Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 038 D. Walter Michaelis Nachlese aus fünfzigjährigem Dienst auf dem Acker des Evangeliums



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  • predigt ? Mit der Erkenntnis dieses Zustandes war sofort auch die Frage nach echter, gegründeter Heilsgewißheit gestellt. Aus der nun gewonnenen Klarheit beschloß ich, beim Predigen auf keinen Fall über meinen eigenen inneren Stand hinauszugehen. Die Predigt des nächsten Sonntags ist nach Text und Inhalt ein Wort der Sehnsucht, des Fragens, des Suchens. Warum ich der darauf folgenden Johannes 15 zugrunde zu legen wünschte, weiß ich nicht. Nur das ist mir unvergeßlich, unter dem Lesen des Kapitels, dessen reicher Inhalt schon bald ein Halt bei einem der früheren Verse als Einschnitt für einen bis dahin reichenden Text nahegelegt hätte, wurde ich wie von einem inneren Zug getrieben, noch weiter zu lesen, bis meine Augen an den Anfang des 16. Verses kamen: ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt. Da gefiel es Gott, dies Wort unmittelbar mit Licht und Leben wirkender Kraft in meinen Geist zu senken. Ich erkannte, was freie Gnade ist, und konnte glauben an Vergebung und Erwählung auch für mich. Tags darauf predigte ich über Johannes 15, 1—16. Ich blieb nicht am letzten, mir so bedeutungsvollen Vers hängen, zog den ganzen Text in Betracht. Aber ich finde im Manuskript die Worte: „Seine Liebe ist sicherer als unser Zweifel, fester als unser Schwanken, beständiger als unser Bangen, höher als unsere Vernunft; nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt.“ Und kurz vorher den Satz: „Ich kenne jemanden, dem ist das sehr schwer geworden zu glauben, und es hat lange gedauert, bis er zur Freude kam. Aber bei diesem Wort: nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe

  • euch erwählt, ist’s helle im Herzen geworden“. Am Nachmittag dieses Sonntags, des sechsten nach Trinitatis, im Jahre 1891, traf ich mit dem prächtigen Inspektor der Christlichen Gemeinschaft St. Michael, Figge, der in meiner Gemeinde wohnte, zusammen; er sagte: wenn Sie alle Sonntage so predigen wie heute, dann dürfen Sie Gott einmal sehr dankbar sein. Er hatte den neuen Ton gehört.

  • (Soweit aus „Erkenntnisse und Erfahrungen“)

  • Auf dem Gesundbrunnen in der Stettiner Straße stand eine kleine Kapelle, in der ein Berliner Stadtmissionar predigte, sonstige Versammlungen hielt, Vereinsarbeit veranstaltete usw. Die Kapelle war gebaut von der Gräfin Waldersee, der Gemahlin des Chefs des großen Generalstabes. Als Weihnachten herannahte, hatte sie dem Stadtmissionar zugesagt, zur Weihnachtsfeier zu erscheinen. Und er forderte mich auf, auch zu kommen und eine Ansprache zu halten. So erwartete ich also die Gräfin Waldersee anzutreffen, von deren Eifer um Jesu Sache ich schon manches Mal gehört hatte. Aber als ihre Equipage vorfuhr, entstieg ihr nicht nur die Gräfin, sondern auch ihr Gemahl in Uniform. Er wohnte dann der Feier bei, mit Ansprache des Stadtmissionars und der meinigen, Deklamationen von Kindern und was an solchen Abenden veranstaltet zu werden pflegt. Dies alles mitzumachen, mußte der vielbeschäftigte Mann schon ein gut Teil Zeit hergeben. Aber die Gräfin wandte sich noch nicht zum Gehen. Ein paar alte Mütterchen mußten ihr noch das Herz ausschütten,


