Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 038 D. Walter Michaelis Nachlese aus fünfzigjährigem Dienst auf dem Acker des Evangeliums



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Michaeli»





    1. reden, ohne zu antworten, bis er sich ausgeschwätzt hatte und ich ihm dann ein paar ernste Worte sagen konnte. Zum Schluß sagte ich: „Lieber Herr G., ich möchte jetzt gern noch mit Ihnen beten. Aber wissen Sie, ich tue das gern knieend“. Und dann kniete ich vor meinem Stuhl nieder. Widerstrebend tat er jetzt dasselbe. Ich ging, und die Sache schien für dies Mal erledigt. Ein späteres Mal traf ich ihn doch wieder, und zwar in voller Wut gegen mich. — Aber Herr G., was habe ich Ihnen denn getan? — Wie einen Verbrecher haben Sie mich behandelt, der auf den Knien um Gnade winseln muß. Ich bin kein schlechter Mensch. — Das also hatte den Stachel hinterlassen, daß er in unwillkürlicher Nachahmung auch niedergekniet war. Die nächsten Stadien seiner Entwicklung weiß ich nicht, nur, daß er sich gründlich bekehrte nicht nur vom Alkohol, sondern zum Herrn überhaupt und, wie ich nach meinem Weggang von Bielefeld hörte, nach einem schweren Leiden, das er wie ein Christ getragen hat, im Glauben starb.

    2. Viel zahlreicher sind bei mir die Beispiele für abwartende Seelsorge. Das Gespräch nahm eine Wendung, wo mir gegeben wurde, das lösende Wort zu sprechen. Ich denke an jenen jungen Ingenieur, der unmittelbar nach der Predigt mich im Pfarrhaus aufsuchte und sagte, er ringe um Heilsgewißheit. Als ich mit ihm betete, verwandte ich im Gebet die Worte aus Maleachi: „Euch, die ihr meinen Namen fürchtet, soll die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen und Heil unter ihren Flügeln“. Da stand er leuchtenden Angesichtes auf. Es war ihm Antwort geworden auf seine Frage.

    3. So hat Gott die verschiedensten Wege, sei es aggressive, sei es abwartende Seelsorge. Ich denke, es muß nur ein jeder sich selber treu bleiben und sich nicht gewaltsam in ein Verfahren drängen lassen, das seinem Auftrag nicht enspricht. Wenn es Gott gefiel, Menschen durch mich zum Glauben zu helfen, so geschah es in den viel selteneren Fällen durch seelsorgerliche Gespräche; aber das darf ich mit beschämtem Danken bekennen: unter dem gepredigten Wort, einfach unter dem gepredigten Wort in den sonntäglichen Gottesdiensten oder in der Bibelstunde ist vielen das Licht des Evangeliums aufgegangen, und sie sind seitdem entsprechend gewandelt.

    4. Es sei noch zweier seelsorgerlicher Fälle gedacht. Ich befand mich auf einer Konferenz in einer fremden Stadt. Da trat in mein Zimmer ein junges Mädchen von etwa 25 Jahren mit einem so verängstigten Ausdruck im Gesicht, daß ich mir, zumal nachdem sie sich ausgesprochen hatte, sagte: hier ist Gefahr im Verzüge, daß sie in einer Anstalt endigt. Vergeblich war mein Bemühen, ihr ins Herz zu reden, daß in Christus alles gegenwärtig wäre, wonach sie sich sehne, und vor allem was die Schuld bedeckte, die sie quälte. Da konnte nur noch die von Jesus den Seinigen gegebene Vollmacht aus Matth. 18, 18 helfen. Und so stellte ich ihr diese Vollmacht vor Augen und sagte: „Nachdem Sie ihre Schuld erkannt und bekannt haben und sagen, daß Sie an Christus glauben, nehme ich auf mein Gewissen, daß sie Ihnen vergeben ist.“ Sie konnte den Trost der Absolution fassen und verließ mein Zimmer mit einem völlig verwandelten Gesicht.

