R e c h t s k u n d e


Das Werden »Europas« als Kriterium für die Zugehörigkeit zum historisch-kulturellen »geistigen Europa«



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1.2.2.3 Das Werden »Europas« als Kriterium für die Zugehörigkeit zum historisch-kulturellen »geistigen Europa«

Wenn wir bisher keinen Maßstab für die Beurteilung der möglichen Zugehörigkeit eines Landes zu Europa gefunden haben, dann sollten wir uns der Frage zuwenden: „Wie wurde Europa überhaupt?“, um - vielleicht - an die Wurzeln einer europäischen Identität zu gelangen. Damit wird selbstverständlich dem historischen Argument großes Gewicht gegeben. Ein solcher Blick auf die historischen Wurzeln und das Werden einer »Kultureinheit Europa« ist kein unzulässiger Griff in einen im Verlauf der Beitrittsdiskussion von Politikern ohne historische Bezüge abschätzig so bezeichneten und mit der gewählten Bezeichnung bewusst diffamierten »Vergangenheitsfundus«. Mit einem derartigen Ansatz sucht man die Wurzeln und wendet von dort den Blick aufs Jetzt.



Das mögen die Leute, denen das sich daraus ableitende Ergebnis aus politischen Gründen nicht genehm ist, für falsch halten und sie empfinden die Anlegung eines historischen Maßstabes als eine Überbewertung des Historischen – „Was interessiert mich die Vergangenheit, lasst uns nach vorne in eine gemeinsame Zukunft schauen!“ -, aber sie können mit ihrem Blick von einem von ihnen vorgegeben-gewollten zukünftigen Ergebnis her auf die jetzige Entscheidungssituation hin keinen (mich) überzeugenderen Maßstab vorweisen. Weder im Baskenland, in Nord-Irland, den arabischen Ländern, dem Iran, Indien, … sind die Konfliktparteien bereit, unter Hintanstellung der Vergangenheit „…nach vorne in eine gemeinsame Zukunft zu schauen!“ So ein Sprüchlein sagt sich leicht für den in einem Konflikt besser Gestellten, wird aber dem bisher Benachteiligten oder dem sich nur benachteiligt Wähnenden meist nicht gleichermaßen und damit der Gesamtsituation nicht gerecht und funktioniert daher meist nicht.

Man muss die Vergangenheit begreifen, um die Zukunft bewältigen zu können. Eine Gegenwart, die sich der Vergangenheit nicht bewusst ist, ist kein tragfähiges Fundament für die Zukunft. Die Gegenwart steht immer in der Fessel der Vergangenheit! Die Gegenwart steht immer zwischen Vergangenheit und Zukunft; sie fußt auf Ersterer und zielt auf Letztere. „Das Leben kann nur rückwärts verstanden werden, es muss aber vorwärts gelebt werden“ (Kierkegaard). Schweigen oder Verschweigen bewältigt keine Vergangenheit - und Vergessen oder Verdrängen erst recht nicht. „Die Vergangenheit ist niemals tot; sie ist nicht einmal vergangen“ (William Faulkner). Sich der Wurzeln in der Vergangenheit bewusst zu werden, ist kein mit einer flotten Formulierung abzubügelndes „Kramen im Vergangenheitsfundus“, sondern fördert das Verständnis der gegenwärtigen Situation! Man muss die Vergangenheit kennen, das in ihr angelegte Zukunftspotential richtig deuten, um die Gegenwart zeitangemessen richtig beurteilen und sich in ihr gesellschaftskonform verhalten zu können. Bemühte Kulturvergessenheit hingegen und damit die Negierung des über Jahrhunderte gemeinsamer Geschichte und gemeinsamer Entwicklung geschaffenen kollektiven Bewusstseins versucht, ein Problem zu bagatellisieren, das bemühte Kulturvergessenheit nicht lösen kann. Irgendwann wird ein solchermaßen unterdrücktes Problem virulent! Das fällt in das Forschungsgebiet von Sozialpsychologen.

Nicht nur in der islamischen Welt: auch in Europa wird uns diese Erkenntnis, dass unterdrückte gravierende Probleme irgendwann virulent werden, heute noch durch Nachrichten über Terror in Nord-Irland und dem Baskenland ins Gehirn gebombt. Dem historischen Argument muss also hinreichend Beachtung geschenkt werden!

Es ist historisches Allgemeingut aller gebildeten Europäer: Wie der westliche Teil Asiens vorherrschend vom Islam und der östliche u.a. von Buddhismus und Hinduismus geprägt sind, so ist Europa ganz entscheidend von der griechisch-römischen Antike (bis zum Untergang des Weströmischen Reiches mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers durch den ersten germanischen Heerführer als auch von Ostrom anerkannten Herrschers über Westrom, Odoaker, 476 n.Chr.) und dem in den letzten Jahrhunderten der Antike entstandenen und sich dann im »Abendland« ausbreitenden Christentum geprägt worden. Der Aufbau Europas nördlich der Alpen im sich anschließenden Mittelalter wurde insbesondere durch die vorbildliche Arbeit der Klöster christlicher Orden im Zuge der Christianisierung Europas und der oft damit einhergehenden Ostkolonisation vorangetrieben; beides eine gesamteuropäische Kulturleistung. Länder, die im Laufe des geschichtlichen Prozesses für »Europa« teilweise mit dem Langschwert gewonnen wurden, wurden durch »das Christentum« als einigende Grundidee (teilweise in Glaubenskriegen) gewonnen - wie der Islam die einigende kulturelle Grundidee aller arabischer Staaten ist (die in Glaubenskriegen mit dem Krummschwert ausgebreitet wurde).

Die auf christlichem Fundament erbrachte Aufbauleistung dessen, was dann »Europa« geworden ist, festzustellen, ist keine von Beitrittsbefürwortern abwertend so bezeichnete „romantisch-historistische Stilisierung des Zeitablaufs“ - ein »Totschlagsargument« -, sondern eine schlichte historische Tatsache, die nichts mit einem ihr teilweise vorgeworfenem »christlichen Fundamentalismus« zu tun hat: Ein weiteres »Totschlagsargument«, um eine historische Tatsache, die jeder Student der mittelalterlichen Geschichte spätestens im zweiten Semester gelernt hat, nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen.

