(wie die Blätter eines Baumes). Daraus wurde dann so etwas gemacht wie: Grundlage.
Wir können aber auch von „Seinsstufe“ sprechen, denn das ist es bei Plotin. Also: 1.
Seinsstufe: das Eine. Die zweite Seinsstufe ist der νοῦς, der Geist, im Sinne des Ortes
der Ideen. (Wir haben gehört, dass das Eine noch über die Ideen hinaus ist.) 3.
Seinsstufe: die Seele. Mit ihr haben wir es mit dem Menschen im engeren Sinne zu tun,
mit der Frage nach dem Leben, der Natur und der Materie. Sie, die Materie, könnte nun
noch selber als vierte Hypostase bezeichnet werden, wenn Plotin nicht darauf bestehen
würde, dass die Materie eigentlich überhaupt nicht sei, d.h. dass sie eben nicht als
Seinsstufe bezeichnet werden darf. Dennoch müssen wir uns mit ihr beschäftigen und
dennoch hat sich Plotin sehr intensiv mit ihr auseinandergesetzt. Wie könnte es auch
anders sein: da sich die Materie ja nicht einfach so schlechthin ignorieren lässt.
In meiner Vorlesung werde ich mich an diesem Aufbau systematisch orientieren. Ich folge
damit einem Buch, einer Einführung in das Denken des Plotin von Jens Halfwassen,
einem Schüler des großen Neuplatonismus-Forschers Werner Beierwaltes. Es ist also
nicht mein Plan, eine bestimmte Schrift des Plotin durchzuinterpretieren, sondern auf
verschiedene Schriften zurückzugreifen, wobei bestimmte Texte allerdings immer
wiederkehren werden. (Die Frage nach der Prüfung: Sie können sich das Buch von
Halfwassen kaufen, Sie können aber auch nach dem Semester mein Vorlesungsskript als
maßgeblichen Text für die Prüfung verwenden. Sie können auch beides benutzen.)
Natürlich muss ich Ihnen abschließend noch etwas zu den Texten des Plotin sagen. Ich
komme zur Biographie des Porphyrios zurück. Dieser schreibt an ihrem Schluss:
„Nachdem er mir aber selber aufgetragen hat, die Ordnung und Überwachung seiner
Schriften zu übernehmen, und ich dies sowohl ihm zu seinen Lebzeiten versprochen wie
auch den übrigen Schüler angekündigt habe, schien es mir erstens nicht recht, die
Schriften in dem Durcheinander der zeitlichen Reihenfolge ihres Erscheinens zu belassen,
sondern nach dem Vorbild des Apollodoris von Athen und des Peripatetikers Andronikos,
von denen der erstere den Komödiendichter Epicharm in 10 Bänden sammelte, der
andere die Werke des Aristoteles und Theophrasts in Lehrschriften zerlegte, wobei er die
zusammengehörigen Stoffe an dieselbe Stelle rückte - so also habe auch ich, da ich 54
Schriften des Plotin in Händen habe, sie zu 6 Neunern (Enneaden) geteilt (es war mir nicht
unlieb, daß ich so gerade auf die vollkommende Sechszahl und die Neuner geriet); und
jedem Neuner gab ich sein eigenes Stoffgebiet und stellte sie dann zusammen, wobei ich
die leichteren Fragen an die erste Stelle rückte.“ ἐννέα heißt neun. Die Schriften des
Plotin werden „Enneaden“ genannt. Porphyrios freut sich, dass es sechs Neunergruppen
gibt, weil die 6 und die 9 besondere Zahlen seien. Ich kenne mich mit Zahlensymbolik
nicht aus. Schön ist aber, dass sie beide durch 3 teilbar sind. Drei ist jedenfalls neben der
Eins eine weitere philosophische Zahl.
Nach Porphyrios enthält die erste Neunergruppe die ethischen Schriften, die zweite die
naturphilosophischen, die dritte knüpft daran an mit der Kosmologie, die vierte Gruppe
geht auf die Seele ein, in der fünften geht es um den Geist, in der sechsten geht es, wenn
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man so will, um das Eine. Das Ordnungsprinzip ist vielleicht der Schwierigkeitsgrad, wobei
die Fragen nach der Ethik die leichtesten sind, die Frage nach dem Einen ist dann die
schwierigste. Wir fangen aber mit dieser an.