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  • und jedes hörte sie liebevoll an. Dem Grafen wurde es ein bißchen lang. Er ergriff den Muff seiner Frau, der in greifbarer Nähe lag, trat hinter sie und hielt ihr ohne ein Wort mit freundlichem Gesicht den Muff vor die Hände. Aber die Gräfin tat, als sähe sie es nicht. Erst mußten die Mütterchen befriedigt werden. In späteren geschichtlichen Büchern über die Zeit Kaiser Wilhelms II. wird auch stets der Graf Waldersee erwähnt. Man wirft ihm vor, sehr ehrgeizig gewesen zu sein und seinen Ehrgeiz darauf gerichtet zu haben, einmal Bismarcks Nachfolger zu werden. Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben. Aber ich empfand es doch als einen schönen Zug, daß der Chef des großen Generalstabes der deutschen Armee seine Frau begleitete in eine arme Straße am Rande von Berlin, um dort in der bescheidenen Stadtmissionskapelle diese Feier mitzumachen. Im späteren Leben, als Graf und Gräfin Waldersee in Hannover wohnten, wo er ein hohes militärisches Amt, das aber praktisch Kaltstellung war, bekleidete, begegnete ich ihm und seiner Frau noch einmal in einer Bibelstunde, die ich im CVJM hielt, auch hier also wieder an einem Ort, auf dem nicht der Glanz der Anerkennung der Großen dieser Welt liegt.

  • Der Sommer 1891 brachte mir einen Erholungsaufenthalt in Amrum und dort die Bekanntschaft zweier kirchlich angesehener Persönlichkeiten aus Bielefeld. Als dort in der Neustädter Gemeinde eine zweite Pfarrstelle gegründet wurde, nannten sie dem bisher einzigen Pfarrer meinen Namen, und ich wurde gewählt. Herbst 1892 begann dann jene Gemeindearbeit in Bielefeld, an die ich immer wieder mit bewegter Freude denke. Es war wie ein Frühling. Und noch heute habe ich lebendige Verbindung mit einer Anzahl nun schon alter Menschen, die damals den Glauben fanden. Wer lesen möchte, wie mein Weg weiter ging als Inspektor der Ev. Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika, als freier Evangelist, dann wieder als Pfarrer an der gleichen Bielefelder Gemeinde und schließlich als Mitarbeiter an der Theologischen Schule in Bethel, zugleich betraut mit dem Vorsitz im Gnadauer Verband und dann ausschließlich für diese Arbeit allein freigestellt, der kann es lesen in dem eingangs genannten Buch „Erkenntnisse und Erfahrungen aus fünfzigjährigem Dienst am Evangelium“.

  • Sehr bald nach Antritt meines Bielefelder Pfarramtes kam der schon vorher eingeladene Prediger Schrenk zu einer 15 tägigen Evangelisation nach Bielefeld. Ich besuchte möglichst jede seiner Abendversammlungen und Bibelstunden. Dabei wurde mir klar, daß bei ihm das Wort vom Kreuz noch eine ganz andere Rolle spielte als bei mir in meinen Predigten. Ich konnte ja nun Gottes frei schenkende Gnade mit voller Freudigkeit verkündigen und selbstverständlich im Namen Jesu, des Gekreuzigten und Auferstandenen. Aber hier bei Schrenk war es noch anders. Ich ging in seine Sprechstunde und sagte ihm, was mich bewege. Er machte nicht viel Federlesens mit mir, sondern sagte kurzweg: „Warten Sie nur, bis Sie den Schmutz im eigenen Herzen und in der Welt immer klarer erkennen. Dann wird das Kreuz wie von selbst immer mehr Ihre Zuflucht und Stern und Kern Ihrer Verkündigung“. So war es auch.

  • Und dazu kamen dann die persönlichen Führungen. Und das Ganze darf ich wohl als eine Vorbereitung auf meinen Gnadauer Dienst ansehen, um auch den Brüdern in der Gemeinschaftsbewegung, sofern sie es noch nötig hatten, zu helfen, für ihr Glaubensleben doch ja kein anderes Fundament zu haben als die Vergebung der Sünden — diese aber nicht verstanden als ein Übersehen der Sünden seitens Gottes, sondern als die Frucht der Gerechtigkeit durch den Glauben und Versetzung in einen neuen Stand; vergleiche Römer 3, 23—26 und 4, 5—8 und 2. Cor. 5, 17 ff. Ich bin im späteren Leben mit Brüdern der verschiedensten konfessionellen Zugehörigkeit, vom Dar- bysten bis zum strengen Lutheraner, zusammengetroffen, habe aber gefunden, wo zwischen uns das gleiche Fundament der Vergebung der Sünden war, da war wie von selbst die Brüderlichkeit vorhanden. Und immer, wenn es Brüder waren, welche Rechtfertigung und Heiligung auseinanderrissen und die zweite als eine höhere Stufe ansahen, da hatte ich immer die Empfindung, es ist etwas wie eine dünne Glaswand zwischen uns, obwohl wir doch demselben Herrn dienen wollten.