Der Aufbau Europas und die gesamte europäische Kultur des Mittelalters sind ohne Christentum nicht denkbar: Antike und Christentum bilden das Fundament der europäischen Identität und prägten das Bewusstsein der Menschen in Europa – selbst das der in den Nazis als Judenmörder und Antichristen verkörperten Gegner des Christentums: Als die Nazis die Errichtung ihres Tausendjährigen Reiches propagierten, griffen sie damit auf die in den dem Lieblingsjünger Christi, dem Juden Johannes, zugeschriebenen Offenbarungen begründete chiliastische Idee eines nach Christi Wiederkehr noch vor dem Weltuntergang beginnenden Tausendjährigen Reiches irdischer Glückseligkeit auf Erden zurück und missbrauchten diese jüdisch-christliche Idee für ihre Propagandazwecke! Von einer solchen grundlegenden christlich geprägten geistigen Durchformung des Denkens der Menschen in der Türkei sprechen selbst türkische Politiker wie Erdogan nicht.

Der Mediävist Ferdinand Seibt fasste die Erkenntnisse seines langen Forscherlebens in dem Buch „Die Begründung Europas – Ein Zwischenbericht über die letzten tausend Jahre“ zusammen und beginnt seine historische Darstellung über das Werden Europas mit den Sätzen: „Europa ist nicht die Erfindung moderner Politiker. Es entstand auch nicht 1952 mit den Römischen Verträgen. Europa besteht als politische Größe seit mehr als tausend Jahren. Es unterscheidet sich allerdings von jenem alten, vom klassischen Europa in der antiken Welt vor zwei-, vor dreitausend Jahren, das man gern als seine Grundlage bezeichnet … Das neuere Europa … entwickelte sich zum größten Teil nördlich der Alpen. Es … galt lange Zeit als »die katholische Christenheit« oder »das lateinische Abendland«. … Karl »der Große« hat… das römische Kaisertum durch die historisch nicht recht korrekte Vermittlung der Päpste übernommen und damit seine Herrschaft im Westen des Kontinents, im künftigen Europa, sozusagen römisch legitimiert, … Seine Hofpoeten nannten ihn deshalb auch schon den »Vater Europas«, »pater Europae«.“6



Und daran hatte das islamisch-asiatische Osmanenreich keinerlei Anteil!

Wegen der intellektuellen Unredlichkeit empört es mich als Historiker (mit dem Schwerpunkt Mediävistik), wenn der ehemalige polnische Außenminister Bronislaw Geremek, ebenfalls Professor für mittelalterliche Geschichte und MdEuP, Verfasser eines Kommissionsberichts über die Lage in der Türkei, in der taz vom 08.09.04 die abstruse Meinung vertrat, dass die Türkei in die EU aufgenommen werden müsse, weil „die Wiege des christlichen Europa auf dem Gebiet der heutigen Türkei liegt“ und „die Türkei aus der europäischen Geschichte nicht wegzudenken“ sei. Diese Argumentation ist ein hanebüchenes historisches Argument, das Geremek in den Augen eines jeden Historikers als Historiker, Geschichtsprofessor gar, diskreditieren, disqualifizieren muss, denn die kurz nach Christi Geburt durch die Missionstätigkeit des Apostel Paulus in den griechischen Städten Kleinasiens begründete Kultur des christlichen Europas wurde ja nicht von den erst 1.400(!) Jahre später aus der Mongolei gekommenen, im 15. Jahrhundert erst in Kleinasien eingedrungenen turkstämmigen Osmanen getragen!!! Die haben diese „Wiege des christlichen Europa“ ja gerade vernichtet!

Die Entwicklung und Herausbildung einer europäischen Identität hat überhaupt nichts mit der geistigen Entwicklung im osmanischen Reich zu tun!

Das islamisch-osmanische Reich der Hohen Pforte sah sich nach eigenem Selbstverständnis selbst nicht in der Tradition des byzantinischen Reiches und des Byzantinismus: Byzanz war Mittelpunkt des frühen Christentums gewesen und der Patriarch von Konstantinopel konkurrierte mit dem Patriarchen und Bischof von Rom, der sich noch nicht als „Papst“ und damit Oberhaupt der Christen hatte durchsetzen können – das geschah erst, als der oströmische Kaiser Johannes VIII. 1437 nach Italien reisen musste, um den Papst um Waffenhilfe gegen die sein Reich bedrohenden Seldschuken und die anderen nachstürmenden Türken zu bitten -, um die Vormachtstellung in der Führung der Christenheit. Die Hauptstadt von Byzanz, Konstantinopel, war zuvor als das „neue Rom“ gesehen und apostrophiert worden. Der oströmische Kaiser, der Basileus, so seit dem 7. Jahrhundert sein offizieller Titel, nannte sich u.a. auch „Kaiser der Römer“ und seine überwiegend griechisch sprechenden Untertanen nannten sich „Rhomaios“ („Römer“). Der Basileus, der sich nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus Augustulus 476 n. Chr. durch den Germanen Odoakar als einziger in ungebrochener Nachfolge auf Cäsar und Augustus als Begründer des römischen Kaisertums zurückführte und dessen Oberhoheit die Germanen nicht antasteten, sondern sich von ihm als dessen Statthalter in Italien bestätigen ließen, bedurfte, um Kaiser zu werden, nicht der Salbung durch den Patriarchen von Rom, wie es für die deutschen Kaiser als Herrscher über das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ erforderlich war. Der Basileus titulierte sich u.a. auch als „Stellvertreter Christi auf Erden“ und lud zu herausragenden Festen zwölf Große seines Reiches an seine Tafel, wie es Jesus mit seinen Jüngern zu tun pflegte. Im Byzantinischen Reich galt das von dem oströmischen Kaiser Justinian im „Corpus Juris Civilis“ zusammengefasste Römische Recht. Kurz: Der Anspruch des Basileus war, das antike römische Weltreich fortzusetzen. Das Byzantinische Reich war nie eine Bedrohung für das werdende »Europa« gewesen – im Gegenteil hatte es sich jahrhundertelang als festes Bollwerk gegen die von vielen Völkerschaften, insbesondere den Seldschucken und Türken, drohende Gefahr aus dem asiatischen Osten bewährt! Aus all diesen exemplarisch angeführten Gesichtspunkten ergibt sich, dass Byzanz zum »antiken Europa« gehörte.



