von Gegenständen und von Bedeutungen. Wie also ist es möglich zu behaupten, wir
könnten die Schönheit nur unter der Voraussetzung der Einsheit denken? Nun: dass Viele
jeweils Verschiedenes denken, wenn sie „schön“ sagen (sofern sie überhaupt etwas
denken), beweist noch nicht, dass die Schönheit nicht Eine sei. Ja, dass wir als
Philosophen verschiedene Bedeutungen von „schön“ angeben können, sagt noch nicht,
dass die Schönheit nicht eine einzige ist. Immerhin bleibt das Urteil, etwas sei schön,
immer dasselbe. Man könnte also sagen, dass hinter den verschiedenen Bedeutungen
eine identische ist, die alle in dem Urteil: x ist schön, ver-eint. Vielheit wäre dann selber
nur zu verstehen, wenn wir eine Einheit voraussetzen. Vielheit wäre nur zu verstehen,
wenn wir Einheit verstehen.
Das ist ein Gedanke, den auch Plotin kennt. Schauen wir uns ihn noch einmal an. Die
Frage ist, nachdem das über die Einheit gesagt worden ist, ob Einheit und Vielheit einen
Gegensatz bilden. Würden wir das annehmen, so würden wir sagen, dass Einheit und
Vielheit auf derselben Begriffsebene operieren. Ich habe zunächst mit Plotin gesagt, dass
es unmittelbar einleuchtend ist, dass Alles jeweils Eines ist: ein Heer, ein Reigen, eine
Herde etc. All diese Bestimmungen kennzeichnen ja offensichtlich Vielheiten: viele
Soldaten, viele Tänzer, viele Schafe. Es ist aber klar, dass Heer, Reigen, Herde jeweils
eines sind. Wir müssen hier nicht gleichsam die Vielheit noch im Denken
zusammenfassen, addieren, sondern uns ist es gleich klar: Heer, ein Heer. Ich brauche
also, um Einheit zu denken, nicht Vielheit voraussetzen. Einheit ist - wie eben Albertus
Magnus und Thomas denken - eine Transzendentalie, eine der essentiellen Denkbegriffe.
Vielheit gehört nicht dazu (wohl aber aliquid bei Thomas: Andersheit - Andersheit
ermöglicht Vielheit).
Versuchen wir das nun einem umzudrehen. Die Frage ist: brauche ich die Einheit, um
Vielheit zu denken? Sagen wir: viele Menschen. Dann können wir hier durchaus denken,
dass wir viele verschiedene Individuen damit meinen, Frauen, Männer, Kinder, Asiaten,
Afrikaner etc. Gut: aber wir setzen voraus, dass es sich um Menschen handelt, wir haben
eine einheitliche Idee von Menschen. Die lässt uns dann also viele Menschen denken -
oder anders gesagt: wenn wir „viele Menschen“ denken, denken wir eine Vielheit unter der
Voraussetzung „Mensch“. Nun kann man sagen, dass ist eine homogene Vielheit. Es gibt
darin keine wirkliche Andersheit (es sind verschiedene Menschen, aber eben doch stets
Menschen). Also schauen wir uns eine heterogene Vielheit an: in meinem Zimmer sind
viele Gegenstände (Bücher, Schlangen, Kinder, Sterne, Luft etc.). Das sind nicht nur
verschiedene, sondern unterschiedene Dinge. Aber: sie bleiben „Gegenstände“. Wenn ich
also nicht wüsste, was ein Gegenstand ist, könnte ich auch keine Vielheit von
unterschiedlichen Gegenständen verstehen. Ich setze wieder eine Einheit voraus, um eine
Vielheit zu verstehen.
Das bedeutet dann: um zu wissen, was Eines und Einheit ist, brauche ich nicht zu wissen,
was Vieles und Vielheit ist. Um aber zu wissen, was Vieles und Vielheit ist, muss ich
wissen, was Eines und Einheit ist. Einheit und Vielheit bilden also keinen reinen
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Gegensatz. Einheit befindet sich über dem Gegensatz zur Vielheit. Einheit ist ein absoluter
Begriff. Ich brauche nicht die Vielheit, um Einheit zu verstehen.