    1. Es war auch ein junges Mädchen, welches aus einer Nachbarstadt von Bielefeld zu mir kam mit der Not, daß sie die Vergebung der Sünden nicht fassen könne, d. h. sie könne sie wohl je und dann fassen, aber dann sei es gleich wieder vorüber. Nun, ich sagte ihr zunächst, was über Vergebung zu sagen nötig ist; aber es war ihr keine Hilfe. Da wurde mir ein rettender Gedanke geschenkt. Ich sagte zu ihr: „Wenn Sie abends die Haustür zugeschlossen haben und sind in Ihr Zimmer zurückgekehrt, dann drehen Sie gewiß oft noch mal um, weil es Ihnen zweifelhaft geworden ist, ob Sie auch wirklich zugeschlossen hatten und wiederholen das womöglich noch einmal“. — Sie sah mich mit erstaunten Augen an: „Ja, so ist es“. — „Nun sehen Sie“, sagte ich, „die immer wieder sich einstellende Unsicherheit ist nicht die Folge mangelnden Glaubens, sondern Ihrer Nerven. Sie leiden an dem, was der Arzt Zwangsvorstellung nennt. Wenn also in Ihrem Glauben die Unsicherheit Sie wieder überfallen will, so sagen Sie sich, das sind meine Nerven, und glauben und bleiben im Glauben trotz Ihrer Nerven. Wenn sich Ihnen dieser mein Rat als probat erweist, dann schreiben Sie mir.“ Nach ein paar Wochen bekam ich einen frohen Brief: es ist alles in Ordnung.

    2. Wir leben in einer Zeit, wo große geschäftliche Schwierigkeiten viele Kaufleute vor ernste Gewissensfragen stellen. Da ist mir in meiner Bielefelder Gemeinde ein Kaufmann begegnet, dessen Vorbild mir immer stärkend und lehrreich war. Als er noch ein junger, kaufmännischer Angestellter war, ließ ihn der altgewordene Inhaber eines gut gehenden Kolonialwarengeschäftes zu sich bitten und sagte zu seiner größten Überraschung zu ihm: „Herr K., ich muß mich zur Ruhe setzen und möchte Ihnen mein Geschäft verkaufen.“ — „Ja“, sagte lachend mein junger Freund; „aber woher soll ich den Kaufpreis nehmen? Ich habe nur 3000,— M auf der Sparkasse“. — „Nun“, sagte der alte Herr, „dann zahlen Sie mir die 3000,— M und für das andere sind Sie mir gut“. Und so kam er wirklich in den Besitz des Geschäftes. Nun war er als Christ der Überzeugung, daß man den Feiertag heiligen und am Sonntag das Geschäft geschlossen halten müsse. Und am ersten Sonntag, wo er nun neuer Eigentümer war, handelte er danach. Da wurde von einigen Kunden, die es anders gewohnt waren, Sonntagmorgen an der Tür gerüttelt und Ware verlangt. Freundlich setzte er ihnen auseinander, daß er am Sonntag nicht verkaufen wolle. Die meisten machte das unwillig, und sie sagten: „Wenn Sie uns am Sonntag nicht verkaufen wollen, dann brauchen wir in der Woche auch nicht zu Ihnen zu kommen“. Es war halt ärgerlich, wenn man gerade für den Sonntagmittagstisch noch etwas in dem gewohnten Geschäft kaufen wollte und nichts bekam. Aber mein Freund stellte die Sache Gott anheim, und Gott hat es ihm gelingen lassen. Er schärfte seinem Personal ein, bei dem Abwiegen gebt eher mehr als zu wenig, wenn der Zeiger der Waage hin und her schwankt. Und auch sonst war bei ihm gute Ware zu haben. So blühte sein Geschäft so auf, daß es meiner Erinnerung nach zum zweitbesten Kolonial- und Delikatessengeschäft in der Stadt wurde. Dieser junge Kaufmann wurde mir durch viele Jahre hindurch ein wichtiger Helfer in finanziellen Fragen des großen Gemeinschaftshauses, das ich erworben hatte. Und so manches Mal habe ich zu besorgten und in ihrer Haltung hin und her schwankenden Geschäftleuten von ihm erzählt. Der treue Mann, an dem die Echtheit seines Christentums in der Stadt bekannt war, war ein lebendes Beispiel zu dem Wort: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles zufallen“, und darf uns vielleicht etwas sagen auch in unserer Zeit, die so viel anders ist als die damalige.