Die antike Tradition Byzanz’ wurde aber von den Osmanen nicht fortgesetzt: Kein Osmanenherrscher führte z.B. in Nachfolge des Basileus die Titel „Kaiser der Römer“ oder „Stellvertreter Christi auf Erden“! Zur antiken Tradition von Byzanz gehörte z.B. auch nicht der Verwandtenmord im Herrscherhaus, der im osmanischen Reich offizielle Politik war: der tatkräftigste, hinterhältigste und verschlagenste der von den als Sklavinnen gehaltenen Haremsdamen geborenen Söhne sollte sich durch die Ermordung seiner Mitbewerber als kraftvoller neuer Patischah durchsetzen! Verwandtenmord war kein Verbrechen, sondern Staatsdoktrin!

Sicher ist „die Türkei aus der europäischen Geschichte nicht wegzudenken“: als Antithese zu all dem, was zur Bildung Europas, insbesondere zu seiner Identitätsbildung führte!

Schlimm ist es, wenn ein Geschichtsprofessor statt redlicher Argumente einen solchen Quatsch von sich gibt!
Um die Schiefheit des Pseudo-Arguments auch einem Nicht-Historiker deutlich zu machen: Als der noch immer als Befreier Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft gefeierte südamerikanische Nationalheld Simon Bolivar die Spanier aus Hispano-Amerika vertrieb, wollte er einen großen südamerikanischen Einheitsstaat gründen. Die Geschichte verlief anders und lokale Führer wollten in einem eigenen Staat herrschen. Wenn nun aber die Südamerikaner das »Vermächtnis« ihres Nationalhelden erfüllten und sich doch noch zu einem großen politischen Gebilde zusammenschlössen, dann müsste, der verqueren Logik des ehemaligen polnischen Außenminister und Geschichtsprofessors folgend, Spanien zwangsläufig Mitglied dieses supranationalen südamerikanischen Staatengebildes werden, denn „die Wiege des christlichen Hispano-Amerika liegt in Spanien“ und „Spanien ist aus der südamerikanischen Geschichte nicht wegzudenken“.

Die Südamerikaner würden sich bedanken; das haben sie deutlich zum Ausdruck gebracht, als sie gegen die 500-Jahrfeier der (Wieder-)Entdeckung Südamerikas durch Kolumbus mit allen ihren Schrecken für die Südamerikaner protestierten!


Den Gegnern einer Aufnahme der Türkei in die EU »christlichen Fundamentalismus« vorzuwerfen ist überdies eine falsche Begriffsbildung, denn der Begriff „Fundamentalismus“ stammt aus der nordamerikanischen Kir­chen­geschichte und wurde auf die Protestanten gemünzt, die, besonders seit 1910, mit der Bibel in der Hand die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift – auch in naturwissenschaftlichen Fragen und insbesondere gegenüber der darwinschen Evolutionstheorie - behaupteten. Nach der Sprachprägung westlicher Intellektueller wurde der damals gefundene Begriff in den siebziger Jahren des gerade vergangenen Jahrhunderts auf rigoros korangläubige Muslime übertragen, weil auch sie eine historisch-kritische Exegese ihrer Heiligen Schrift, des Korans, als völlig undenkbar ablehnen. Ein Wörtlichnehmen von Bibel- oder Korantext hat aber nichts damit zu tun, wie der europäische Urwald östlich vom Rhein und insbesondere von der Elbe, der zuvor nur entlang der großen Flüsse durchquert werden konnte, gerodet, das Land urbar gemacht worden ist, wie Städte und Dörfer gegründet wurden, wie von den christlichen Klöstern getragene Kultur »Europa« als gesamteuropäische Kulturleistung werden ließ. Schriftlichkeit, Voraussetzung jeder Hochkultur, wurde in der Zeit der Entstehung dessen, was einmal Europa werden sollte, durch die Klöster und die von Karl dem Großen gegründeten Klosterschulen entwickelt, bewahrt und verbreitet.