    1. Verlobung und Ehe

    1. Ich war noch niemals bis zu meinem 28. Lebensjahr im deutschen Hochgebirge gewesen. So beschloß ich, meinen Urlaub dort zu verleben in Begleitung eines Freundes, des Bielefelder Kreisschulinspektors. Man hatte uns aufmerksam gemacht auf ein Logis in dem Forsthaus des Försters vom Obersalzberg in einzig schöner Lage mit weitem Blick auf das ganze Berchtesgadener Tal und die Berge, die es umgeben. Das Mittagbrot nahmen wir ein in einer einfachen Pension, deren energische Wirtin uns beim Vorübergehen an ihrem Hause attackierte: sie hätte gehört, wir suchten einen Mittagstisch. An diesem nahm eine Dame aus Berlin teil, die gut bekannt war mit dem Prof. Linde, dem Erfinder der Eismaschine und des Verfahrens zur Verflüssigung der Luft. Er war auf dem Obersalzberg Eigentümer einer sehr schönen Besitzung. Die Berliner Dame redete mir zu, dort Besuch zu machen, was öfters von Seiten von Pastoren geschehe, die dann gelegentlich von dem Professor aufgefordert würden, in einem saalartigen Raume seines Hauses Gottesdienst zu halten, da man zum evangelischen Gottesdienst unten in Berchtesgaden gegen 400 m hinab- und wieder heraufsteigen müßte. Er war der Sohn eines hervorragenden bayrischen Dekans. An einem Nachmittag, wo der Regen strömte und jeden Ausflug verbot, machte ich mich zu diesem Besuch auf zur Verwunderung meines Freundes, der ein sehr zurückhaltender Niedersachse war und mich anstaunte, daß ich so einfach zu fremden Leuten ohne besonderen Grund ging. Dort fand ich die ganze Familie zusammen, und ich entdeckte in einer Tochter des Hauses ein junges Mädchen, dem ich schon Sonntags zuvor in der Kirche zufällig nahe gegenüber gesessen hatte und dessen Haltung mir aufgefallen war. Und richtig, Prof. Linde forderte mich auf, am nächsten Sonntag in seinem Hause zu predigen. Da mußte man ja vorher noch wieder einmal einen Besuch machen, um alle Äußerlichkeiten zu besprechen, und auch sonst ergaben sich einige wenige Zusammenkünfte mit dem j ungen Mädchen. Ich stand unter dem Eindruck: das ist die dir von Gott bestimmte. Und da das Ende meines Urlaubes nahte, hielt ich rasch entschlossen um ihre Hand an und erhielt sie auch. Sie ist für meine Lebensarbeit von unschätzbarer Bedeutung geworden. Sie war ein Mensch von unbedingter Aufrichtigkeit und unbestechlicher Wahrheitsliebe mit einem sehr klaren, sachlichen Urteil. Mit diesen Eigenschaften half sie mir manchen verknoteten Faden entwirren. Und wenn es Schwierigkeiten mit Menschen gab, so sagte sie, was auch zugunsten des anderen zu sagen war, und goß niemals öl ins Feuer. Auch hat sie mir nie geschmeichelt und eher etwas Kritisches als etwas Lobendes gesagt. Wir hatten 5 Kinder — 4 Söhne und 1 Tochter. Ich hatte von der Jugend der Söhne an gebetet, Gott möge jedem von den vieren den Beruf schenken, für den er ihn geschaffen und begabt habe. Das Gebet ist, soweit ich urteilen kann, erhört worden. Spaßig ist, daß die vier sich auf die vier alten Universitätsfakultäten verteilt haben. Der Älteste, der Theologe geworden ist, ein nach Charakter und Verstandesgaben reich begabter Sohn, aber mit einer zarten Gesundheit, machte den Ersten Weltkrieg als Funker mit und erlebte auf dem Balkan den ungewöhnlich heißen Sommer von 1916. Er trug ihm das Malariafieber ein, und jahrelang war er den schwächenden Anfällen dieser bösen Krankheit ausgesetzt, sein zarter Körper wurde noch mehr geschwächt. So mußte er leider bald sein erstes Pfarramt aufgeben und blieb leidend.

