Seminar für allgemeine pädagogik


Zehn Thesen zur Funktion der Beratung



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7.2 Zehn Thesen zur Funktion der Beratung


Die folgenden zehn Thesen gehen zurück auf Brandtstädter (1985) sowie auf weitere Einführungswerke zur pädagogisch-psychologischen Beratung.

  1. Beratung zielt ab auf die Veränderung und Verbesserung der verhaltensbezogenen, sozialen und institutionellen Verhältnisse.

  2. Beratung hat zum Ziel die Vermittlung von Kompetenz. Unterscheide dabei
    a) die Kompetenz, sich orientieren zu können;
    b) die Wissenskompetenz;
    c) die Kompetenz des Verständnisses von Sachverhalten;
    d) Handlungs- und Entscheidungskompetenz.

  3. Im Gegensatz zur Erziehung setzt Beratung die Gleichrangigkeit von Berater und Klient voraus. Sie geschieht in einem Klima der Unvoreingenommenheit, des Nicht-Überreden-wollens und des wechselseitigen Vertrauens. Die formale idealtypische Methode, die dabei zur Anwendung kommt, ist ein Verfahren, das auf den sokratischen Dialog zurückgeht. Ziel solcher Dialoge wäre es, zu vernünftigen Entscheidungen hinsichtlich künftigen Handelns und Orientierens zu kommen. Vernünftig heißt hier: Die Entscheidung, um die es geht, soll in dem Sinne konsensorientiert sein, als sie Ergebnis einer unverzerrten Kommunikation ist und die Zustimmung des Klienten besitzt.

  4. Das Informations- bzw. Kompetenzdefizit, das den Gegenstand der Beratung ausmacht, ist in der Regel ein aus dem sonstigen Lebenszusammehang abgrenzbarer Bereich; dennoch kann es sich um eine sehr komplexe Situation handeln, für deren Bewältigung Kompertenz benötigt wird.

  5. Die Definition der Situation bei einem aktuellen Anlaß von Beratung ist oft ungeklärt und bedarf einer Klärung im gemeinsamen Dialog. Beratung bedeutet alles andere als das Aufdrängen von Sollensforderungen und Wertmaßstäben. Sie geht analysierend-deskriptiv vor. Sie ist "ausgerichtet auf die reflektierend zu erarbeitende Klärung der Situation des Ratsuchenden im Dialog und dem Vortragen von (soweit eben verfügbar) Möglichkeiten der Lebensgestaltung" (Hilke/Aschenbach, in Brandtstetter 1985)

  6. Beratung hat oft eine präventive Funktion und muß deshalb auch nicht unbedingt vom Klienten ausgehen. In Eltern-/Kindsituationen (genauso wie in Lehrer-/Schülersituationen oder in Vorgesetzten-/Mitarbeitersituationen) wird der Ausgangspunkt für Beratung in der Regel bei der lebenserfahreneren bzw. funktional höherstehenden Person liegen. Ein Anlaß ist gegebeben, wenn Anzeichen für Probleme sichtbar werden. Aber auch prophylaktisch kann Beratung eingesetzt werden.

  7. Im Gegensatz zur Therapie setzt Beratung keine psychisch-soziale Gestörtheit oder eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens voraus, sondern nur ein Orientierungs- und Informationsbedürfnis. Beratung enthält professionelle und privatistische Elemente. Unterscheide Beratungsbedürfnisse auf der einen, Beratungskompetenz auf der anderen Seite.

  8. Im Gegensatz zur Therapie und zur Erziehung, die relativ feste, durch Intervention bestimmte Bezugsverhältnisse darstellen, ist die Beratungssituation ein wesentlich lockerer Interaktionszusammenhang; Beratung ist oft nur Information und Unterstützung zur Entscheidungshilfe, wobei die Entscheidung dem Klienten nicht abgenommen sondern von ihm selbst getroffen wird. Die Inanspruchnahme der Beratung impliziert keinen pädagogischen Imperativ des Befolgenmüssens, d.h. sie wird geleistet ohne Sanktionen, ohne Angst vor dem Nichtbefolgen der im Beratungsgespräch sich abzeichnenden Handlungsalternativen.