Diese das Werden »Europas« prägende, ihm seine Identität spendende Rolle des zunächst asiatischen, dann aber vom Westen übernommenen und ihm so zu Weltgeltung verhelfenden Christentums als historische Tatsache zu sehen und zu werten ist ein Gebot der intellektuellen Redlichkeit und keine „romantisch-historis­ti­sche Stilisierung des Zeitablaufs“.
Im weiteren Verlauf der Geschichte gab es im zerrissenen, sich untereinander - meist aus Glaubensabgründen - bis aufs Blut befehdenden christlichen Abendland nichts anderes Verbindendes als das in seiner Auslegung Jahrhunderte lang heftigst umkämpfte, sich ständig irrende und seine zentralen Gebote der Nächsten- und Feindesliebe ständig verraten habende Christentum; aber diese nach vielen innerchristlichen Glaubenskriegen auf dem römisch-katholischen Christentum gründende Grundgemeinsamkeit gab es eben doch. Darüber hinaus gab es weiterführend die im Investiturstreit gipfelnde Trennung von weltlicher und geistlicher Macht, die vom römisch-katholischen Christentum geprägte höfische Kultur des abendländischen Rittertums mit ihrer Minnedichtung, die Entwicklung der europäischen Stadtkulturen mit ihren Münstern, Domen, Kirchen und dem freien Bürgersinn der besser gestellten ihrer Bürger mit der Verheißung: „Stadtluft macht frei“ für alle unter absolutistischer Gewalt Leidenden, die Städtebünde freier Bürger insbesondere der Hanse der europäischen Fernhandelskaufleute, die Befreiung des christlichen Glaubens aus dem zu eng gewordenen Korsett der römisch-katholischen Amtskirche im Norden und Nordwesten Europas durch die Reformation, die Befreiung des forschenden Geistes aus dem religiösen Kerker der Papstkirche und dadurch das Entstehen von die ganze übrige Welt in ungeheurer Weise befruchtender Wissenschaft in Europa, so dass, wer Wissen erlernen wollte, nicht mehr auf damals wesentlich weiter entwickelte »isla­mi­sche« Universitäten angewiesen war, die Lösung der Menschen aus dem kirchlichen Joch durch die Aufklärung und die Säkularisierung mit der Abschaffung der religiös begründet gewesenen Folter – „Der Mensch könne nicht das Rechte tun und die Wahrheit sagen, wenn Satan ihn ihm wohne und aus ihm heraus spreche. Durch Folter müsse der Teufel(!) gezwungen werden, den von ihm in Besitz genommenen Körper eines Menschen wieder zu verlassen, damit der Mensch als Kind Gottes dann wieder zu seinem Gott finden könne.“ - und der Entwicklung der Gedanken, die zur Französischen Revolution und deren zunächst nicht eingelösten Freiheitsversprechen geführt haben und als Quintessenz aus all dem die bis ins 20. Jahrhundert dauernde Entwicklung einer auf der Basis der Achtung der Menschenrechte gegründeten politischen Freiheit aller ihrer Bürger und einem effektiven Minderheitenschutz ruhenden, von Rechtsstaatlichkeit getragenen wirklichen Demokratie als die Teilhabe aller Bürger – auch des von Männern aus Dominanzstreben lange für dümmer erklärten und darum (zu) lange vom Wahlrechts ausgeschlossenen, oft schöneren Teils - an der politischen Macht in dem Gemeinwesen, in dem sie lebten: Demokratie – und das heißt immer auch: Freiheit aller ihrer Bürger(!) - als das Geschenk Europas an die Welt. Heinrich Heine dichtete:
„Die Jungfer Europa ist verlobt

mit dem schönen Geniusse

der Freiheit, sie liegen einander im Arm,

sie schwelgen im ersten Kusse.“


Fast alles davon waren – bis auf die damals größere Freiheit des Forschens in der Wissenschaft - dem religiös-islamisch legitimierten Kalifats-Sultanat der Hohen Pforte, der den Arabern Jahrhunderte lang mit politischer Vorherrschaft aufgedrängten Schutzmacht des Islam nach dem Niedergang der arabischen Hegemonie bis zur Abschaffung des Kalifats-Sultanats durch Kemal Atatürk vor rund 80 Jahren (1922 Abschaffung des Sultanats und 1924 des Kalifats), völlig undenkbare Entwicklungen. An keiner der das Entstehen des »geistigen Europas« über viele Jahrhunderte prägenden Entwicklungen und Traditionen hatte die Türkei auch nur den geringsten Anteil, die aber das europäische Geschichtsbewusstsein und damit die emotionale Gesinnungsgemeinschaft »Europas« ausmachten und weiterhin ausmachen, denn aus der europäischen Erinnerungsgemeinschaft kann kein Europäer aussteigen! Die Türkei hat somit keinerlei Anteil an der Entwicklung der geistigen Identität, an dem geistigen Erbe Europas! Sie gehörte nie dazu. Die Türkei war im Gegensatz zum „Abendland“ immer faszinierendes, kulturfremdes „Morgenland“ – das man gerne »bereiste«, weil die Aussicht, dort so wundervolle Schätze erhandeln (Fernkaufleute) oder rauben (Kreuzritter) zu können, die man in Europa nicht kannte, so verlockend war. Die europäische Kulturgemeinschaft, die, wie bei allen Völkern, auch ihr Geschichtsbewusstsein umfasst, ist ohne die Türkei ausgebildet worden! Sie ist sogar als Abgrenzung explizit gegen die Osmanen ausgebildet worden!
Und es stimmt darüber hinaus, was kaum jemand anzusprechen für opportun hält: Der christliche Grundkonsens Europas wurde in dem Abwehrkampf gegen den Islam mit geschaffen durch die gemeinsame Abwehr des zunächst von Westen über Spanien nach Europa eindringenden Islam seit dessen Einfall in Europa mit der Überquerung der Meerenge von Gibraltar 711 n.Chr., nach der Eroberung Spaniens durch die Mauren dann in der Doppelschlacht von Tours und Poitiers 732 n.Chr. unter Führung des Franken Karl, der für seinen Sieg den Ehrennamen „Martell“ („der Hammer“) erhielt, mit dem er das vermutlich nur auf einen Beutezug in das Christengebiet ausgerückte Heer der Mauren zerschlagen habe, die während des Mittelalters im Rolandslied in Frankreich, England und Deutschland gedichtete und viel besungene Abwehr der „Sarazenen“ (als Sinnbild der Araber, Muselmanen und aller anderen Nichtchristen, gegen die das Kreuz gepredigt wurde), weiter über die Rückeroberung Spaniens von den Mauren (die 1492 abgeschlossene „Reconquista“, die in Spanien noch heutzutage in Volksfesten gelebte Geschichte ist) und dann nach dem Fall des 1.000-jährigen oströmischen Reiches mit seiner Hauptstadt Konstantinopel 1453 das Eindringen der aus der Mongolei auf einem langen Treck nach Westen eingedrungenen Turkvölker und mit ihnen des Islam von Osten in den Bereich Ostroms über den Balkan bis zur zweifachen Belagerung Wiens 1529 und 1683 durch die muslimischen Heere der osmanischen Hohen Pforte, von wo sie letztlich durch eine gesamteuropäische Kraftanstrengung der von Papst Innozenz XI. initiierten Heiligen Liga von 1684 (bestehend aus dem Heiligen Stuhl, den direkt angegriffenen Habsburger Landen und den anderen Teilen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Polen und Venedig) zurückgeschlagen wurden, zwischen den beiden Belagerungen Wiens 1571 in der Seeschlacht von Lepanto/Naupaktos (Griechenland), der letzten Galeerenschlacht und mit 50.000 Toten der bisher größten und opferreichsten Seeschlacht der Kriegsgeschichte, und dann die Zurückdrängung der osmanischen Truppen vom Balkan im 18. und 19. Jahrhundert bis zu dem von anderen europäisch-christlichen Ländern bei aller sonstigen Gegensätzlichkeit unterstützten Freiheitskampf der Griechen 1821-29 gegen die Türken.