    1. In Zusammenarbeit mit Bodelschwingh Vater und Sohn

    1. Ich möchte dieser Zusammenarbeit einen eigenen Abschnitt widmen. Die beiden Männer waren doch in ganz besonderer Weise mit ihrem Sein und Wirken von der übrigen Pastorenschaft unterschieden. Als ich Pfarrer in der Stadt Bielefeld geworden war, kam ich bald mit Vater Bodelschwingh in Berührung, weil das von ihm begründete und herausgegebene westfälische Sonntagsblatt vom Verein für Innere Mission in Bielefeld übernommen und mit einem neuen Schriftleiter versehen werden sollte. Dazu hatte man mich ausersehen. Aber Vater Bodelschwingh wünschte mich natürlich erst kennenzulernen. Er sagte zu mir: „Können Sie das wohl, ein solches Blatt redigieren?“ Ich war im Grunde meines Herzens entrüstet über die Frage. Ich sollte nicht ein Sonntagsblatt redigieren können? Ja, so ist man als junger Mann. Ich beherrschte mich aber doch soweit, daß ich eine leidlich bescheidene Antwort geben konnte. Aus dieser und gelegentlich folgender Berührung mit ihm wurde ein festes Verhältnis, als ich Inspektor bei der Evangelischen Missionsgesellschaft für Deutsch-Ostafrika wurde, deren Leitung damals noch in Berlin war, aber mit Bethel, wo Vater Bodelschwingh das Herz und der Motor der ganzen Sache war, nahe Verbindung hielt, bis die Gesellschaft ganz dorthin verlegt wurde. Da habe ich manchen Blick in seine Grundsätze und Eigenschaften getan, die trotz viel Redens und Schreibens über Vater Bodelschwingh manchmal übersehen oder nicht erkannt worden sind. Warum strömten ihm so große Summen zu ? Kam das wirklich nur her von seiner herzangreifenden Art zu bitten und den glücklichen Einfällen, mit denen er die Menschen um Gaben für die Leidenden bat ? Es lag, glaube ich, noch tiefer. Er wertete die Gaben nach dem Maßstab, den Jesus offenbarte, als er beim Opferstock stand. Da imponierten ihm nicht die Gaben der Reichen, aber jener Witwe, die ihre ganze Habe hingegeben hat, zollte er Lob. — Bodelschwingh hatte die Gewohnheit, beim Gottesdienst am Heiligabend nach der biblischen Ansprache Briefe vorzulesen von der Kanzel, mit denen Weihnachtsgaben für die Anstalt verbunden gewesen waren. Ich habe mehrere dieser Gottesdienste erlebt. Da wurde fast niemals (eigentlich entsinne ich mich keines Falles) eine große Summe erwähnt, obwohl ja gewiß auch Hundertmärker und höhere Summen dabei waren, sondern immer waren es kleine, auch selbst leidende Leute, die eine rührende Gabe geschickt hatten, deren Wert nicht in der Zahl der Mark und Pfennige, den sie darstellte, lag, sondern in der Liebe, mit der sie gegeben oder oft selbst angefertigt war. Die höchste Summe, deren ich mich entsinne, waren 300 M, von einem Dienstmädchen, wie man damals sagte. Es war aber der ganze Inhalt ihres Sparbuches. Auch glaubte er, daß er den Menschen einen Dienst erzeige, wenn er sie für das Bethelwerk oder die Mission um Geld bat, denn er bot ihnen eine Gelegenheit, wohlzutun und mitzuteilen. Das machte sein Bitten so freimütig. Ein anderer Wesenszug sei durch folgendes Erlebnis illustriert. Wir beide, Missionsinspektor Tritteiwitz und ich, saßen bei ihm, um zu überlegen, ob das anscheinend sehr hoffnungsvolle Missionswerk in Ruanda, westlich vom Vic- toria-Njansa-See in Angriff genommen werden sollte. Das erforderte natürlich plötzlich einen stärkeren Einsatz an Arbeitern. Nun hatte die Ostafrikamission nicht wie die anderen Missionen ein Missionsseminar. Sie hatte nur das Kandidatenkonvikt in Bethel (nicht zu verwechseln mit der später gegründeten theologischen Schule), wo Kandidaten mit der berühmten blauen Schürze dienten, in der sie Halbtagsarbeit taten in den Krankenhäusern und nachmittags unter einem Inspektor theologisch arbeiteten. Dort hatte die Glut, mit der Bodelschwingh für die Mission glühte (er hatte ja einst selbst Missionar werden wollen), gezündet. Und im Laufe der Jahre ging eine Reihe von jungen Theologen als Missionare aus diesem Kandidatenkonvikt hervor. Aber es tröpfelte nur. Und immer wieder hatten wir schon überlegt, wie wir die Frage der Gewinnung und