    2. Zu den vier Söhnen wurde uns eine Tochter geschenkt, die nach Absolvierung der Schule erst einige Jahre meine Gnadauer Sekretärin war und dann sich dem ihr sehr sympathischen Beruf als Kindergärtnerin widmete, den sie aber aufgab, weil sie einen Kirchenmusiker heiratete. Daß ihre Familie, Eltern und drei Kinder, im gleichen Haus mit mir wohnen, ist mir eine Freude, da ich so nach dem Tode meiner Frau (1949) nicht so einsam bin, wie ich sonst sein würde.

    1. Unter Amtsbrüdern

    1. Als ich Missionsinspektor war, hatte mich ein Pastor in Hinterpommern zu einem Missionsfest als Redner eingeladen. Der Sonntag war vorüber, die Abreise erst auf den Nachmittag des Montag festgesetzt. Und da das Wetter herrlich warm war, wanderten wir am Vormittag nach dem nicht weit entfernten Ostseestrand und hatten, im Sand der Dünen am Boden liegend, ein immer ernster werdendes Gespräch. Der Pfarrer schloß sein Herz auf und offenbarte eine tiefe Hoffnungslosigkeit im Blick auf das Wirken in dieser Gemeinde. Ich fragte ihn: „Wenn Sie auf die Kanzel gehen, glauben Sie dann, daß das Wort, das Sie predigen würden, heute etwas aus- richten kann ?“ Er sagte ganz offen: nein, daran habe er noch nie gedacht. Dann war ja seine Fruchtlosigkeit und seine Hoffnungslosigkeit erklärt. Und ich hoffe, jenes Gespräch auf den Dünen hat seine Frucht gebracht. Ein andermal hatte ein Pfarrer in einer der alten Hansastädte an der Ostsee mich auch aufgefordeit zum Missionsfest. Überhaupt verschaffte mir meine Eigenschaft als Missionsinspektor den Eingang in manches Pfarrhaus, wo man mich sonst wohl nicht aufgefordert hätte. Ich war Sonnabend angekommen. Nach dem Abendbrot forderte er mich auf, daß wir ein wenig in den Garten gingen, und während wir unablässig das Haus umkreisten, entspann sich ein sehr ernstes theologisches Gespräch, und zwar um die Bedeutung der Taufe, ein Gespräch, das zu Fragen führte, die für das Amt der Predigt und Seelsorge so bedeutsam sind. Die Zeit des Zubettgehens nahte, wir kehrten noch kurz in seine Studierstube zurück. Da sagte ich zu ihm, ob ich ihm wohl anbieten dürfe, daß wir miteinander beteten, und sagte beim Niederknieen, daß ich es lieber in dieser Haltung täte. Sehr bewegt stand er vom Gebet auf. Wir blieben von da an in naher, schöner, brüderlicher Verbindung, und er erzählte mir später, es habe ihn tief erschüttert, sich sagen zu müssen, so auf den Knieen hast du noch nie mit einem Gemeindeglied frei gebetet, und da kommt dieser fremde Mann ins Haus und bietet es dir am ersten Abend an. Es wurde etwas ganz Neues in seiner Arbeit.

    2. Es gibt viele Pastoren, von denen der Herr wohl sagen könnte wie bei Lazarus: löst ihn auf und laßt ihn gehen. Sie sind von Vorurteilen gebunden, sie trösten sich mit dem gefährlichen Trost, das Wort wirke schon, auch wenn man nichts davon sehe, sie wagen es nicht zu glauben: heute kann die Botschaft in meinem Munde seine erweckende und lebendig machende Kraft erweisen. Sie glauben nicht an die Bereitwilligkeit unseres Vaters im Himmel (vergl. Luk. n, 9—13), dem Prediger den heiligen Geist zu geben, und darum beten sie nicht um seine Ausrüstung bei ihrem Dienste. Es kann einen tief im Herzen bewegen, daß es viele Prediger gibt, von denen eben Jesus jenes Wort sagen müßte, und es ist keiner da, der die Tücher, mit denen sie gebunden sind, auflöse. Und sich selbst muß man anklagen, daß man nicht noch viel inniger und anhaltender vor jedem Wortdienst um die Ausrüstung des Geistes gebeten hat.

