ERMLANDBRIEFE
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Sommer 2005
15. Ermländertreffen in Herne
Papst Benedikt XVI. und das Ermland
Von Martin Grote
Ist es Zufall? Die Feier der Ermländi-
schen Vesper in St.Barbara in Herne-
Röhlinghausen am 24. April 2005, fand
am gleichen Tage statt, wie die feierliche
Amtseinführung unseres neuen Papstes
Benedikt XVI., des ehemaligen Profes-
sors der Theologischen Fakultät der Uni-
versität Regensburg. Dort hatte Pfarrer
Theodor Surrey, der Gastgeber unserer
Zusammenkunft, seinerzeit studiert. Pro-
fessor Dr. Ratzinger galt als „echter" ka-
tholischer Theologe, nicht als liberal-
oder sonstwie katholisch. Er füllte we-
gen seiner brillanten Vorlesungen das
Auditorium Maximum und dazu benach-
barte Hörsäle, auch mit Nicht-Katholi-
ken. Der damalige Student der Theologie
Surrey fiel im Seminar durch eine seiner
mit „gut“ bewerteten Arbeiten als Erm-
länder auf, wonach Professor Ratzinger
erklärte, dass das Ermland ihm durch-
aus bekannt sei, u.a. durch das Buch
von Prof. Fittkau „Mein 33. Jahr“.
Außer der Darstellung dieses überra-
schenden Zusammenhangs gab es wei-
tere geistliche Höhepunkte dieses Tref-
fens. Die Mai-Predigt des Geistlichen
verschiedenen Epochen, von heidni-
schen Naturgewalten über transzenden-
tale Vorstellungen bis zu Definitionen
eines Zustandes unabhängig von Raum
und Zeit. Mancher glaube, Himmel und
Hölle schon hier erleben zu können,
aber letztlich bleibe der „Himmel“ un-
begreiflich, trotz aller Deutungsversu-
che von Theologen und Philosophen.
Irdische Dinge kamen bei diesem
Treffen nicht zu kurz: Es gab Kaffee und
Kuchen, dieser reichlich gespendet, so-
wie freundschaftliche Gespräche zwi-
schen alten Bekannten. Leider sind
eben die Teilnehmer alle schon älter. Es
waren etwa 60 gekommen, 12 hatten we-
gen Erkrankung abgesagt.
Das Präsidium bestand aus den
Geistlichen Herren Pfarrer Surrey,
Geistl. Rat Vogt, Pater Lobert, Pfarrer
Horsch, ein Schüler von Dr.Schlegel,
und Diakon Magalski. Dr.Schlegel war
leider nicht dabei, da er als Visitator
und Repräsentant des Ermlandes an
der Eröffnung des Wunderprozesses im
Rahmen des Seligsprechungsverfar-
hens von Bischof Maximilian Kaller teil-
nehmen musste. Solche Termine wer-
den Monate vorher abgesprochen.
Zum Schluss lud Pfarrer Surrey die
Ermländer zum 25. Jahrestag seiner
Priesterweihe am 5. Juli 2005 nach Röh-
linghausen ein.
Rates Vogt, der, ausgehend vom Kir-
chenlied „Freu dich, du Himmelsköni-
gin“, die marianische Grundhaltung des
Ermlands würdigte - das Ermland lag
dort, wo die Marienkapellen am Weges-
rand standen. In der schleichenden
Christenverfolgung unserer Gegenwart
haben die Ermländer eine bemerkens-
werte Treue zur Kirche und zum Papst-
tum gezeigt und - wie Maria - das Leid
unter dem Kreuz der Vertreibung getra-
gen in Erwartung der Krönung in der
Auferstehung zum Ewigen Leben. Es
war eine sehr bewegende Predigt eines
über 90-jährigen „Beute-Ermländers“.
In einer Meditation sprach Frau Ul-
brich über Vorstellung und Begriff des
Wortes „Himmel“, nicht nur in unserem
Glaubensumfeld, sondern auch bei ver-
schiedenen anderen Religionen und in
Österliches Ermländertreffen in Stolberg
Wenn wir die Vertriebenen nicht hätten!