    2. Ausbildung der Mitarbeiter neu gestalteten. Als wir nun zu jener Erwägung über Ruanda beieinander saßen, sagte ich: „Wir können diese Arbeit nicht anfangen, ehe nicht die Frage der Ausbildung usw. gelöst ist“. Da packte ihn, wie es leicht bei ihm der Fall war, die Leidenschaft. Er schlug auf meine Schulter und rief zornig: „Wenn Gott eine Aufgabe gibt, dann reicht er auch alles Nötige für ihre Lösung dar“. Das glaubte er von ganzem Herzen. Und daher erklärte sich manches Unternehmen, das er anfing, wobei besorgte Vorstandsmitglieder von Leichtsinn sprachen.

    3. Die Sitzungen konnten unter Vater Bodelschwingh einen dramatischen Charakter annehmen. Sein ihn und die Mitarbeiter fortreißender Geist setzte sich dann über die Geschäftsordnung hinweg und stellte manches Mal die übrigen vor vollendete Tatsachen. Bei Friedrich Bodelschwingh, dem Sohn — Pastor Fritz, wie er in der Anstalt in seinen früheren Jahren genannt wurde — ging alles seinen geordneten Gang. Es war ein Vergnügen, unter ihm zu tagen. Ohne Worte übte er eine feste Zucht aus, daß nicht viel und nicht vom Wege Abführendes gesprochen wurde. Es ging alles mit der größten Sachlichkeit vor sich. Sachlichkeit setzt ja immer ein Freisein vom Ich voraus. Und ich muß allerdings sagen, daß ich kaum sonst einem Menschen begegnet bin, bei dem das Ich so in den Hintergrund trat. Ich empfing persönlich einen tiefen Eindruck davon an jenem 25. Juni 1933, einem dunklen Tage in der Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Gegensatz zwischen dem von Hitler bestellten Bevollmächtigten für kirchliche Angelegenheiten und daher künftigen Reichsbischof Müller und dem von der Mehrzahl der Landesbischöfe zum Reichsbischof gewählten Friedrich von Bodelschwingh war auf seiner Höhe angekommen. In Eisenach tagte der Kirchenausschuß, wo es sich entscheiden mußte, ob Bodelschwingh blieb. Und die einzelnen Kirchen hatten außer den Mitgliedern des Ausschusses Mitglieder ihrer Behörden mitgesandt wegen der Wichtigkeit der Situation. Im Verlauf der Sitzung bat Bodelschwingh die in Bethel wohnhaften Mitglieder der Versammlung, daher auch mich, zu einer Beratung, ob er seinen Auftrag als Reichsbischof niederlegen solle. Ich konnte mich nicht der Notwendigkeit dieses Schrittes verschließen. Ein Teil seiner Wähler war nämlich über die eigene Courage erschrocken und stand nicht mehr hinter ihm. Dann war es aber ein aussichtsloser Kampf zwischen Müller, hinter dem die Macht der Partei stand, und Bodelschwingh. So wurden wir einig, er solle in der Sitzung mitteilen, daß er niederlege. Leider wurde sie nicht geleitet von ihrem bisherigen Vorsitzenden, dem Präsidenten des Berliner Ober- kirchenrates, D. Kapier, dem sein Gesundheitszustand die Teilnahme verbot. Statt dessen leitete sein Stellvertreter, ein Laie aus einer außerpreußischen Landeskirche, auf diesem Platz in dieser Stunde ein hilfloser Mann. Das zeigte sich auch darin, daß, als Bodelschwingh seine kurze Erklärung abgegeben hatte und sich dem Ausgang zuwandte, um die Sitzung zu verlassen, er nicht