Die Bannung der „Türkengefahr“ wurde wegen ihrer ernsthaften Bedrohung der christlich-abendländi­schen Staatengemeinschaft von vielen europäischen Mächten über Jahrhunderte als abendländische Gemeinschaftsaufgabe verstanden und wahrgenommen und wurde so auch mit identitätsstiftend für die Kultur- und emotionale Gesinnungsgemeinschaft »Europa«; man wusste nach innen, wer zu Europa gehörte, und nach außen ganz genau, wer nicht dazu gehörte: die Türkei! Diese abendländische Gemeinschaftsaufgabe wurde als so identitätsstiftend empfunden und wirkt weiterhin so fort, dass der niederländische EU-Kommis­sar Bolkestein den Erweiterungskommissar Verheugen nach seiner vorlauten Erklärung vor Abgabe des Fortschrittsberichts, nach dem Besuch Erdogans in Brüssel und dessen (dann eine Woche später umgesetztes) Versprechen, die türkische Strafrechtsreform binnen kürzester Zeit doch noch zu verabschieden, seien alle Beitrittshemmnisse aus dem Weg geräumt, angiftete: „Wenn es durch den EU-Beitritt der Türkei eine ’Islamisierung’ Europas gebe, … dann wäre die Abwehr der Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 „vergebens gewesen’“ (SPIEGEL 27.09.04).

Wenn mir dieses – von konservativen türkischen Islamisten möglicherweise durchaus angestrebte -Schreckensszenario einer „Islamisierung Europas“ bei nüchterner Betrachtung auch völlig übertrieben erscheint, so wurde und wird eine Re-Islamisierung zumindest der Türkei, an deren konkreter Umsetzung der aus der bis zu ihrer Auflösung durch das Militär dezidiert antieuropäischen Vorgängerpartei der AKP, der Refah-Partei, stammende Erdogan meist durch die vielleicht sogar rabiat säkularistisch ausgerichtete Militärspitze gehindert wurde, von ihm und seiner AKP angestrebt: So wollte Erdogan das an öffentlichen Einrichtungen wie türkischen Schulen und Universitäten bestehende Kopftuch-Verbot für die Universitäten aufheben und er wurde nur durch den türkischen Staatspräsidenten mehrfach daran gehindert, bei offiziellen Anlässen seine Frau mit Kopftuch auftreten zu lassen, obwohl er das in der Türkei herrschende strikte Verbot selbstverständlich genau kennt! Seine Töchter studieren – gesponsert von einem türkischen Industriellen – in den USA, damit sie mit Kopftuch bekleidet studieren können oder sollen. Das alles kann man noch als Verwirklichung der - bei uns im Gegensatz zur Türkei grundgesetzlich geschützten - Religionsfreiheit ansehen, die den Türken und auch Erdogan persönlich unbenommen bleiben sollte. Erdogan wollte aber darüber hinaus die bisher in Sommerkursen unterrichtenden Koran-Schulen ganzjährige erlauben und den Absolventen religiös orientierter Oberschulen, der sogenannten Imam-Hatip-Schulen, die er selbst besucht und als Prediger abgeschlossen hat, über das Studium der islamischen Theologie hinaus uneingeschränkte Studienberechtigung zu jedwedem Universitätsfach zuerkennen. Beim Direktorat für Religiöse Angelegenheiten, das die Moscheen des Landes betreibt, sollten jährlich bis zu 15.000 neue Planstellen ausgeschrieben werden, fast zehnmal mehr als die jetzigen 1.600. Statt einer allgemeinen Förderung aller Schulen sollten private islamische Schulen Regierungsgelder erhalten, um 10.000 Kinder bedürftiger Eltern aufnehmen und zu islamischen Predigern ausbilden zu können. Schließlich sollte die von 1926 bis 1996 bestehende Strafbarkeit des Ehebruchs wieder eingeführt werden. Für Erdogan ist der EU-Beitritt seines Landes ein Weg, die Türkei zu modernisieren und zugleich ihre islamische Identität zu stärken. Und damit verlässt er die Ebene der persönlichen Glaubensüberzeugung, die ihm völlig unbenommen bleiben soll, und wirkt unangemessen Einfluss nehmend in den öffentlichen Raum. Die regierungskritische Tageszeitung "Cumhuriyet" erinnerte an ein Interview, das Abdullah Gül, enger Kampfgefährte Erdogans, 1995 dem englischen "Guardian" gegeben hatte. Darin äußerte dieser Sätze wie "Dies wird das Ende der türkischen Republik sein" und "Wir wollen definitiv das säkulare System ändern". Die Sorgen um ein Ende der Republik sind also begründet. Auch wenn Gül selbst sich mittlerweile in der Öffentlichkeit von diesen Aussagen distanziert (SPIEGEL ONLINE 12.05.07).

All diese Vorstöße mussten letztlich auf Druck entweder der aus historischen Gründen eine "sehr rigide Haltung gegenüber der Religion" (so im später abgeänderten Entwurf zum Bericht des außenpolitischen Komitees des europäischen Parlaments zum EU-Beitritt der Türkei vom März 2003) einnehmenden Militärspitze, der türkischen Öffentlichkeit oder der EU von der AKP wieder zurückgezogen werden – und Erdogan ist die AKP! Er steht – wie von einem Absolventen der Imam-Hatip-Schulen und Prediger nicht anders zu erwarten -, zusammen mit teilweise noch wesentlich radikaleren Glaubensbrüdern, die wie er und 86 Abgeordnete der AKP dem einflussreichen religiösen Naksibendi-Orden angehören, persönlich hinter diesen Re-Islamisierungs­be­stre­bun­gen in der Türkei. Die gehen, vom Ausland fast unbemerkt, u.a. so weit, dass, wie eine in Deutschland geborene und in der Türkei lebende türkische Autorin am 20.07.07 im ZDF als ein Schlaglicht für die schleichende Islamisierung des Landes für deutsche Medien öffentlich machte, innerhalb eines Jahres 14.000 Grundschulrektoren ab- und an ihrer Stelle islamistische Kader eingesetzt worden seien!



