Spoon river project



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um meinen Ruf gebracht, ja, weggeworfen, so geht man nicht um mit Menschen.

Ich wandte mich dem Trost des Goldes zu

und nutzte, was mir an Einfluss blieb,

mich an dem verrottenden Wrack von Thomas Rhodes bankrotter Bank festzusaugen

wie ein Schmarotzerpilz – ich wurde da Schatzmeister.

Jetzt drehten mir alle den Rücken. Mein Haar wurde weiß,

meine hemmungslosen Begierden wurden schal,

Tabak und Whisky verloren ihren Geschmack.

Jahrelang ignorierte mich der Tod

wie eine Mastsau.

151 Henry Tripp
Die Bank machte pleite und ich verlor meine Ersparnisse.

Diese widerlichen Spielchen in Spoon River machten mich krank.

Mir wurde klar: ich muss abhauen,

meinen Platz im Leben und meine Familie aufgeben.

Aber als der Mitternachtszug hereinzockelte,

sprangen Cully Green und Martin Vise fix von Trittbrett

und fingen an zu schlägern,

um ihre alte Feindschaft auszutragen.

Sie schlugen mit ihren Fäusten aufeinander ein, dass es sich anhörte,

als hätten sie sich noch zwei Schlagstöcke drangebunden.

Es kam mir vor, als würde Cully der Sieger sein,

da lief auf einmal ein Grinsen über sein blutiges Gesicht,

er lehnte sich – das war schon krankhaft feige –

an Martin und winselte: Mart, wir sind doch gute Freunde,



du weißt doch, ich bin dein Freund.

Aber eine fürchterliche Gerade von Martin

warf ihn zu Boden, er überschlug sich

und blieb zusammengekrümmt liegen.

Dann nahmen sie mich mit, als Zeugen,

und ich hatte den Zug verpasst, stand da,

war wieder in Spoon River

und brachte den Kampf um mein Leben zu einem Ende.

Cully Green, du, du hast mich gerettet –

du, der beschämt und erniedrigt, kraftlos

in den Straßen herumhing, jahrelang,

und die eiternde Wunde deiner Seele mit Lumpen zudeckte –

du hast deinen Kampf nicht zu Ende gekämpft.

152 Granville Calhoun


Ich wollte Bezirksrichter sein,

eine weitere Amtszeit lang, um eine Dienstzeit

von dreißig Jahren abzurunden.

Doch meine Freunde ließen mich im Stich, gingen über zu meinen Feinden;

es wurde jemand anderes gewählt.

Da packte mich das Verlangen mich zu rächen,

ich flößte es meinen vier Söhnen ein

und brütete über einer möglichen Vergeltung,

bis Natur, die große Ärztin,

mich ganz und gar mit Lähmung schlug,

um Seele und Körper Ruhe zu gewähren.

Kamen meine Söhne zu Macht, zu Geld?

Dienten sie dem Volk oder zwangen sie es unters Joch,

um den Acker ihres Eigennutzes zu bestellen und zu ernten?

Wie hätten sie je mein Gesicht vergessen können,

als ich hilflos zwischen meinen Kanarienvögeln in ihren goldenen Käfigen

am Fenster meines Schlafzimmers saß

und zum alten court house hinübersah?

153 Henry C. Calhoun
Ich brachte es zu höchsten Ämtern in Spoon River –

doch durch welche Bitternis musste ich gehen!

Das Gesicht meines Vaters, der wortlos dasaß

wie ein Kind, seine Kanarienvögel beobachtete

und hinübersah zum Fenster des Richter-Zimmers

im alten court house.

Seine Ermahnungen, ich solle im Leben

den eigenen Vorteil suchen und Spoon River bestrafen,

um das Unrecht zu rächen, das man ihm angetan hatte,

erfüllten mich mit Wut und Kraft,

ich strebte nach Wohlstand und suchte die Macht.

Aber er schickte mich nur auf den Weg

zum Hain der Furien.

Ich ging hin – und ich muss euch sagen:

Auf dem Weg zu diesem Hain kommt ihr

bei den Schicksalsgöttinnen vorbei.

Ihre Augen sind Schatten, sie hocken gebückt vor ihrem Webstuhl.