    3. Bei der Gelegenheit möchte ich meine Amtsbrüder fragen, in welchem Zeitverhältnis steht bei der Vorbereitung eurer Predigt die exegetische Bemühung um den Text und dann um seine Anwendung einerseits und andererseits das Flehen zu Gott, daß er euch mit seinem Geiste salbe, daß er Menschen herzuführe, denen das Gesagte hilfreich sein kann ? Ich fürchte, wenn wir uns das klar machen, werden manche Prediger betroffen sein, wie wenig Zeit sie neben dem anderen dem Gebet für die in der Kirchgemeinde oder Versammlung zu haltende Predigt verwenden. Alle die Männer, denen in einem ungewöhnlichen Maße Frucht ihres Predigtdienstes geschenkt worden ist, waren Beter. Ein alter Freund von mir, der die Segenszeit miterlebt hat, die im Ravensberger Lande von dem Pastor Volkening ausgegangen ist, erzählte, dieser habe einmal eine Predigt mit den Worten begonnen: ich stehe hier auf dieser Kanzel seit heute morgen drei Uhr. Man wird verstehen, was er damit gemeint hat. Ich meine nun nicht, daß wir alle um drei Uhr aufstehen sollten, um Zeit für Gebet zu haben. Aber welche Zeit räumen wir dem Gebet für die Predigt überhaupt ein ? Ich habe es zu oft erlebt in meinem Dienst, als daß es jedesmal Zufall gewesen sein könnte oder die Folge irgendwelcher besonderer Umstände, daß die Kirche um so voller war, je ernster ich für die Predigt gebetet hatte. Ich bin zwar nie Gemeindepastor in einer unkirchlichen Gegend gewesen, wo dem Pastor der Mut entsinken will angesichts der 6—7 Leute, die da sonntäglich kommen. Aber vielleicht dürfte für solche ein Hinweis gegeben sein in den Lebenserinnerungen eines Landgeistlichen, vom späteren Generalsuperintendenten Büchsei. Er begann sein Fürbitteleben für die unkirchliche Gemeinde zunächst damit, daß er seine Fürbitte auf einen ganz kleinen Kreis von Menschen richtete. Aber ich will hier gar keiner Methode das Wort reden. Nur soll der Prediger sich klar sein, daß die Unkirchlichkeit wie ein Bann über der Gemeinde liegen kann und daß schon manchen die Gnade zum Gebet geschenkt worden ist, daß dieser Bann gebrochen wurde. Gegen die Macht der Finsternis müssen wir die Gotteskraft streiten lassen, die wir erflehen.

    4. Es gilt auch zu beten, daß Gott die Ursachen der Unkirchlichkeit aufdecken möge. Die Geschichte der Mission zeigt manches Beispiel, wie ein Zauberpriester ein ganzes Dorf unter seinen Bann hielt und wie der Bann schwand, als Gott diesen Zauberpriester bekehrte. So kann auch bei uns ein ganzes Dorf unter dem Bann von Zauberei liegen, die bei Krankheiten von Menschen und Vieh angewandt wird, deren Realität in vielen Fällen in dem wirklichen Gesundwerden offenbar wird. In einem kleinen Ort evangelisierte einmal ein Freund von mir. In den ersten 3—4 Tagen war es ihm, als rede er

    5. gegen eine Wand. Da dachte er, sollte hier ein Bann der Zauberei vorliegen? Und am nächsten Abend predigte er sehr ernst über die Anwendung von Zaubereimitteln. Sofort nach der Predigt stellte sich wütend in der Sakristei der Lehrer des Dorfes ein. Er gerade war es, der immer zu den Besprechungen usw. herangezogen wurde. Es gab ein heißes Ringen um den Mann. Aber der Geist siegte über die Finsternis. Er erkannte die Sündhaftigkeit seines Tuns, suchte und fand Vergebung. Und siehe da, der Bann war gebrochen, der über der Gemeinde lag. Der Rest der Evangelisation verlief in großem Segen. Da werden oft geschichtliche und psychologische Untersuchungen angestellt, warum eine Gemeinde so unkirchlich sei; aber auf den Gedanken kommt man nicht, daß hier vielleicht Mächte der Finsternis geschäftig seien, denen in der Waffenrüstung Eph. 6, io f. entgegengetreten werden muß. Wenn ich Gelegenheit hatte, mit dem Bahnbrecher der Evangelisation in Deutschland, Elias Schrenk, vor seinen Ansprachen zu beten, so habe ich so manches Mal gehört, wie er betete: reinige die Luft von den Geistern der Finsternis, oder sonst einen Ausdruck, aus dem mir klar wurde, wie ihm die Macht der Finsternis als Hemmung für die Wirkung des Wortes bekannt war.