  9. Das Bedürfnis nach Beratung ist das Ergebnis der komplexer und für den einzelnen immer unüberschauber werdenden Lebensverhältnisse, die jeden Menschen - auch den Berater - zur Beratung in spezfischen Lebenssituationen zwingt. Innerhalb pädagogischer Zuständigkeiten läßt sich von einem "Netz von Beratungen" sprechen, das als institutionell Dienstleistung zur Verfügung steht.

  10. Beratung als horizontale und vertikales System: als vertikales System handelt es sich um Entwicklungsberatung i.w.S., als horizontales System ist sie (innerhalb der Pädagogik) personenorient, situationsorientiert, institutionsorierentiert und/oder produktorientiert.

Zusammenfassung: Beratung zielt ab a) auf die Verbesserung der verhaltensbezogenen oder institutionellen Verhältnisse (These 1), Beratung zielt ab auf die Vermittlung bzw. Verbesserung von Kompetenz (These 2). Im ersteren Falle bezieht sie sich auf Institutionen, im letzteren Falle auf Personen. Beratung hat einen öffentlichen (professionellen) und einen privaten Rollen-Anteil in der Interaktion (im Gespräch); Beratung hat ferner ein Beratungsbedürfnis auf der Seite des Klienten und Beratungskompetenz auf der Seite des Beraters zur Voraussetzung.

Problembereiche, in denen (Einzel-)Beratung erfolgt: Wir können vier Lebensbereiche unterscheiden, in denen Beratung ihr Aufgabenfeld haben kann: das Ich - die soziale Bezugsgruppe - Schule, Ausbildung, Beruf - die Freizeit. Im einzelnen ergeben sich folgende Aufgaben bzw. Felder der Beratung:

a) Ich

  • leib-seelische Probleme - Förderung von Fähigkeiten

  • materielle Situation

  • Situatives Umfeld/Lebensentwurf

b) Soziale Bezugsgruppe (Familie/Ehe)

  • Eltern - Geschwister - eigene Kinder - (Ehe-)partner

  • materielle Situation

  • situatives Umfeld

c) Ausbildung (Schule/Studium), Beruf

  • Vorgesetzte, Peers, Untergebene

  • materielle Situation

  • Aufgabe - Funktion - Leistung

d) Freizeit

  • Peer group - Freund/Freundin -

  • Freizeitbereiche, -aktivitäten und -interessen

  • Gefährdungen und Abhängigkeiten

Beratung ist eine Situation, in die heute ausnahmslos jeder jüngere und ältere Mensch in unserer Gesellschaft gelangen kann – auch deshalb, weil als Antwort auf den wachsenden Bedarf Netzwerke von Beratungsinstitutionen aufgebaut wurden. Der Beratungsbedarf ergibt sich durch die im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse auftretenden Krisenerscheinungen. Momente, die die sozialen Umbrüche der Gegenwart kennzeichnen sind

  • das Zerbrechen traditionell überkommener Rollenbeziehungen in Familie, Nachbarschaftsgruppe, Berufsstand zugunsten individuell gewählter Lebensformen;

  • die komplizierter gewordenen Lebensverhältnisse, die nicht allein an der Zunahme der Zahl der Scheidungen und der Zahl Alleinerziehenden ablesbar ist, sondern ebenso am häufigeren Arbeits- und Berufswechsel angesichts größer werdender Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt;

  • der zunehmende Werterelativismus und der Wertewandel, die einerseits Freiheit geben, andererseits auch neue Orientierungsbedürfnisse hervorrufen;

  • die zunehmende Selbstbestimmung, die sich mit Ansprüchen von Partnern und Bezugspersonen (die dasselbe für die eigene Person realisieren wollen) nicht immer zur Deckung bringen läßt;

  • die wesentlich geringer gewordene Bereitschaft der Frau, ihre traditionell eingeschränkte Rolle (Kinder, Küche, Kirchen) wahrzunehmen, eigene Bedürfnisse zurückzustellen und Zurücksetzungen zu erdulden;

  • die neuen medialen Kommunikationsformen, die die Kontakte zu einigen wenigen Bezugspersonen auflöst zugunsten eines Netzwerkes von Beziehungen, die ein immer größeres Zeitbudget in Anspruch nehmen und trotz aller Zeiteinsparung durch die modernen Kommunikationsmittel streßerhöhend sind;

  • die Unübersichtlichkeit gesellschaftlicher Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für den einzelnen angesichts fortschreitender gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse.