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2. Vorlesung
Plotin - ein Philosoph am Ende einer bestimmten Epoche, ein Philosoph im Übergang. Als
Neuplatoniker bezieht er sich auf einen Philosophen, der immerhin über ein halbes
Jahrtausend vor ihm gelebt hat (Platon 428-348 vor Christi Geburt, Plotin 204-270 nach
Christus). Damit steht er am Ende einer Tradition der antiken, griechischen Philosophie
(Proklos lebte noch später). Doch zugleich steht er gewissermaßen auch an einem Anfang
- indem der große Theologe Augustinus (354-430) Plotin rezipiert, indem Dionysius
Areopagita (um 500) von Proklos lernt, geht der Neuplatonismus gewissermaßen in die
christliche Theologie über. Man kann allerdings fragen, ob damit dem Christentum etwas
Gutes angetan wurde - oder ob damit nicht eine gewisse Verfremdung der Ur-lehre
geschehen ist - denn die Worte Christi haben nun überhaupt nichts „Philosophisches“.
Und es wird ja auch in der Apostelgeschichte gesagt, dass Paulus die Philosophen als
„Narren“ bezeichnet hat. Für den wirklichen Christen, meine ich, ist die Philosophie
wirklich etwas Verrücktes. Denn mit Jesus Christus ist uns ja die Wahrheit und das Leben
gegeben - was wollen wir also noch über Wahrheit weiter grübeln? Schon erstaunlich,
dass die Philosophie irgendwie das Christentum überlebt hat …
Das Wichtigste unserer ersten Stunde war die Erinnerung an Platon und den Platonismus,
welche Voraussetzungen von dort aus in das Denken das Neuplatonismus aufgenommen
wurden: der Unterschied zwischen Körper und Seele, der Unterschied zwischen μὴ ὄν
und ὄντως ὄν, d.h. zwischen Einzelgegenstand und Idee, der Gedanke des Jenseits des
Seins, das mit dem Einen, mit dem ἕν, verbunden werden kann - das sind die
Platonischen Voraussetzungen für Plotin (und nicht nur für Plotin).
Ich möchte in das Denken des Plotin einführen, d.h. ich möchte in seine Philosophie in
ihrer Grundstruktur einführen. Diese Grundstruktur ist mit jenen Platonischen
Differenzierungen eigentlich schon gegeben worden. Demnach gibt es vier verschiedene
Sphären des Seins, wenn Sie so wollen, vier Seinsstufen. Sie bilden ganz unmittelbar den
Aufbau des Plotinschen Denkens: Es gibt das sinnliche Seiende (μὴ ὄν) und das
Übersinnliche (ὄντως ὄν), das Reich der Ideen sozusagen. Dann gibt es aber auch noch
die Sphäre jenseits dieses Reiches, die Sphäre des Einen, die höchste Sphäre
schlechthin.
Für Plotin stellt sich das so dar: das Eine bildet das Höchste schlechthin. Aus ihm fließt
alles aus (Emanation), d.h. es ist die Quelle von Allem. Warum? ist eine gute Frage, auf
die ich später zu sprechen kommen muss. Damit haben wir die erste „Hypostase“.
„Hypostase“ heißt wörtlich soviel wie: das darunter Stehende, sich darunter Sammelnde
(wie der Niederschlag im Wein). Daraus wurde dann so etwas gemacht wie: Grundlage.
Wir können aber auch von „Seinsstufe“ sprechen, denn das ist es bei Plotin. Also: 1.
Seinsstufe: das Eine. Die zweite Seinsstufe oder Hypostase ist der νοῦς, der Geist, im
Sinne des Ortes der Ideen. (Wir haben gehört, dass das Eine noch über die Ideen hinaus
ist.) 3. Seinsstufe oder Hypostase: die Seele. Mit ihr haben wir es mit dem Menschen im
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