Haltet einen Augenblick inne, und seht,

wie der Faden der Rache aus dem Schiffchen springt,

dann entreißt Atropos flink die Schere

und schneidet ihn ab, dass nicht eure Söhne

und deren Kinder und Kindeskinder

dieses vergiftete Kleid tragen müssen.
154 Alfred Moir
Warum hat mich die Geringschätzung meiner selbst nicht aufgefressen,

warum bin ich nicht in Gleichgültigkeit

und aussichtslose Auflehnung verkommen wie Ärgernis Jones?

Warum blieb mir, trotz all meiner Irrwege,

das Schicksal von Willard Fluke erspart?

Und warum stand ich vor Burchards Kneipe,

eine Art lebende Reklame für die Jungs,

die sie auf die Idee brachte, Alkohol zu kaufen, und doch

kam der Fluch des Trinkens über mich wie Regen, der von mir abfloss,

und ich blieb nüchtern und unbefleckt?

Warum habe ich nie jemanden umgebracht wie Jack McGuire?

Stattdessen habe ich es zu ein bisschen was gebracht im Leben,

das verdanke ich alles einem Buch, das ich las.

Aber warum ging ich damals nach Mason City,

wo ich das Buch zufällig im Schaufenster sah

und sein auffälliger Umschlag meinen Blick anzog?

Und warum gab meine Seele dem Buch Antwort,

als ich es las und wieder las?


155 Perry Zoll


Ich danke euch, ihr Freunde

vom Bezirksverband Naturwissenschaften,

für diesen bescheidenen Findling

und die kleine Bronzetafel.

Zweimal habe ich versucht, eurer ehrenwerten Vereinigung

beizutreten, doch ich wurde abgelehnt.

Als dann meine kleine Schrift

über die Intelligenz der Pflanzen

Aufmerksamkeit zu gewinnen begann,

wart ihr fast bereit meiner Aufnahme zuzustimmen.

Doch da war ich schon so weit, dass ich euch

und eure Anerkennung nicht mehr brauchte.

Allerdings hatte ich gegen euren Gedenkstein nichts einzuwenden,

weil ich einsah, dass ich in diesem Falle

euch jeglichen Ehrgefühls beraubt hätte.

156 Magrady Graham


Sagt mir doch, wurde Altgeld zum Gouverneur gewählt?

Denn als die Wahlergebnisse hereinkamen

und Cleveland den Osten abräumte,

war das zu viel für dich, armes altes Herz.

Du hattest in den langen, langen Jahren nach der Niederlage

entschlossen für Demokratie gekämpft

und ich merkte, dass du, wie eine Uhr, die zu lange gedient hat,

langsamer wurdest und zuletzt stehen bliebst.

Sagt mir, wurde Altgeld gewählt?

Was hat er bewirkt?

Hat man sein Haupt einer Tänzerin auf dem Tablett serviert?

Als ich ihn sah und seine Hand nahm,

da rührten mich seine blauen Kinderaugen zu Tränen

und ihn umgab eine Aura von Ewigkeit,

wie das kalte, klare Licht, das nach Anbruch der Dämmerung

sich noch auf den Hügeln hält!


157 Archibald Higbie


Spoon River, ich konnte dich nicht ausstehen!

Ich versuchte, über dich hinauszuwachsen.

Ich schämte mich für dich.

Ich verachtete dich dafür,

dass ich hier geboren wurde.

Dort in Rom unter Künstlern

sprach ich Italienisch, sprach Französisch

und es schien mir manchmal, als habe mein Geburtsort

keinerlei Spur in mir hinterlassen.

Ich bildete mir ein, den Gipfel der Kunst erreicht zu haben,

die Luft zu atmen, die auch die großen Meister geatmet hatten,

und die Welt mit ihren Augen zu sehen.

Sie aber übergingen systematisch, was ich schuf, und sagten:

Wohin treibt es dich, mein Freund?

Manchmal machst du Apollo-Gesichter,

andere haben so etwas wie ein Quentchen Lincoln!

In Spoon River gab es keine Kultur, das ist euch klar,

also glühte ich vor Scham und verbot mir zu widersprechen.

Die schwere Scholle des Westens deckte mich zu

und zog mich nieder: was hätte ich tun sollen,

außer mich nach einer Wiedergeburt zu sehnen und darum zu beten,

dass dann alles, was von Spoon River an meiner Seele haftete,

ausgerottet wäre?