Da aber in Europa nach einem schmerzhaften Reifungsprozess, der mit dem Dreißigjährigen Krieg nicht abgeschlossen war, inzwischen Übereinstimmung darüber hergestellt ist, dass in einem säkularen Staat Religion ausschließlich Privatsache zu sein hat, damit „jeder nach seiner Facon selig werden“ könne, und der Staat sich nicht vor den Karren einer religiösen Überzeugung spannen lassen dürfe, stößt es politisch zumindest unangenehm auf, wenn jemand die Anliegen seiner Religion mit staatlichen Machtmitteln so fördern will, wie Erdogan es versucht hat! Es ist in unangenehmer Erinnerung, dass Erdogan vor seiner Inhaftierung wegen staatsgefährdender Volksverhetzung – er hatte aus einem mindestens 100 Jahre alten, im Prozess gegen ihn vom Gericht als „staatsgefährdend“ eingestuften Gedicht, das früher zum offiziellen Schulstoff gehört hatte, die Zeilen zitiert: "Die Minarette sind unsere Bajonette, die Moscheekuppeln unser Helm, die Moscheen sind unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten.", und, das war dann wohl zuviel, an dieses Zitat die Warnung geknüpft, wer die Religion in der Türkei ersticken wolle, der werde es mit einem "explodierenden Vulkan" zu tun bekommen - dem britischen "Guardian" zufolge so bedenkliche Sätze sagte wie: "Gott sei Dank bin ich für die Scharia" und "Man kann nicht gleichzeitig Säkularist und Moslem sein" (DIE WELT 08.10.04). Ob er durch Verurteilung, Gefängnis und Haftentlassung vom Saulus zum Paulus gewandelt wurde, der nun einen gemäßigteren, pragmatisch orientierten "Neuen Islam" vertritt und jetzt – für das weiterhin wachsame Militär? – laut Turkish Daily News vom 11.12.02 Sätze von sich gibt wie: "Meine politischen Ideale sind Demokratie, Freiheiten, Toleranz, Menschenrechte und Säkularismus", und wie er solche Äußerungen meint, bleibt abzuwarten. „Wie dem auch sei - Erdogan ist auf jeden Fall ein gewiefter Pragmatiker, sieht sich aber zugleich als ein Mann von Prinzipien. Wo diese wirklich liegen, kann man schlechterdings nicht wissen. Da Verfassung und Militär immer noch jegliche radikalere Äußerung mit dem politischen Aus bestrafen können, gibt es Dinge, die ein Ministerpräsident in der Türkei einfach nicht sagen oder gar tun darf, wenn er die Macht nicht verlieren will. Erdogan ist politisch eingeklemmt zwischen den Ansprüchen der Militärführung und aufbrodelnden islamistischen Kräften. Die Mehrheit der westlichen Diplomaten und Politiker ist nach anfänglicher Skepsis jedoch zunehmend der Meinung, daß Erdogan wirklich ein toleranter Moslem ist, der eine demokratische Politik betreibt. Erdogan selbst vergleicht sich gern mit Christdemokraten - konservativ und demokratisch. Als gemäßigt versteht er sich jedoch nicht. Am 14. Juni, zu Besuch in den USA, wurde er regelrecht ärgerlich, als eine US-Politikerin ihn als gemäßigten Moslem pries. Noch ärgerlicher wurde er, als der Islam-Experte Bernard Lewis von "islamischem Terror" sprach. Es könne weder einen moderaten noch einen extremen Islam geben, sagte Erdogan. Sondern, so muß man wohl folgern, nur einen Islam“ (DIE WELT 08.10.04). Das gilt nicht nur für die Türkei, das strahlt über das türkische Religionsministerium – stellen Sie sich so ein auch die Glaubensinhalte regelndes Ministerium einmal in einem EU-Land vor und die Kulturgrenze wird ganz praktisch sichtbar – nach Europa aus und hier wegen des größten türkischen Bevölkerungsanteils in Europa insbesondere nach Deutschland. Die unbestritten größte muslimische Organisation in Deutschland, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), eine von der Regierung in Ankara abhängige Institution, die hierzulande rund 870 Mitgliedsvereine kontrolliert und die für sich die Deutungshoheit über den von den hiesigen Türken zu lebenden Islam beansprucht, agiert sehr politisch als Propagandainstrument für den türkischen Wunsch nach Aufnahme in die EU (DIE WELT 02.09.05).

Der türkische Politologie-Professor Burhanettin Duran mahnt in seinem kürzlich erschienenen Buch "Turkey and European Integration": "’Die neuen islamischen Definitionen konfrontieren die Europäer mit der Möglichkeit, daß eine türkische EU-Mitgliedschaft den Islam zu einem Werkzeug politischer Mobilisierung in Europa machen könne’. Mit anderen Worten, die 15 Millionen Muslime, die heute schon in den 25 Staaten der EU leben, könnten in einem EU-Mitglied Türkei ihren Fürsprecher sehen, und die Türkei könnte diese Gruppen benutzen, um eigene politischen Forderungen wirkungsvoller durchzusetzen“ (DIE WELT 08.10.04).



Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Künast, vertrat auf dem Bundesparteitag der Grünen im September 06 die Ansicht, eine Integration der Muslime hier sei ohne eine Aufnahme der Türkei in die EU nicht denkbar.