So weit, so gut. An dieser Stelle können wir aber einen anderen Einwand formulieren,
einen wichtigen. Dieser Einwand könnte von Kant stammen, könnte also sehr modern
klingen, doch wir müssen ihn machen, eben weil wir ja die Modernen sind. Ich habe nun
stets gesagt: etwas ist Eins (ein Heer, ein Reigen, eine Seele etc.). Zugleich habe ich aber
stets vom Verstehen, d.h. Denken, gesprochen. Ist das nun nicht aber etwas
Unterschiedenes? Etwas ist Eines und Ich denke etwas als Eins - ist das nicht eine
Differenz? Und hatten eben Albertus und Thomas das unum nicht ausdrücklich schon als
Denkbestimmung (als etwas Ideelles), aber keineswegs als Seinsbestimmung (etwas
Reales) bezeichnet? Ist es dann aber nicht so, dass wir als denkende Wesen stets Vieles
zu einem Einen vereinen (synthetisch), oder Eines in Vieles auflösen (analytisch)? Geht es
nicht über allum das Denken und eben nicht um ein selbständiges Eines?
Plotin möchte ja gerade behaupten, dass es ein selbständiges, unabhängiges Eines gibt.
Wie kann er das aber? In der Enneade VI 9 über das Gute und Eine fährt er zunächst fort,
zu fragen, wie wir zu dem Einen kommen, und er fragt zuerst: „Müssen wir nun, da ja die
Seele alle Dinge zur Einheit bringt, indem sie sie schafft, bildet, formt, zusammenfügt, bei
der Seele angelangt haltmachen und ihr zuschreiben, daß sie das Eine dargibt und sie das
Eine ist?“ Interessant ist, dass Plotin also die Kantische Frage ihrem Sinn nach kennt. Die
Seele, das ist das Denken, der Ort des Denkens. Plotin fragt, ob nicht die Seele das
synthetisierende Vermögen liefert, das Viele zu einem Einen zu bringen insofern, als die
Seele nachgerade das Eine selber kreiert.
Die Antwort ist nun vielleicht für einen Kantianer nicht wirklich überzeugend, aber Plotin
gibt immerhin eine. Er sagt: die Seele muss selber immer schon selbst Eine sein. Wir
können nicht sagen, es gab die Seele bereits, bevor sie eine war. Bevor die Seele eine
war, war sie überhaupt nichts(, was nicht denkbar ist). Das bedeutet, dass die Einheit der
Seele vorangeht. Wir müssen immer schon Einheit voraussetzen, auch für die Seele und
das Denken. Denn was für die Seele gilt, gilt auch für das Denken. Ohne Einheit kein
Denken, insofern Denken eine Einheit von Denkvollzug und Denkinhalt ist. Selbst wenn
das Denken die Kraft hat, synthetisierend zu operieren, d.h. Vieles zu vereinen, hat es
doch das Eine nicht selbst geschaffen. Das Eine ist ursprünglicher als das Denken. Plotin
sagt das so: „So führt also die Seele einem andern das Eine zu, wobei sie freilich selbst
ein Eines ist; aber ihr widerfährt (sie erleidet) auch ihrerseits eben dies Eins-sein von
einem anderen.“ - eben vom Einen.
Das bedeutet, dass das Eine das Erste ist vor allem anderen. Vor allem anderen? Hatten
wir nicht gerade gezeigt, dass wir bei allem, was es gibt, was ist, das Eine immer schon
voraussetzen müssen? Ja, schon bei dem Sein der Seele müssen wir voraussetzen, dass
dieses Sein eines ist? Ist dann aber Sein und Eines nicht identisch? Ist nicht überall, wo
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