158 Tom Merritt
Anfangs hatte ich nur einen Verdacht:

sie war so still, wie geistesabwesend.

Aber eines Tags, als ich vorne ins Haus ging,

hörte ich, wie die Hintertür zuschlug

und ich sah ihn hinter der Räucherkammer sich davonstehlen

durch das Grundstück und übers Feld laufen.

Wenn ich ihn sähe, würde ich ihn umbringen, das hatte ich im Sinn.

Aber als ich dann an jenem Tag bei Fourth Bridge unterwegs war

und nicht einmal einen Stock oder einen Stein in der Hand hatte

und ihn unvermittelt da stehen sah,

war er zu Tode erschrocken, aber er nahm all seinen Mut zusammen.

Alles, was ich sagen konnte, war: Tu’s nicht! Tu’s nicht!

Er zielte und traf mich ins Herz.

159 Mrs. Merritt


Vor Gericht schwieg ich,

ich antwortete dem Richter nicht, wenn er mir Fragen stellte;

ich hatte gegen den Spruch nichts zu sagen,

schüttelte nur den Kopf.

Was hätte ich auch sagen sollen zu Leuten, die dachten,

eine fünfunddreißigjährige Frau sei schuld daran,

dass ihr neunzehnjähriger Liebhaber ihren Mann umbrachte?

Ich hatte ihm immer wieder gesagt:



Elmer, geh fort, geh ganz weit fort,

ich habe dich mit dem Geschenk meines Körpers in den Wahnsinn getrieben:

du wirst etwas Furchtbares tun.

Meine Furcht behielt Recht, er hat meinen Mann getötet.

Womit ich – vor Gott – nichts zu tun hatte.

Dreißig Jahre schwieg ich im Gefängnis.

Die eisernen Tore von Joliet schwangen auf,

als grauhaarige Freigänger schweigend

mich in einem Sarg hinaustrugen.

160 Elmer Karr


Was, wenn nicht Gottes Liebe, hätte die Leute von Spoon River

nachsichtig und bereit machen können

mir zu verzeihen, der ich das Bett Thomas Merritts entehrte

und ihn auch noch umbrachte?

O ihr liebevollen Herzen, die ihr mich aufnahmt,

als ich nach vierzehn Jahren zurückkehrte aus dem Gefängnis!

O ihr hilfreichen Hände, die ihr mich empfingt in der Kirche

und unter Tränen meiner bußfertigen Beichte lauschtet!

Darauf durfte ich das Sakrament von Brot und Wein empfangen!

O ihr Lebendigen, bereuet und vertrauet auf Jesus!


161 Elizabeth Childers
Staub von meinem Staub,

Staub mit meinem Staub,

Kind, du bist gestorben beim Eintritt in diese Welt,

gestorben zugleich mit mir!

Du hast nicht gewusst, was Atmen heißt,

und hast dich doch so angestrengt.

Dein Herz schlug, solange du bei mir wohntest,

es hörte auf zu schlagen, als du mich verlassen hast,

du wolltest dein Leben leben.

Es ist gut, mein Kind.

Du hast dich nie auf diese Reise gemacht,

auf diesen langen, langen Weg, der in der Schulzeit beginnt,

wenn die kleinen Finger verschwimmen unter Tränen,

die auf krumme Buchstaben fallen;

zum ersten Mal wirst du verletzt,

wenn deine erste Liebe dich um einer anderen willen verlässt.

Krankheit wäre gekommen und das Gesicht der Angst,

die an deinem Bett sitzt;

der Vater stirbt oder die Mutter:

Hättest du dich je für sie geschämt

oder deiner Armut?

Dann ist der Verdruss der Schulzeit zu Ende;

die blinde Natur lässt dich trinken vom Kelch der Liebe,

und du weißt doch, er ist vergiftet.

Wem hätte sich dein Blumenantlitz zugewandt? –

einem Botaniker, einem Schwächling?

Was für ein Blut hätte nach deinem geschrien?

Rein oder unrein, das macht keinen Unterschied;

es ist immer Blut, das nach unserem Blut ruft.

Dann deine Kinder – wie wären sie gewesen?

Welches Leid hätten sie dir bereitet?

Kind, Kind, tot sein ist besser als leben.