    6. Verkündigungsdienst ist Priesterdienst. Der Predigende muß ein Priester sein. Priester sein heißt fremde Schuld und Bindung auf sich nehmen wie eigene und aus dieser Haltung heraus Gott anrufen. Pastor Volkening, den ich öfters erwähne, weil ihm eine so ungewöhnliche Frucht seines Dienstes beschert war, der ich lange nach seinem Tode noch begegnete, pflegte an Kranken- und Sterbebetten zu beten, als wenn er der Kranke wäre, und so stellvertretend für ihn vor Gott zu treten. Also über den schwachen Kirchenbesuch, über den harten Herzensboden nicht schelten und klagen, sondern einzelne in der Gemeinde und die ganze Gemeinde in priesterlicher Weise auf sein Herz nehmen und zu Gott rufen. Solch priesterliches Beten hat eine lösende Kraft. Übrigens auch bei Konfirmanden, die einem besondere Not machen. Viel besser als Strafarbeiten, als Schelten oder gar schlagen (was im Konfirmandenraum nicht geschehen sollte —) ist priesterliches Gebet für die Kinder. Durch solchen Dienst erfüllen wir erst in Wahrheit das Wort der Schrift vom allgemeinen Priestertum.

    7. Ich hatte das Glück, mit einem Kreis von Amtsbrüdern verbunden zu werden, die sich zu Anfang des Jahrhunderts im Pfarrergebetsbund zusammenschlossen, dessen Leitung mir übertragen wurde, nachdem der langjährige Vorsitzende Alfred Christlieb entschlafen war. Die Aufgabe dieses Bundes ist, füreinander und für die Amtsbrüder in der Kirche zu beten und in Jahreskonferenzen und kleineren Zusammenkünften aus dem Worte Gottes sich geistlich zu stärken. Ach, wieviel gleich- gesinnte Brüder habe ich da kennengelernt. Jetzt liegt die Leitung des Bundes, mit einer geringen Änderung des Namens in Pfarrergebetsbruderschaft, in den Händen von Erich Schnepel, unter dem er auch zahlenmäßig sehr gewachsen ist und jetzt etwa 1000 Mitglieder zählt.





    1. Verschiedene Methoden der Seelsorge

    1. Darüber möchte ich noch einige Worte diesem dem Dienst unter den Amtsbrüdern gewidmeten Abschnitte anfügen. Man könnte unterscheiden eine zugreifende und eine abwartende Seelsorge. Bei der ersteren hat der Seelsorger sein Ziel vor Augen und geht möglichst schnell und energisch mit Fragen, die er stellt usw., auf das Ziel los. Bei der abwartenden Seelsorge läßt der Seelsorger sich mehr führen von der Art, wie das Gespräch verläuft, und hofft auf einen Augenblick, wo sich wie von selbst ergibt, was er dem betreuten Menschen als Hilfeleistung zu sagen hat. Welche von beiden den Vorzug verdient, wage ich nicht zu entscheiden. Sie haben beide ihre Vor- und Nachteile, jede hat ihre Gefahren. Nach welcher Methode der Seelsorger verfährt, ist sicherlich auch durch seine Natur mitbestimmt. Ich gehöre zu denen, die auf das Abwarten in der Seelsorge angewiesen sind. Doch habe ich mich zuweilen auch der anderen bedient. Ich durfte es nur dann nicht anwenden, wenn ich einmal durch Zusammensein mit Amtsbrüdern, welche die Gabe der zugreifenden Seelsorge hatten, beunruhigt worden war, ob ich mich nicht auch zu zaghaft benähme, so daß ich dann unter einem gesetzlichen Druck handelte. Hiervon ein Beispiel: Ich fuhr von einer Konferenz in Berlin, wo sehr der aggressiven Seelsorge das Wort geredet worden war, nach Bielefeld nach Hause. Ich steckte mir also ein paar Viebahnsche „Zeugnisse“ in die Tasche und sah mir in dem Abteil H. Klasse, in dem