Von Martin Grote
„Schenk uns Treue, Herr, wie Maria
sie empfunden! So kannst Du dann
mehr Liebe auch zu uns bekunden.“
Mit diesem Wort von Maximilian Breig
hatten die Eheleute Margarete und
Georg Hipler ihre Einladung zum dies-
jährigen Ermländertreffen in Stolberg-
Donnerberg überschrieben. Und nach-
dem man mich sowohl in Düren als
auch in Bergheim für eine Fahrt nach
Stolberg zu begeistern suchte, habe
ich den Ermländern einmal wieder die
von Breig genannte Treue gehalten
und am 10. April 2005 die Reise ins Bis-
tum Aachen angetreten.
Obwohl Stolberg, eine kleine Berg-
und Talstadt, recht unübersichtlich ist,
bot sie den Heimatvertriebenen bei der
Suche nach dem Veranstaltungsort ei-
nen guten Orientierungspunkt: dieser
war zwar nicht die Kirchturmspitze,
aber ein die Stadt überragender Sende-
mast des WDR, in dessen unmittelba-
rem Schatten die Pfarrkirche St. Josef
nahezu gedrungen erscheint.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde
sie nach Plänen von Dipl.-Ing. R. H. Hei-
big aus Köln-Lindenthal als Ersatz für ein
neugotisches, aus dem Jahre 1907 stam-
mendes Gotteshaus errichtet und am 20.
Januar 1954 konsekriert. Der nur zu den
Messzeiten geöffnete Bruchsteinbau ist
innen wie außen von ausgesprochener
Schlichtheit, und im Kirchenraum exi-
stieren auch keine beachtlichen Kunst-
werke. Wertvoll wird die Josefskirche
erst, wenn sie mit Menschen gefüllt ist,
die sich in ihr zum Lob Gottes versam-
meln, so wie wir es am dritten Sonntag
der Osterzeit erlebt haben. Ungefähr 90
Ermländer fanden sich nämlich auf dem
Donnerberg ein, um ihre heimatlichen
Lieder zu singen und in den Anliegen al-
ler ihrer Landsleute zu beten.
Vor mehr als 30 Jahren haben der
aus Klinken im Kreis Treuburg stam-
mende Georg Hipler und seine Ehe-
frau Margarete, eine gebürtige Gutt-
städterin, die Leitung der Ermländer-
treffen von Familie Diegner übernom-
men, und zwar in der Bischofsstadt
Aachen, denn erst seit den 80-er Jah-
ren findet das alljährliche Beisam-
mensein in Stolberg statt. Georg Hip-
ler erinnert sich noch gut an den 1974
verstorbenen Domvikar Armborst,
der damals für die Vertriebenenseel-
sorge zuständig gewesen war, und fer-
ner natürlich an Pfarrer Hugo Werr.
„Pfarrer Werr war für uns Stolberger
Ermländer wie ein Hausgeistlicher“,
erzählte Margarete Hipler von diesem
fürsorglichen, 2002 verstorbenen
Priester. Der Visitator Ermland, Dr.
Lothar Schlegel, ließ nach dem Tode
Pfarrer Werrs allerdings keine Vakanz
aufkommen, denn es wurde sofort
wieder ein Geistlicher mit der Aufga-
be betraut, die Ermländer-Messen in
Stolberg zu übernehmen: Der Danzi-
ger Konsistorialrat Thaddäus Franz
Krause nahm sich derer an, und ge-
nau wie in Düren gewann er auch auf
dem Donnerberg sehr schnell die
Herzen der Vertriebenen.
Am 10. April predigte der nun in Vier-
sen-Rahser beheimatete Geistliche über
den Wunderbaren Fischfang, der uns im
Johannesevangelium (Joh 21, 1 - 14) auf-
gezeichnet ist. Pfarrer Krause erwähnte,
dass es den Jüngern oft schwer gefallen
sei, auf Jesus zu hören, genau wie es uns
heute vielfach Schwierigkeiten bereite,
den Willen Gottes zu befolgen. Dass die
Christenheit aber noch lange nicht resi-
gniert hat, verdeutlichte der Konsistori-
alrat, indem er die immense Anteilnah-
me am Tode von Papst Johannes Paul II.