162 Edith Conant
An diesem Ort versammeln wir uns – wir, die Erinnerungen -

und halten die Hand vor die Augen, denn wir lesen und erschrecken:



17. Juni 1884, 21 Jahre und 2 Tage alt.

Alles hat sich verändert.

Und wir, – wir, die Erinnerungen – wir stehn hier, allein mit uns selbst,

denn niemand nimmt Notiz von uns oder könnte sagen, warum wir hier sind.

Dein Mann ist tot, deine Schwester wohnt in weiter Ferne,

dein Vater ist vom Alter gebeugt;

er hat dich vergessen, kaum dass er noch das Haus verlässt.

Niemand führt sich dein wunderschönes Gesicht vor Augen,

deine lyrische Stimme!

Wie du gesungen hast – sogar noch an jenem Morgen, als es dich traf –

mit einem Schmelz, der zu Herzen ging, so melancholisch, dass es einen nicht losließ.

Es war der Morgen, als das Kind zur Welt kam, das mit dir starb.

Alle haben es vergessen außer uns, den Erinnerungen,

die die Welt vergessen hat.

Alles hat sich verändert, nur nicht der Fluss und der Hügel –

nein, auch sie sind anders.

Nur die Sonne, die herunterbrennt, und die stillen Sterne sind noch dieselben.

Und wir – wir, die Erinnerungen - stehn hier in Andacht,

mit geschlossenen Augen, tränenmüde –

unermesslich müde.


163 Father Malloy


Du liegst da drüben, Father Malloy,

in heiliger Erde, wo ein Kreuz jedes Grab bezeichnet,

nicht hier mit uns, auf dem Hügel –

wir, das ist: schwankender Glaube, vernebelter Blick,

abdriftende Hoffnung, nie vergebene Sünden.

Du, Father Malloy, warst menschlich genug,

mit uns manchmal in Freundschaft ein Glas zu trinken

und bei uns zu sitzen, die wir Spoon River retten wollten

vor seiner kalten, stumpfsinnigen Dorf-Moral.

Du warst wie ein Reisender, der vom Ödland um die Pyramiden

eine kleine Schachtel Sand mitbringt

und uns Ägypten und seine Wunder wirklich erleben lässt.

Du warst Teil einer großen Vergangenheit und bliebst ihr immer verbunden

und standest doch vielen von uns sehr nah.

Du hast an die Freude des Lebens geglaubt.

Vor der Fleischlichkeit hast du dich, so scheint es, nicht geschämt.

Du bist dem Leben gegenübergetreten, hast es gesehen, wie es ist und wie es sich ändert.

Es war beinahe so, dass manche von uns zu dir kamen, Father Malloy,

weil sie sahen, wie deine Kirche das Herz freigelegt hatte

und für es sorgte.

Petrus der Entflammte

wurde Petrus der Fels.

164 Ami Green
Ich war nicht ein junger Mann mit ergrautem Haar und verstörtem Blick,

sondern ein alter Mann mit glatter Haut und schwarzem Haar.

Mein Gesicht sah jungenhaft aus, so lange ich lebte,

und jahrelang war meine Seele steif und geknickt.

In einer Welt, die mich als Witzfigur sah,

die man kumpelhaft grüßen konnte, wenn einem danach war,

und der man bei anderer Gelegenheit alles Mögliche aufbürdete.

In Wahrheit war ich weder erwachsen noch ein Kind,

weder Seele noch Leib kamen zur Reife, und ich sage euch,

dass die viel begehrte Trophäe der Ewigen Jugend

nichts ist als verzögertes Wachstum.

165 Calvin Campbell


Ihr, die ihr euch auflehnt gegen das Schicksal,

sagt mir, wie kommt es, dass auf dieser Seite des Hügels,

die zum Fluss abfällt,

die die Sonne bescheint und der Südwind bestreicht,

diese Pflanze hier aus Luft und Erde Gift aufsaugt und giftiger Efeu wird?

Und dass jene andere Pflanze von derselben Luft und demselben Boden

wohlriechendes Elixier und Farbe aufnimmt und Erdbeerbaum wird?

Ihr könnt Spoon River den Vorwurf machen, dass es Spoon River ist,

aber wem wollt ihr zum Vorwurf machen, dass ein Wille in euch ist,

der sich aus sich selbst nährt und aus euch Ampfer,

Stechapfel, Hundeblume oder Königskerze macht

und der niemals Erde oder Luft, gleich welcher Beschaffenheit, so nützen kann,

dass aus euch Jasmin oder Glyzinie werde?