einmal auch nur ein Wort persönlicher oder sachlicher Art für diesen schicksalsschweren Augenblick hatte. Und wenn nicht ein Mitglied des Ausschusses, der Präsident des Reichsgerichts, Simons, ein dankendes Abschiedswort an Bodelschwingh gesagt hätte, als dieser schon im Gehen war, so wäre dieses folgenschwere Ereignis im Kirchenausschuß ohne Sang und Klang vorübergegangen. Der Landesbischof einer kleinen Kirche, der mir gegenüber saß, flüsterte vor sich her, als Bodelschwingh seine Niederlegung kundgab: Gott sei Dank, Gott sei Dank. Und im Vorraum saßen die Begleiter bei Kaffee und Zigarre und Zigarette in einer Gleichmütigkeit, die mich erschütterte. Soweit ich mich entsinne, war der Präses der preußischen Landessynode, D. Winkler, der einzige, der über der Situation stand und tapfere Worte sprach und zu solchem Tun anregte. An diesem Tage empfing ich jenen mich tief bewegenden Eindruck von der Sachlichkeit Bodelschwinghs. Es trat ein Herr an mich heran, der in naher Beziehung zu dem Herrn Müller stand, und sagte mir, Müller habe von Berlin telefoniert und ihn gebeten, Bodelschwingh ein Wort darüber zu sagen, wie sehr Müller auch in Gedanken an ihn an diesem Geschehen teilnehme. Der Beauftragte fügte aber hinzu, es sei ihm zu schwer und peinlich, zu Bodelschwingh zu gehen, ob ich nicht den Auftrag Müllers an ihn weitergeben wolle. Ich hatte keinen Grund, es nicht zu tun und begab mich etwa um x/2n Uhr abends noch in sein Hotel. Er hörte sich die Botschaft mit einem freundlichen Lächeln kurz an, und damit war die Sache für ihn erledigt. Und im gleichen Atemzuge fuhr er fort: wie geht es deinem Sohn Paul ? (dem leidenden Ältesten) und unterhielt sich mit mir eingehend und liebevoll über diesen Sohn, als hätte ich ihn auf seinem Arbeitszimmer in Bethel in dieser Sache aufgesucht. Keine Spur von Gekränktheit oder Beschämtsein durch die Niederlage. Wo war das Ich? Von da an betrachtete er sich als Reichsdiakon der Kirche und wandte als solcher viel Mühe daran, daß er auf der Konferenz kirchlicher Führer in Treysa nach dem Zusammenbruch im September 1945 die Gegensätze zwischen Reichsbruderrat und Lutherischem Rat auszugleichen versuchte. Die Tagung war auch kein Ruhmesblatt in der Geschichte der Kirche. Es war wie ein Tauziehen von zwei Seiten um die Zusammensetzung der künftigen vorläufigen Kirchenleitung. Es erinnerte mehr an ein weltlichparlamentarisches Verfahren als an eine im Geist sich vollziehende Arbeitsgemeinschaft. Es nahm Bodel- schwingh sehr mit. Ein ihm nahestehender Mensch schrieb mir nach seinem Tode, er habe nach Rückkehr von Treysa niemals auch nur ein Wort über die dortigen Vorgänge gesprochen. Mir war es eine herzliche Freude — und deswegen darf ich das vielleicht hier berichten —, daß er am zweiten Tage des Ringens zwischen jenen beiden Körperschaften zu mir und einigen Herumstehenden sagte: und wenn sie sich bis heute abend nicht einigen, muß uns Vater Michaelis eine Predigt halten. Ein anderes Mittel als das Wort Gottes zur Geltung zu bringen, sah er offenbar nicht mehr.