Die zunächst im »finsteren Mittelalter« Europas von arabischen Wissenschaftlern – insbesondere der arabischen Mauren-Gebiets­herr­schaften in Spanien - mit dem von den Arabern (nicht den Türken) bewahrten und von ihnen weiterentwickelten Wissen der Antike nach der Eroberung Konstantinopels und dem damit verbundenen Drängen der nunmehr heimatlos gewordenen christlichen Gelehrten in die Gebiete des Weströmischen Reiches geistig befruchteten europäischen Gelehrten entwickelten in der Neuzeit, insbesondere in der der Renaissance mit dem Humanismus als geistiger Hauptströmung folgenden Zeit der Aufklärung, die den die Wissenschaft gängelnden verkündeten Glauben mehr und mehr durch das erforschte Wissen ersetzte, unter Beschreiten auch vieler Irrwege Geistes-, Staats- und damit auch Rechtsideen, an denen weder der arabische Islam noch die Türkei teilhatten. Deren Staatsverständnis zielte ja gerade darauf, dass sich solche reformerischen Ideen nicht durchsetzen sollten, die unweigerlich den Machtanspruch der Hohen Pforte beschnitten hätte. Geistes-, Staats- und damit auch Rechtsideen, an denen nach Vermutung des VG Köln in dem Abschiebungsverfahren Kaplan die Türkei selbst im Jahre 2003 nicht teilhatte: Anders ist es nicht zu erklären, dass der fundamentalistische derzeitige aber nun entmachtete „Kalif von Köln“, Kaplan, nach Verbüßung seiner 4-jährigen Gefängnisstrafe (wegen des anlässlich einer Hochzeit vorgebrachten und daraufhin in die Tat umgesetzten Mordaufrufs gegenüber seinem ideologischen Gegenspieler) zunächst nicht dem Wunsch der Bundesregierung und der Türkei entsprechend in die Türkei abgeschoben werden durfte, weil ihm dort wegen seines Zieles der Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Form des von Kemal Atatürk abgeschafften Kalifates ein Hochverratsverfahren bevorsteht, von dem die deutschen Verwaltungsrichter der ersten Instanz annahmen, dass es nicht in rechtsstaatlichen Bahnen verlaufen werde, obwohl die Türkei auf Drängen der EU mit Blick auf Gerichtsverfahren gegen Kurden schon die Todesstrafe abgeschafft und als Voraussetzung für eine Auslieferung Kaplans der Bundesregierung die Durchführung eines rechtsstaatlich einwandfreien Verfahrens schriftlich zugesagt hatte! Aber die Verwaltungsrichter sahen die sehr reale Gefahr, dass in den Hochverratsprozess gegen Kaplan zuvor unzulässig erlangte »Beweismittel« eingebracht werden könnten, die durch die Folterung von Kaplan-Anhängern erlangt worden waren, als die 1998 ein Flugzeug (angeblich) für ein Attentat auf die am Atatürk-Mausoleum in Ankara versammelte Staatsspitze hatten entführen wollen: An den Schultern aufgehängt zu werden und dann mit verdrehten Armen hängend die Hoden gequetscht oder mit Stromstößen malträtiert zu bekommen, so die Feststellungen des OVG Düsseldorf 2003 in dem Auslieferungsverfahren Kaplan, macht beflissen gesprächsbereit! Das kann jeder Leser an sich selbst ausprobieren, ohne zusätzlich unter der Decke zu hängen. Bei Anwendung solcher bisher typischer türkischer Vernehmungsmethoden erzählt man alles, was die Vernehmenden hören wollen – wenn nur der Schmerz aufhört!

Die Berufungsinstanz glaubt nach den Zusicherungen der Türkei, gegen Kaplan nur ein rechtsstaatlichen Grundsätzen genügendes Verfahren durchführen zu wollen, den Hassprediger ausliefern zu können und sieht in der »Berühmtheit« des Angeklagten einen hinreichenden Schutz für ihn, ließ aber die Revision beim Bundesverwaltungsgericht zu. Das sah auf Grund von Kaplans »Lackmus-Funktion« auf die Glaubwürdigkeit der von der türkischen Regierung eingeleiteten Justizreformen ein rechtsstaatliches Verfahren für gewährleistet und billigte unter dieser Prämisse die Auslieferung Kaplans an die Türkei.

Ein weiterer Beleg für die Mängel des in der Türkei praktizierten Rechtssystems ist die Tatsache, dass die Mehrzahl der prozentual wenigen bei uns erfolgreich einen Asylantrag stellenden und daraufhin anerkannten Asylanten aus der Türkei kommt!!!
Wie sollte man den im Osmanischen Reich nie aufgekommenen Geist der Aufklärung mit der sich gegen borniertes Christentum allmählich entwickelnden, das Wesen der Aufklärung kennzeichnenden Toleranz in religiösen Fragen und der Abschaffung der Folter besser beschreiben, als es Lessing mit seinem Werk „Nathan der Weise“ getan hat? Diese Geisteshaltung über europäische Landesgrenzen hinweg als sich gegenseitig befruchtende europäische Geistesleistung in einem sehr schwierigen und sehr oft sogar blutigen Toleranzfindungsprozess insbesondere seit dem Aufkommen der Reformation letztlich doch entwickelt zu haben, macht europäische Identität aus! Und dazu hat die – nie antisemitische - Türkei keinen Beitrag geleistet, daran hatte sie keinen Anteil: weder einen gestaltenden, noch einen antizipierenden. Sie war selbst von den bedeutendsten europäischen Geistesströmungen, der geistigen Unruhe, dem Aufbruch im Denken und Entdecken und der Wissensexplosion der sich entwickelnden Naturwissenschaften völlig abgekoppelt. Die Türkei hat nicht Teil an Europas kulturellem Gedächtnis! Goethe ließ im Faust einen Bürger auf dessen Osterspaziergang sein Behagen darüber äußern, wie schön es sei, „wenn hinten, weit, in der Türkei, die Völker auf einander schlagen“. Dieses Bild wird im Faust so für völlige Ferne benutzt, wie wir manchmal sagen: ob dieses oder jenes geschieht oder in China ein Spaten umfällt, beides betreffe uns gleich wenig, weil es für uns gleich bedeutungslos sei.

Die Türkei ist erst durch die große staatspolitische Leistung Kemal Atatürks der europäischen Ideenwelt angenähert und dadurch modernisiert worden; erst dadurch wurde sie mit den fundamentalen Prinzipien der Aufklärung vertraut gemacht. Da kann man nicht geschichts- und damit wahrheitswidrig eine gemeinsame Geschichte behaupten, die zwangsläufig den Anschluss der Türkei an die EU nach sich ziehen müsse!