166 Henry Layton


Spaziergänger, wer auch immer du bist,

du sollst wissen, dass mein Vater freundlich war,

meine Mutter aber heftig,

ich dagegen wurde als ein Ganzes solch einander feindlicher Hälften geboren,

keine Vereinigung, keine Mischung,

sondern jedes Teil für sich, mit schwacher Kraft zusammengeschweißt.

Mancher von euch hat meine freundliche Seite gesehen.

Mancher meine heftige.

Mancher beide Seiten.

Aber meinen Untergang hat keine der beiden Hälften bewirkt.

Es war das Auseinanderfallen beider Hälften,

die nie zu einem Teil der anderen Hälfte geworden waren.

So blieb meine Seele übrig,

nicht lebensfähig.


167 Harlan Sewall


Unbekannte,

du hast nie verstanden,

warum es so kam, dass ich deine hingebungsvolle Freundschaft

und zartfühlende Dienstbarkeit

zuerst mit sparsamem Dank vergolten habe.

Später zog ich mich Schritt für Schritt von dir zurück.

So konnte mich niemand zwingen dir zu danken.

Dann folgte nach unserer endgültigen Trennung

das Schweigen.

Du hattest meine kranke Seele kuriert,

doch damit du sie kurieren konntest,

hast du meine Krankheit gesehen, kanntest mein Geheimnis.

Deswegen bin ich vor dir geflüchtet.

Denn obwohl wir, wenn unser Körper sich vom Schmerz erhebt,

die fürsorglichen Hände auf immer küssen,

die uns Wermut gaben, während es uns

bei dem Gedanken an Wermut kalt über den Rücken lief,

ist doch eine kurierte Seele aus anderem Stoff.

Daher tilgen wir gewöhnlich die sanft tönenden Worte,

die Augen, die uns suchten, aus dem Gedächtnis

und beharren auf immer darauf dass wir es vergessen:

nicht so sehr das Leid an sich,

sondern die Hand, die uns Heilung brachte.

168 Ippolit Konovaloff


In Odessa habe ich Gewehre gebaut.

Die Polizei stürmte einmal mitten in der Nacht den Raum,

wo wir zusammen Spencer lasen.

Die Bücher wurden beschlagnahmt, wir wurden verhaftet.

Ich konnte entkommen und ging nach New York,

von dort nach Chicago und schließlich nach Spoon River,

wo ich mich in Ruhe mit meinem Kant beschäftigen konnte.

Ich reparierte Gewehre und fristete so mein Leben.

Meine Gussformen! Seht sie euch an: ich habe sie so entworfen:

eine für den Lauf, eine für den Schlagbolzen, andere für andere Teile des Gewehrs.

Jetzt nehmen wir einmal an, kein anderer lebender Waffenbauer

hätte etwas anderes als Duplikate von den Gussformen,

die ich euch gezeigt habe – ja, dann wären

alle Gewehre genau gleich, mit einem Schlagbolzen,

der auf die Zündkapsel schlägt und einem Lauf für die Kugel,

und alle wären gleich zu bedienen und alle

würden gleich aufeinander schießen.

Das wäre eure Gewehrwelt!

Niemand könnte sie von sich selbst befreien

außer einem Gussformenbauer mit anderen Gussformen;

der das Metall überformte.

169 Henry Phipps


Ich hatte die Oberaufsicht über die Sonntagsschule,

war zum Schein Vorsitzender der Reparaturwerks der Eisenbahn

und der Konservenfabrik –

ein Strohmann von Thomas Rhodes und der Banker-Clique.

Mein Sohn wurde Kassier der Bank

und heiratete Rhodes‘ Tochter.

Meine Arbeitstage verbrachte ich mit Geldgeschäften,

an Sonntagen hatte ich in der Kirche zu sein und zu beten.

Ich war ein Zahnrad im Räderwerk, das hieß: Es ist so wie es ist,

dazu gehörten Geld, Hierarchie und Menschen

und die weiße Tünche des christlichen Credos.

Doch dann

machten sie Bankrott.