Übung: Im Anschluß an diese Analyse der gesellschaftlichen Situation (und der Situation des einzelnen in der Gesellschaft) bietet es sich an, ein Kleingruppen-Experiment durchzuführen. Die Seminarteilnehmer überlegen sich innerhalb der nächsten 5-10 Minuten Antworten auf die folgenden Fragen:

Was kann ich besonders gut? Was fällt mir schwer? (jeweils drei Verhaltens-Aspekte schriftlich fixieren). Diskussion der Ergebnisse in Kleingruppen zu viert (15 Minuten). Die eingesammelten Antworten werden auf EDV-Papier aufgeklebt und ausgewertet. Anschließend stellt jede Gruppe dem Plenum ihre Ergebnisse dar, und es erfolgt eine allgemeine Plenumsdiskussion.

Hinweis: Die Diskussion soll die eigenen Probleme und Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen ansprechen. Welche Möglichkeiten gibt es, Situationen zu schaffen, die der Forderung nach einem "unverzerrten", herrschaftsfreien Dialog entsprechen?

Einige Ergebnisse der Übung aus Teilnehmerbeiträgen: 1. Es fällt Studierenden, gerade auch solchen, die den Beruf des Beraters erlernen wollen, in unterschiedlichem Maße schwer, einer solchen Aufforderung Folge zu leisten. Zwei Teilnehmer verließen z.B. die Veranstaltung, vielleicht empfanden sie die Frage als einen Eingriff in ihre Intimsphäre; aber vielleicht war das auch ein Test für die künftige Berufswahl. Wenn einem eine solche Situation Schwierigkeiten bereitet, müßte man lernen, damit umzugehen, weil solche "unangenehmen" Anforderungen in der pädagogischen Berufspraxis nichts Ungewöhnliches sind. Der Personalchef einer bekannnten Firma sagte mir: „Wenn Studenten frisch von der Universität sich bei mir vorstellen, um eingestellt zu werden, frage ich sie erst einmal: Was können Sie eigentlich? Da ist dann oft schon große Verlegenheit da.“ Absolventen pädagogischer Ausbildungsgänge müssen in ihrem beruflichem Arbeitsfeld gegebenenfalls lernen, nicht nur sich selbst einzuschätzen, sondern andere Menschen und deren Leistungsvermögen. Das ist eher noch schwieriger.

Manchmal äußern Teilnehmer, es sei vielleicht noch möglich, Beratungsbedürfnisse zu formulieren. aber etwas definitiv über die eigenen Kompetenzen zu sagen, falle nicht leicht. Nach meinen Beobachtungen hat diese Zurückhaltung allerdings in den letzten Jahren abgenommen. Studierende trauen sich heute mehr zu als noch vor 10 Jahren. Die ungewisse berufliche Zukunft wird als Herausforderung angenommen.

Die Übungsaufgabe stellt die Teilnehmer vor eine Situation, wie sie bei der Einstellung von Stellenbewerbern durchaus üblich ist. Wer Schwierigkeiten hat, seine Kompetenzen darzustellen, weil er sich nicht hervortun will, hat verschiedene Möglichkeiten, dies durch Trainings und aktive Mitbeteiligung zu lernen. Die Fähigkeit zur positiven Selbstbewertung des eigenen Erscheinungsbildes über vorhandene Kompetenzen gelingt wesentlich besser, als sie jede Selbsteinschätzung von Charaktereigenschaften erbringt.

Die inhaltliche Auswertung der Übung ergibt meistens, daß neben objektbezogenen Kompetenzen (z.B. ein Musiknstrument spielen, eine Sportart beherrschen) auch personenbezogene Eigenschaften (z.B. sich einfühlen können, gut zuhören) eine große Rolle spielen. Es trifft übrigens nicht zu, daß weibliche Teilnehmer vorwiegend zur Nennung von personbezogenen, männliche Teilnehmer vorwiegend zur Nennung objektbezogener Kompetenzen tendieren. Wenn Studierende als künftige pädagogische Berater dazu neigen, die eigenen Kompetenzen gegenüber Dritten nicht allzu vordergründig in Erscheinung treten zu lassen, so dürfte dies vom professionellen Rollenverständnis des Beraters gar nicht so weit entfernt sein. In den Präsentations- und Äußerungsformen des Beraters sollten Freundlichkeit, einfühlendes Verständnis und – im Hintergrund - sachliche Kompetenz von größerer Bedeutung sein als Dominanz und Rhetorik.



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