Auf Grund der Tatsache, dass die Geschichte des Abendlandes auch die Geschichte der gemeinsamen Abwehr des Okzidents gegen den Islam ist und dass die Türkei an der europäischen Geistesentwicklung der von Historikern ab 1453 – der Eroberung des fast 1.000-jährigen oströmischen Kaiserreiches mit seiner Hauptstadt Konstantinopel durch die islamischen Heere der Osmanen - datierten Neuzeit in keiner Weise teilhatte, gehört selbst die heutige Türkei nach den 1920 eingeleiteten Atatürkschen Reformen mit der - im bewusst gewählten schroffen Gegensatz zum Kalifats-Sultanat angeordneten – (angeblich) strikten (aber schon durch die Institution des Religionsministeriums mit über 90.000 Beschäftigten – der Historiker Winkler spricht von einer „Verstaatlichung des Islam“ - letztlich nicht vollzogenen) Trennung von Staat und Religion als fundamentalem Baustein und der seit ca. 2000 inzwischen eingeleiteten Hinwendung zu demokratischeren Staatsstrukturen weder aus historischen noch aus kulturellen Gründen mit zu Europa, wie auch z.B. Japan trotz Einführung der Demokratie 1945 nicht zu Europa gehört! Auch Japan, Au­stralien, Kanada und die USA erfüllen die Kopenhagener Kriterien von 1993, ohne dass jemand auf die Idee käme, für einen Beitritt Japans oder der anderen genannten Staaten zur EU zu plädieren. Für die Türkei gilt: Man kann ohne weiteres aus einer anderen Kultur etwas einem sinnvoll Erscheinendes übernehmen, ohne dass man damit Mitglied dieser in Jahrhunderten gewachsenen Kulturgemeinschaft wird. Man adaptiert, wird aber dadurch nicht von der anderen Kultur adoptiert und nicht mit einem harten Bruch der eigenen Vergangenheit Wesensteil der anderen Kultur, von der man sinnvoll erscheinende Anleihen entnommen hat. Eine Annäherung an bis dato völlig fremde kulturelle Werte – und mehr als eine bloße Annäherung ist es selbst heute noch nicht, wenn man die nachfolgend noch zitierte Beurteilung von Rumpf und Steinbach in ihrem Beitrag „Das politische System der Türkei“ zu Grunde legt - ist keine Teilhabe an deren identitätsstiftendem kulturellen Werden! Das ist z.B. der Unterschied der auch nicht von Anfang an bestanden habenden Zugehörigkeit Ungarns zu »Europa« und der Nicht-Zugehörigkeit der Türkei. Auch wenn sich die Lebensbedingungen im Zuge der Globalisierung in groben Zügen angleichen, bedeutet das kein Aufgehen in einer gemeinsamen Kultur: „Wir leben alle unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont“ (Konrad Adenauer). Fast überall auf der Welt trägt man inzwischen Jeans, aber man denkt und fühlt deshalb noch lange nicht gleich!
Es gibt meines Wissens und dem daraus resultierenden Dafürhalten kein einziges historisches oder kulturelles Argument, das die Zugehörigkeit selbst der heutigen Türkei zu Europa zu stützen in der Lage wäre! Es reicht für eine überstrapazierend gewollt angenommene und damit nur behauptete wenigstens partielle kulturelle »Gemeinsamkeit« zwischen europäischer und osmanischer oder seit rund 80 Jahren kemalistisch-türkischer Identität nicht aus, dass das Osmanische Reich einst auf dem Balkan große Gebiete Europas beherrscht hatte und damit eine nicht nur in Vorderasien, sondern auch in Europa agierende islamische Macht gewesen war, die auch in ihrem europäischen Herrschaftsgebiet islamisch prägend gewirkt hat, worunter dieses Gebiet Europas noch vor ein paar Jahren in seinen auch an den jeweils eigenen oder fremden religiösen Überzeugungen orientierten Kriegen zwischen Serben, Kroaten und Albanern litt, als dort bis hin zum Völkermord gekämpft wurde. (Das Morden wurde dann auch unter Einsatz von Truppen des NATO-Mitglieds Türkei beendet, was der Türkei auf massiven Druck der USA auf die EU-Staaten 1999 das Angebot einbrachte, sie als Beitrittskandidaten zur EU zu behandeln. Das war der damals von den USA politisch so gewollte und von den europäischen Staaten gehorsam nachvollzogene, den Rahmen einer europäischen Union sprengende Systemfehler!) In den kriegerischen Auseinandersetzungen in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens wurde die alte Kulturgrenze schlaglichtartig sichtbar. Es sei an den schon einmal zitierten Satz von William Faulkner erinnert: „Die Vergangenheit ist niemals tot; sie ist nicht einmal vergangen.“ Da wurde nichts „historisierend betrachtet“ und nicht bloß „im Vergangenheitsfundus gekramt“ oder wie die abbügelnd-beschönigenden Floskeln sonst lauten, sondern es wurde in einem beginnenden Völkermord gnadenlos abgeschlachtet, bis – viel zu spät – von außen eingegriffen und dem Morden ein Ende bereitet wurde, auch wenn der Hass aufeinander immer wieder aufflammt und es durch nicht bewiesene aber nur zu gern geglaubte Latrinengerüchte, wie z.B. letztens der Kolportage, dass zwei albanische Kinder deswegen in einem Fluss ertrunken seien, weil Serben sie in das Wasser gehetzt hätten, immer wieder zwischen den an beiden Seiten einer Kulturgrenze lebenden Völkern zu menschenlebenfordernden Auseinandersetzungen kommt. Die Kulturgrenze wurde und wird seitdem immer wieder eruptiv virulent. Und es zeigte sich wieder einmal, dass man selbst in dem alten, nach zwei Weltkriegen und der Überwindung der kommunistischen Diktatur als befriedet eingeschätzten Europa Kulturgrenzen nicht ungestraft negieren darf. (Mit der strafrechtlichen Aufarbeitung ist der Haager Gerichtshof sicher noch einige Jahre beschäftigt.)



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