    2. ich fuhr, meine „Opfer“ an. Neben mir saß ein großer, starker Herr, anscheinend ein rheinischer Industrieller. Allmählich leerte sich das Abteil, weil die Leute in den Speisewagen gingen, und ich blieb mit dem Herrn allein. Jetzt ist der Augenblick gekommen, sagte ich mir. Ohne weitere Einleitung und Anknüpfung reichte ich ihm den Viebahn-Traktat nur mit den Worten, ob ich ihm das geben dürfte. „Bitte schön“, sagte er, nahm es höflich an, ohne hineinzublicken und stellte sich dann in den Gang des D-Wagens, um das Blatt zu lesen. Nach wenigen Augenblicken kam er herein, ich kann nur sagen, wütend wie ein Stier, und fuhr mich an — es fehlte nicht viel, daß er tätlich geworden wäre —: „Warum haben Sie mir dies Ding gegeben?“ „Nun, ich dachte, es könnte Ihnen der Inhalt einen Dienst erweisen.“ — „Woher wissen Sie, daß ich ein Gottloser bin?“ — Im Eifer des Gefechtes hatte ich versäumt, den Traktat erst selber zu lesen. Fettgedruckt stand an seiner Spitze: So spricht der Herr: Ich habe nicht Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß er sich bekehre und lebe. Also hatte ich ihn nach seiner Meinung unter die Gottlosen gerechnet. Das war er aber natürlich nicht, sondern ein ehrbarer Mensch, der auf Familienfesten auch von der Kirche Gebrauch machte, und dem kein Pastor etwas nachsagen konnte. Nun fühlte er sich beschimpft als Gottloser. Mit Mühe beruhigte ich ihn, und als ich in Bielefeld ausstieg, war der Abschiedsgruß recht unfreundlich. Man gehe sorgsam mit Traktaten um und verteile keine, ohne sie vorher selber gelesen zu haben. Sonst kann es gehen, wie dort in der Eisenbahn.

    1. Ein weiterer Vorgang. Als ich nach Bielefeld kam, standen in meinem Bezirk, der städtisch und ländlich gemischt war, in den Häusern noch viele Webstühle. Die Fabriken hatten noch nicht die ganze Hausindustrie aufgesogen. Unter den Webern war ein besonders geschickter Damastweber. Es war eine ordentliche und glückliche Familie, freilich mit einer traurigen Ausnahme. Dieser tüchtige Weber war ein Quartalstrinker, und wenn er seine Tour hatte, da war es, als wäre ein Dämon in ihn gefahren. Er hatte einen etwa 20 jährigen Sohn, den er sehr liebte, der schwindsüchtig war, und es kam vor, wenn dieser mit seiner Atemnot ringend in der engen, niedrigen Schlafkammer lag, daß der Vater mit qualmender Pfeife sich in diese Kammer setzte und dem Schweratmenden das Ringen noch erschwerte. Aber ich bekam ihn nie zu fassen. Das alte Haus, das sein Eigen war, lag etwa 100 m von der Straße entfernt, und man konnte den Weg übersehen von der Straße zum Haus. Wenn er mich kommen sah, verschwand er in irgendeinem anderen Raum und war nicht auffindbar. Einmal am späteren Abend kam eine Schwester des Kranken, ich möchte doch gleich einmal kommen, der Vater habe wieder seinen Zustand und es sei nicht mit ihm auszuhalten. Jetzt trat ich im Dunkeln ins Haus und gleich in die Stube, in der er saß. Es war ihm sehr fatal. Aber ich stellte meinen Stuhl so hin, daß er über meine Beine hätte hinwegsteigen müssen, wenn er mir aus seiner Ecke zwischen Tisch und Wand, in der er saß, hätte entfliehen wollen. Er war nun geschwätzig wie ein Betrunkener, aber bei Besinnung. Ich ließ ihn reden und


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