Da stand ich und fuhrwerkte herum an der kaputten Maschine –

die Öffnungen in den Rädern waren mit Kitt verschmiert und mit Farbe zugestrichen,

die Schrauben griffen nicht mehr, das Gestänge war zerbrochen;

nur der Einfülltrichter für Seelen war bereit,

auf eine neue Lebensvernichtungsmaschine gesetzt zu werden,

wenn Zeitungen, Richter und Geldzauberer

wieder etwas drüber geklotzt haben würden.

Ich stand da, entblößt bis auf die Knochen, aber ich lag im Fels der Ewigkeit

und durchschaute jetzt das Spiel, ließ mich nicht länger täuschen

und wusste: Der Aufrechte soll das Land bewohnen,

die Jahre des Bösen werden gezählt sein.

Dann entdeckte Dr. Meyers auf einmal

in meiner Leber Krebs.

Alles in allem genoss ich doch nicht Gottes besondere Fürsorge.

Was? – Jetzt wo ich gerade auf einem Gipfel stand,

hoch über dem Nebel, durch den ich mich hinaufgekämpft hatte

und bereit war für ein reichhaltigeres Leben,

stießen mich Kräfte der Ewigkeit

unsanft weiter fort.

170 Harry Wilmans


Ich war gerade zwanzig geworden,

und Henry Phipps, der die Oberaufsicht über die Sonntagsschule hatte,

hielt eine Rede in Bindles Opera house.

Der Fahne muss weiter Ehre bezeugt werden, sagte er,

ganz gleich ob sie vom barbarischen Stamm der Tagalog

oder von Europas größter Macht angegriffen wird.

Wir jubelten ihm zu, immer wieder, und die Fahne, die er schwang,

während er sprach.

Ich zog in den Krieg, mein Vater war dagegen,

aber ich folgte der Fahne, bis ich sie aufgepflanzt sah

bei unserem Lager in einem Reisfeld, nahe der Stadt Manila.

Wir alle jubelten ihr zu, immer wieder.

Doch da gab es Fliegen und giftige Dinger,

im Wasser lauerte der Tod

und die Hitze war grausam;

dann das vergammelte Essen, das krank machte,

der Gestank aus den Gräben, direkt hinter den Zelten,

wo die Soldaten ihre Notdurft verrichteten;

ich rede nicht von den Huren, die uns nachliefen, von Syphilis strotzend,

von viehischen Handlungen unter uns selbst und allein:

Schlägereien, Hass; immer größere Verkommenheit breitete sich aus;

Tage voller Überdruss und Nächte voller Angst

bis zur Stunde des Angriffs quer durch den dampfenden Sumpf

hinter der Fahne her,

bis ich fiel, schreiend, ein Schuss ins Gedärm.

Jetzt liegt eine Fahne über mir

in Spoon River: Eine Fahne!

Eine Fahne!

171 John Wasson


Oh! Dieses taufeuchte Gras dieser Wiese in North Carolina,

durch das Rebecca mir nachlief, wimmernd und wimmernd,

ein Kind trug sie auf dem Arm, drei rannten mit ihr und wimmerten;

so wurde mein Abschied lang, ich zog in den Krieg gegen England.

Dann folgten lange, harte Jahre bis auf den Tag von Yorktown.

Dann suchte ich nach Rebecca und fand sie zuletzt in Virginia.

Zwei Kinder waren inzwischen gestorben,

wir ritten auf Ochsen nach Tennessee, kamen von dort, Jahre später, nach Illinois

und schließlich nach Spoon River.

Wir mähten das Büffelgras, legten die Wälder nieder,

bauten Schulen, bauten Brücken,

zogen Straßen und bestellten die Felder,

allein mit der Armut, den Plagen, dem Tod.

Wenn Harry Wilmans, der gegen die Filipinos kämpfte,

auf seinem Grab eine Fahne bekommen soll,

könnt ihr die von meinem nehmen.


172 Many soldiers


Vor uns tanzte die Idee – als Fahne.

Ein Klang von kriegerischer Musik,

der Kitzel, ein Gewehr zu tragen;

wenn man zurückkäme, stünden einem alle Wege offen;

glitzernder Ruhm, Wut auf die Feinde;

du träumst den Traum einer Pflicht vor deinem Land oder vor Gott.

Das alles spielte sich in uns selber ab, leuchtete uns auf dem Weg,


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