4
5
Zu Beginn der 1850er Jahre genoss Bunsen eine so hohe wis-
senschaftliche Reputation, dass er drei Rufe auf Chemieordina-
riate erhielt, und zwar nach Halle, Breslau und Heidelberg. Zu-
nächst nahm er den Ruf nach Breslau an und trat dort 1851 die
Nachfolge Nicolaus Wolfgang Fischers (1782–1850) an. Doch
die Verhältnisse vor Ort entsprachen weder seinen Erwartungen,
noch den Berufungszusagen der preußischen Regierung, so dass
Bunsen die Viadrina Vratislaviensis nach nur drei Semestern
wieder verließ. Die Breslauer Zeit nutzte er, um seine aus Island
mitgebrachten Proben auszuwerten. Zudem befasste er sich mit
der Untersuchung von Jodverbindungen, die den Grundstein zur
Jodometrie lieferten, und entwickelte die Zink-Kohle-Batterie
weiter, mit deren Hilfe ihm die elektrolytische Reindarstellung
von Magnesium gelang.
Viele seiner bisherigen Arbeitsschwerpunkte nahm Bunsen mit,
als er im Herbst 1852 nach Heidelberg ging. Dort erntete er
auch die Früchte seiner früheren Leistungen: Galt Bunsen be-
reits in den 1840er Jahren als Experte für Gasanalyse, so wuchs
diese Wertschätzung durch die Publikation seiner Gasometri-
schen Methoden noch einmal erheblich.
In diesem Buch, das
1857/58 in drei Sprachen erschien, hat er die Methoden und
Ergebnisse seiner ca. zwanzigjährigen Beschäftigung mit
diesem Themenfeld zusammengefasst. Es festigte seinen Ruf
als „best gas analyst in the world”.
Bunsens wissenschaftliche Arbeit wurde durch die ausgezeich-
neten Bedingungen, die von Mitte der 1850er Jahre an für ihn
und andere Naturwissenschaftler in Heidelberg geschaffen
Diese Photographie nahm Henry Roscoe in seine am 29. März 1900
gehaltene „Bunsen Memorial Lecture“ auf. Vgl. Journal of the Chemical
Society 77 (1900), 513–554. Universitätsarchiv Heidelberg (Ausschnitt).
„Zum Gedeihen und Ruhme der Universität“:
Bunsens Berufung nach Heidelberg
Als 1851 mit dem gesundheitlich bedingten Rücktritt Leopold
Gmelins die Heidelberger Chemieprofessur zur Wiederbeset-
zung anstand, war Justus Liebig der eigentliche Favorit für die
Nachfolge gewesen. Nachdem dieser abgesagt hatte, setzte die
badische Landesregierung alles daran, „den zweiten Chemiker
seiner Zeit“ zu gewinnen: Bunsen ging aus den Berufungsver-
handlungen mit dem zweithöchsten Professorengehalt der
Universität, dem Titel eines Hofrats und dem des Direktors des
Chemischen Laboratoriums sowie mit der Zusicherung für den
Neubau eines eigenständigen chemischen Laboratoriums hervor.
Zum Wintersemester 1852/53 wechselte Bunsen als Ordinarius
für Chemie an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Sein Lehrstuhl wurde, anders als bei seinem Vorgänger, in der
Philosophischen Fakultät angesiedelt. Wilhelm Delffs (1812–1894),
der bereits als Mitglied der Philosophischen Fakultät in
Heidelberg Chemie unterrichtet hatte, erhielt eine ordentliche
Professur in der Medizinischen Fakultät, um dort Vorlesungen
über pharmazeutische, organische und physiologische Chemie
zu halten – den Spezialgebieten des vorherigen Lehrstuhlinha-
bers Gmelin. Mit dieser Aufteilung hatte sich auch in Heidel-
berg die Chemie von der Medizin emanzipiert. Damit ergab sich
für Bunsen die Möglichkeit, sich ganz der Anorganischen und
Physikalischen Chemie zu widmen, ohne Organische Chemie
lehren zu müssen. Gmelins Rücktrittswunsch, „einem Chemiker
Platz [zu] machen, der durch Lehre und Forschung zum Gedeihen
und Ruhm der Universität, zur Förderung der Wissenschaften
und zur Hebung des Wohlstandes beitrage“, sollte sich in den
folgenden Jahren mehr als erfüllen.