    4. Ich erwähne noch eine kleine Episode aus Vater Bodelschwinghs Leben. Man erkennt ja manchmal gerade aus den kleinen Handlungen eines Menschen seinen Charakter. Es war um die Zeit, da er Mitglied des preußischen Landtages war und ich Inspektor bei der Ostafrikamission. Er wünschte mit mir etwas zu besprechen, konnte aber bei seiner ungeheuren Inanspruchnahme mich nur ersuchen, zum ersten Frühstück in das Michaelhospiz zu kommen, wo er immer wohnte, mit ihm dann in einer Droschke zum Finanzministerium zu fahren, wo er den Minister zu sprechen wünschte. So geschah es denn auch. Ich wartete im Vorzimmer des Ministers, während Bodelschwingh mit ihm verhandelte. Es dauerte sehr lange. Offenbar widerstand der Minister seinen Bitten. Endlich überwand ihn doch Vater Bodelschwingh wenigstens soweit, daß er ihm eine gewisse Hoffnung machte. Die Tür öffnete sich, und ich hörte durch den breiten Spalt gerade noch, wie der Minister zum Abschied zu ihm sagte: „Aber, Herr von Bodelschwingh, ich bitte darum, daß Sie nicht im Landtag sagen: der Minister, das hebe Kind, hat mir schon alles versprochen“. Als er wieder in den Wagen stieg, sagte er, mehr vor sich hin:,,Was habe ich den Mann gebeten 1“ Wahrscheinlich hatte es sich um das ihm so sehr am Herzen liegende Gesetz zugunsten der Brüder von der Landstraße gehandelt. Doch nicht wegen der spaßigen Bemerkung des Ministers schreibe ich dies nieder; die eigentliche Sache kommt noch. Wir stiegen nun wieder in unsere Droschke und fuhren zum Abgeordnetenhaus. Das alles hatte lange gedauert. Pastor von Bodelschwingh sagte zu dem Führer des Taxameters: „Nun, lieber Freund, was bekommen Sie?“ — Der sah auf die Uhr, sie war bedenklich weit gelaufen, und er nannte eine ziemlich hohe Summe. Ich sehe den Vater Bodel- schwingh noch neben mir in der Droschke stehen und in seinem Geldbeutel nach den entsprechenden Münzen suchen und höre ihn, wie er leise vor sich hin sagt: „Freut mich, daß so ein Mann mal etwas Ordentliches verdient“. Bei wieviel Menschen wäre das wohl die erste Gefühlsregung gewesen?

    1. Meine Verbindung mit der Gemeinschaftsbewegung

    1. Über ihre Entstehung, Größe und Organisation und über das Maß ihrer Verwandtschaft mit angelsächsischem Christentum, über ihr Verhältnis zur Kirche, habe ich mich in „Erkenntnisse und Erfahrungen“ so ausführlich geäußert, daß ich es hier nicht wiederholen will. Aber ich will Antwort geben auf die Frage: wie ich in Verbindung mit der Gemeinschaftsbewegung gekommen bin. Es ist so gegangen wie mit meinem Theologiestudium. Ich bin einfach hineingeraten. Die entscheidende Stunde meines Lebens, da mir das helle Licht des Evangeliums aufging, verdanke ich nicht einer seelsorgerischen Unterredung mit einem Gemeinschaftsprediger oder einem Vortrag oder dem Schrifttum der Gemeinschaftsbewegung. Als Vikar ahnte ich noch nichts von ihr. Es befand sich aber in meiner St. Pauls- Gemeinde auf dem Gesundbrunnen eine von den zwölf Stationen der Christlichen Gemeinschaft St. Michael, die von Graf Pückler gegründet und geleitet war. Ich entsinne mich noch recht des Lokales, einer Halb-Etage in der Buttmannstraße. Der Leiter war Inspektor Figge, zugleich Sekretär des Grafen Pückler, ein Mann von feinem, taktvollem Wesen. Er lud mich ein, einen Abend, ich glaube, es war ein sogenannter Familienabend, bei ihnen zu verbringen. Die Leute gefielen mir. Sie respektierten offenbar trotz meiner Jugend mein Amt. Ich hörte dort zum ersten Male ein Reichslied singen, das mich sehr bewegte, obwohl die Melodie wahrlich vor einem strengen Urteil nicht bestehen kann. In diesem Lokal traf ich auch mit dem Grafen Pückler zusammen, der mich zu weiteren Diensten in seiner Gemeinschaft heranzog. Und von da an ging es weiter Schritt für Schritt, bis ich zu dem Kreis der verantwortlich führenden Männer gehörte. So, wie ich Gott so dankbar bin, daß er mich zum Theologen machte, so bin ich ihm auch so dankbar, daß er mich in die Gemeinschaftsbewegung geführt hat. Wie ich schon andernorts ausgesprochen habe, fand ich hier am meisten Züge des neutestament- lichen Gemeindelebens, wie ich es bis dahin nirgends, und auch seitdem nicht, gefunden habe. Und wieviele Menschen aller Stände habe ich kennengelernt, die in der Nachfolge Christi stehend in seinen Fußtapfen wandelten und eine Umprägung ihres Charakters erlebt hatten. Gewiß, es gibt Gemeinschaftsleute, deren Religiosität einem auf die Nerven geht. Es ist auch bei nicht wenigen das Evangelium verdunkelt durch Gesetzlichkeit und Pharisäismus. Aber wo gibt es eine religiöse Richtung, die nach der Bibel ausgerichtet sein will, und die trotzdem nicht Mitglieder und Anhänger hat, die zu ertragen Geduld erfordert? Aber von den anderen, den Echten steht mir so manches hebe Bild in der Erinnerung.

