu Bildern veranschaulicht. Wenn ich als 

Philosoph herausbekommen will, was Gerechtigkeit ist, brauche bzw. sogar darf ich mir 

nicht irgendwelche Vorstellungen machen, denn diese sind ja eben nicht das, was die 

Gerechtigkeit selbst ist, sie veranschaulichen immer nur eine bestimmte Eigenschaft (z.B. 

Robin Hood oder der weise Richter etc.). Die nächste untere Stufe kann und macht das 

aber. Das ist die φαντασία oder meinetwegen die Einbildungskraft. Die Phantasie 

produziert Bilder von Dingen, unabhängig von der Wirklichkeit (ich meine nicht, dass die 

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