in Erinnerung rief: „Nicht Tausende, son-
dern Millionen Menschen nahmen Ab-
schied von diesem Papst, und vor allem
auch junge Leute! Zum Teil akzeptierten
sie eine Wartezeit von bis zu 20 Stunden,
um den Leichnam des Hl. Vaters zu se-
hen, denn trotz seiner Gebrechen hatten
sie ihn für einen Menschen aus ihrer
Mitte gehalten!“ Thaddäus Krause führte
seine Gedanken weiter und blickte mit
den Stolberger Ermländerinnen und
Ermländern 60 Jahre zurück: „Als wir
damals aus unserer Heimat vertrieben
wurden, waren wir genauso in Not wie
die Fischer am See von Tiberias, die ih-
re Netze auswarfen, ohne etwas zu fan-
gen. Wir hatten wirklich alles verloren
und konnten nichts mehr von Zuhause
mitnehmen. Aber was hat uns geholfen,
diese Situation durchzustehen? Es war
allein der Gottesglaube, der von einer
Generation zur nächsten weitergetragen
wurde und der uns auch heute, 60 Jahre
nach der Vertreibung, noch prägt. Uns
würde doch etwas fehlen, wenn wir uns
nicht mehr um den Altar versammeln
könnten!“
Pfarrer Krause erzählte dann von sei-
nen Besuchen im Altenheim: „Dort gab
es eine Frau, die ganz für sich allein war,
und mit der niemand sprach. Eines Ta-
ges kam dann ein neuer Heimbewohner
hinzu. Er setzte sich im Speisesaal zu
ihr, ergriff ihre Hand und schlug ihr vor,
zusammen das Tischgebet zu sprechen.
Daraufhin blühte die Frau regelrecht
auf. Sie war eine Vertriebene, und sie er-
innerte sich sofort an alte Zeiten aus ih-
rer Heimat, und kurz danach fanden so-
gar die anderen Heimbewohner Kontakt
zu dieser alten Dame.“ Ebenfalls berich-
tete der Konsistorialrat von einem
Landsmannschaftstreffen in Köln, bei
dem er geäußert und bestätigt bekom-
men hatte, dass die Heimatvertriebenen
ganz enorm dazu beigetragen hätten,
die zerstörte Stadt Köln nach dem Zwei-
ten Weltkrieg wieder aufzubauen. „Und
ein Pfarrer aus Norddeutschland“, so
Krause, sagte mir einmal: „Wenn wir die
Vertriebenen nicht hätten, wäre unsere
Kirche leer!“
Nach der Hl. Messe traf man sich
wie gewohnt zum gemütlichen Beisam-
mensein im direkt an die Kirche ange-
bauten Pfarrheim. Georg Hipler freute
sich über einen gut besetzten Saal: Die
Ermländer waren nämlich nicht nur
aus der unmittelbaren Umgebung, son-
dern zum Teil auch aus weiter entfern-
ten Städten angereist.
Zunächst wurde ein Grußwort von Vi-
sitator Msgr. Dr. Lothar Schlegel verle-
sen, der die Übernahme der Ermländer-
seelsorge durch Pfarrer Krause sehr be-
grüßte: „Die Wege gingen im Vertrauen
auf Gott nicht nur weiter, sondern sie
führten auch zu guten Zielen!" Ebenfalls
hatte Prälat Johannes Schwalke einen
Glückwunschbrief zum 70. Geburtstag
an Konsistorialrat Krause gesandt:
„Thaddäus, jetzt bist Du ins Biblische Al-
ter gekommen!" Der dritte Brief, der vor
dem Kaffeetrinken noch vorgetragen
wurde, stammte schließlich aus der Fe-
der des Aachener Diözesanbischofs Dr.
Heinrich Mussinghoff. Auch er gratulier-
te dem Viersener Seelsorger und dankte
ihm für alle seine Dienste: „Ich freue
mich, dass die Ermländer im Bistum so
sehr miteinander verbunden sind, auch
über die Verehrung des Hl. Adalbert,
und Gott segne Ihren Dienst als Danzi-
ger, Ermländer und Aachener!"
Gabriele und Johannes Kraemer sorg-
ten wieder für einen Büchertisch, an
dem sich so mancher nach Literatur
über seine alte Heimat umsah, und Pe-
ter Brück hatte gleich sein Keyboard
von zu Hause mitgebracht, denn „wenn
wir abschließend das Ermlandlied sin-
gen, dann muss es doch wenigstens mu-
sikalisch begleitet sein!"
Priester und Ministranten nach der ermländischen Vesper in St. Barbara, Herne
Am Altar von St. Josef in Stolberg-Dan-
nenberg: Konsistorialrat Franz Thad-
däus Krause und Martin Grote
Foto: Manfred Grote, Hattingen