    2. Graf Pückler liebte es, die hauptamtlichen Berufsarbeiter aus ihrem bürgerlichen Beruf zu nehmen, wenn sie darin als Christen bewährt und ihre Gabe erkannt war. Da war im Norden von Berlin der lang gewachsene Bruder P., dessen Augen voll Liebe leuchteten. Es war ihm ein Landbezirk zugewiesen. Wenn er dann einen Besuch bei den Pastoren machte, so wurde er wohl gefragt, in welcher Anstalt er ausgebildet wäre. Dann antwortete er: in der Gasanstalt. Dort war er nämlich Arbeiter gewesen. Das tägliche Sichbewegen unter Arbeitskollegen, die religiös so völlig anders stehen, und die, die sich unter ihnen als Christen bekennen, auf die Probe stellen, ist wahrlich eine gute Vorschule für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums. — Eine unserer Gna- dauer Konferenzen fand in einer kleineren Stadt an der Elbe statt, weil die Räume in Gnadau zu eng geworden waren. Ich war inzwischen der Vorsitzende der Konferenz geworden. Daher wollte man mir ein bevorzugtes Quarder geben und quarderte mich in der Villa eines offenbar reichen Fabrikbesitzers ein, der aber für die Konferenztage auf Jagd gegangen war, während seine Frau die liebenswürdige Wirdn machte. Mit mir hatte man in dieser Villa den westfälischen Pfarrer K. einlogiert und den Sendboten (so wurden die Prediger in Schleswig- Holstein genannt) Lohse. Er war früher Grobschmied gewesen, eine hohe, breite Gestalt mit einem langen, weißen Vollbart und anziehenden Gesichtszügen. Die Dame des Hauses wollte nun beim ersten gemeinsamen Abendbrot natürlich wissen, wen sie beherbergte. Bei dem Gemeindepfarrer war das schnell festgestellt. Bei

    3. mir wurde es schon etwas schwieriger: Vorsitzender einer Gemeinschaftskonferenz, was ist das für eine Konferenz? Aber nun wandte sie sich an den ehrwürdigen Bruder Lohse: „Und was sind Sie, wenn ich fragen darf?“ — „Ich predige das Evangelium.“ — „Ja, sind Sie denn Pastor?“ — „Nein, das bin ich durchaus nicht, ich war Grobschmied.“ — Die Dame machte erstaunte Augen. So etwas war ihr im ganzen Leben noch nicht begegnet. Und Bruder Lohse sprach nun mit ihr in einer taktvollen und lieben Weise, wie er vom Grobschmied zum berufsmäßigen Prediger des Evangeliums geworden war. Es machte ihr sichtlichen Eindruck. Und später kurz vor ihrem Tode hat sie zu einer Christin gesagt, daß das damalige Erleben mit ihren Gästen für ihr inneres Leben von Bedeutung geworden wäre. Als ich im Quartierbüro hörte, in welchem reichen Hause ich einquartiert war und außer mir der Bruder Lohse, da muß ich bekennen, erschien mir das als ein Mißgriff. Ich habe mich hinterher sehr geschämt. Durch die Heiligung geadelte Natürlichkeit verfehlt ihres Eindruckes nicht. Auf dem Gesundbrunnen war das führende Mitglied auch ein Arbeiter, ein kluger Mann, in seinem Wandel bestimmt vom heiligen Geist. Er klingelte eines Abends an meiner Haustür, als ich einige Gäste hatte, und ich mußte ihn bitten, ein paar Minuten in meinem Studierzimmer zu warten, und mußte ihn zu dem Zwecke durch das kleine Zimmer führen, in dem ich mit meinen Gästen saß. Die Gäste waren zwei Generalstabsoffiziere, an den breiten roten Streifen an den Hosen als solche erkenntlich, und ein Geheimer Justizrat aus einer hohen preußischen


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