Das neue Chemische Laboratorium
Bis zur Fertigstellung seines neuen Laboratoriums unterrichtete
Bunsen in einem ehemaligen Dominikanerkloster an der Haupt-
straße, wo auch schon Gmelins Laboratorium untergebracht
gewesen war. Allerdings musste Gmelin sich noch mit acht
Praktikumsplätzen begnügen, während Bunsen bereits 20 zur
Verfügung standen. Doch auch das reichte bei weitem nicht aus.
Die Lebenserinnerungen von Bunsens englischem Schüler und
späteren Freund Henry Roscoe (1833–1915) zeichnen ein
romantisches Bild von den unbefriedigenden Zuständen, die in
dem baufälligen Gebäude herrschten: „In dem hochdachigen
Refektorium waren die Arbeitsplätze eingerichtet und in der
Kapelle befanden sich die Materialien. [...] Statt Gas benutzten
wir die Berzeliussche Spirituslampe und das Wasser schöpften
wir an der Pumpe; die nicht mehr gebrauchten Niederschläge
schütteten wir auf die Grabplatten der alten Mönche zu unseren
Füßen.“ Die Notwendigkeit eines Neubaus lag klar auf der
Hand.
Tatsächlich hatte Bunsen mit seiner Forderung nach einem
neuen Laboratorium offene Türen eingerannt: Bereits sein
Vorgänger hatte auf einen Neubau gedrungen, und auch die
Vertreter anderer naturwissenschaftlicher Disziplinen forderten
bessere Arbeitsbedingungen. Die badische Regierung hatte
diese Notwendigkeit durchaus eingesehen und war bereit, die
Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Allerdings schwebte ihr
ein gemeinsamer Neubau für Chemie, Mineralogie und Physik
im Gesamtwert von 80.000 Gulden vor.
Bunsen konnte bei seinen Berufungsverhandlungen jedoch einen
eigenständigen Bau für die Chemie durchsetzen, der letztlich
mit mehr als 76.000 Gulden zu Buche schlug. Die hervorragende
Ausstattung des Laboratoriums brachte der Heidelberger Chemie
zwar einen beträchtlichen Wettbewerbsvorteil, band aber enormes
Kapital und verzögerte dadurch offenbar zunächst den Bau
neuer Laboratorien für die beiden anderen Fächer. Tatsächlich
wurden zwischen 1850 und 1860 ganze 97% der staatlichen
Neubaumittel an der Universität für die Chemie ausgegeben.
1853 begannen die Planungen für Bunsens neues Laboratorium.
Mit der Konzeption wurde der Karlsruher Architekt Heinrich
Lang (1824–1893) beauftragt. Er hatte bereits das 1850/51
errichtete Chemische Laboratorium am Karlsruher Polytechnikum
entworfen. Zu diesem Zweck hatte er verschiedene deutsche
Laboratorien bereist und war mit dem aktuellen Stand der Labo-
ratoriumstechnik vertraut. So diente das Karlsruher dem
Heidelberger Laboratorium als Vorbild. Bunsen beteiligte sich
wurden, maßgeblich gefördert. Als neue Untersuchungsgebiete
kamen nun die Photochemie und vor allem die wissenschaftliche
Begründung der Spektralanalyse hinzu, die Bunsen 1859/60
gemeinsam mit Gustav Robert Kirchhoff (1824–1887) gelang.
In beiden Fällen handelt es sich um Arbeiten, die sich auf
instrumentbasierte Messverfahren stützten und wesentlich dazu
beitrugen, dass Bunsen zu einer Schlüsselfigur bei der Einfüh-
rung physikalischer Methoden in die Chemie wurde.
Zusammen mit der Spektralanalyse verbreiteten sich die zuge-
hörigen Instrumente um den Globus und verschafften beiden
Forschern Weltruhm – weit über enge fachliche Kreise hinaus.
Viele kamen nach Heidelberg, um sich von Bunsen selbst in
seine Methoden einweisen zu lassen. Bunsens Praktikum war
insbesondere dadurch attraktiv, dass hier seine – nur teilweise
publizierten – akkuraten analytischen Verfahren gelehrt wurden
und die Studierenden durch Vorführen und Nachahmung ein
experimentelles Können und Geschick erlangen konnten, das
rein verbal nicht vermittelbar ist.
Zum Wintersemester 1889 stellte Bunsen seine Lehrtätigkeit
ein. Er verbrachte seinen Lebensabend in Heidelberg und starb
dort am 16. August 1899.