Antimikrobielle Substanzen werden auf-
grund der guten Datenlage breit eingesetzt.
Seit Jahren mehren sich jedoch Berichte
über mögliche Resistenzen gegenüber
Chlorhexidin (CHX). In dieser Arbeit soll auf-
gezeigt werden, welche Mechanismen in-
frage kommen und welche Empfehlungen
und Alternativen sich anbieten.
NIKOLAUS F. SCHÄFER
Antiseptika und Desinfektionsmittel sind
aus der Prävention nosokomialer Infektio-
nen nicht mehr wegzudenken. Trotz ihres
flächendeckenden Einsatzes zur Minimie-
rung mikrobieller Kontaminationen ist
deren Wirkungsweise jedoch weniger gut
verstanden als die der Antibiotika. Im Ver-
gleich zu den Antibiotika verfügen Anti -
septika und Desinfektionsmittel über ein
breiteres Wirkspektrum und meist über
mehrere zelluläre Angriffspunkte. Zudem
werden sie bis heute noch oft sehr unkri-
tisch und unangemessen eingesetzt, was zur
Entstehung von Resistenzen führt – ein
ernstes klinisches Problem, das im Zusam-
menhang mit dem Gebrauch von Antibio-
tika schon lange bekannt ist (1).
Neben der beträchtliche Anzahl von Stu-
dien und Berichten zur Resistenzentwick-
lung gegen häufig eingesetzte Antiseptika
gibt es auch schon eine Reihe von Berichten
über Kreuzresistenzen mit Antibiotika (2, 3).
Unter verschiedenen chemischen Substan-
zen mit guter bakteriostatischer beziehungs-
weise bakterizider Wirkung (chlorhaltige
Lösungen, organische Silberverbindungen,
alkoholische Gemische, katio
nische Sub-
stanzen, wie zum Beispiel quartäre Ammo-
niumverbindungen [QAV]) haben sich für
die antiseptische Wundbehandlung insbe-
sondere die Jodophore in der Chirurgie und
Chlorhexidin (CHX) in der Zahnheilkunde
durchgesetzt (4). Chlorhexidin wird wegen
seiner remanenten Wirkung zudem beson-
ders gerne zur Prävention katheterasso
-
ziierter Infektionen (5) und, besonders im
angelsächsischen Raum, zur Händedesin-
fektion benutzt (6).
Arten mikrobieller Resistenz
Mikroorganismen reagieren verschieden
auf antimikrobielle Substanzen, basierend
auf ihrer jeweiligen zellulären Struktur, Zu-
sammensetzung und Physiologie. So wirkt
CHX mit grossen Speziesdifferenzen gegen
gramnegative und die meisten grampositi-
ven Bakterien, jedoch nur sehr schwach
gegen Mykobakterien und Bakterienspo-
ren, gegen Pilze erst in höheren Konzentra-
tionen. CHX wirkt viruzid gegen behüllte
Viren wie HSV und HBV, gilt aber als un-
wirksam gegen unbehüllte Viren (für eine
gute Zusammenfassung sei «Wallhäussers
Praxis der Sterilisation» empfohlen [7]).
Dieser intrinsischen Resistenz steht die er-
worbene Resistenz gegenüber, die sich ent-
weder adaptiv durch Mutation oder Über-
tragung von genetischem Material in Form
von Plasmiden oder Transposons ent
-
wickelt. Erworbene Resistenz ist bisher nur
bei grampositiven und gramnegativen Bak-
terien nachgewiesen worden.
Bakterielle Resistenz gegenüber antimikro-
biellen Substanzen kann (1) in der Zusam-
mensetzung der äusseren Zellschichten be-
gründet sein, die als Permeabilitätsbarriere
das Erreichen intrazellulärer Angriffs-
punkte verhindern. Weitere Mechanismen
sind (2) membrangebundene Transport-
proteine, sogenannte Effluxpumpen, die
eingedrungene antimikrobielle Substanzen
umgehend wieder aus der Zelle transpor-
tieren, sowie (3) spezielle Enzyme, die den
bioziden Wirkkomplex abbauen und zer-
setzen können. Resistenzen können aber
auch durch (4) phänotypische Anpassung
an Umweltbedingungen entstehen. Ein Bei-
spiel dafür ist die Plastizität der Zellwand:
Abhängig von der Wachstumsrate und li-
mitierenden Nährstoffen ändert sich die
Dicke und Quervernetzung von Peptido-
glykanen und damit die Empfindlichkeit
gegenüber Antiseptika und Desinfektions-
mitteln. Ferner führt die Aggregation von
Mikroorganismen an festen Oberflächen
zu einem Biofilm, der aus mehreren
Gründen die Empfindlichkeit gegenüber
Antiseptika und Desinfektionsmitteln
herabsetzen kann (z.B. durch Wirkung als
physikalische Barriere, Modulation der
Mikroumgebung, reduziertes Wachstum).
Das ist besonders problematisch beim Ein-
satz von Implantaten und Kathetern.
Schliesslich wird die Wirkung von anti
-
mikrobiellen Substanzen auch durch oxi-
dativen Stress beeinflusst, da die zur Vermei-
dung von Zellschäden gebildeten Enzyme
neutralisierend wirken können. Eine Über-
sicht über die typischen Ursachen bak
-
terieller Resistenz gegen CHX bietet die
Tabelle.
Primärer Angriffspunkt für kationische
Substanzen wie Chlorhexidin ist die Zell-
wand. Die Oberflächenladung der negativ
geladenen Zytoplasmamembran wird bei
ausreichender Wirkstoffkonzentration neu-
tralisiert (7). Bestandteile der inneren Zell-
membran werden herausgelöst, und der
Kontakt mit dem Cytosol führt zur Koagu-
lation von Zytoplasmabestandteilen und
zur Enzymhemmung (2).
1. CHX-Resistenz
durch verringerte Permeabilität
So verwundert es nicht, dass die CHX-
Resistenz von Bakteriensporen und Myko-
Anwendung von Antiseptika
und Desinfektionsmitteln
Mechanismen der Resistenzentwicklung gegen Chlorhexidin (CHX)
ARGUS HYGIENE
Berichte, Studien, Innovationen
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Merksätze
• Flächendeckender Einsatz von Chlor -
hexidin (CHX) in Spitälern begünstigt
möglicherweise eine Selektion resis -
tenter Stämme.
• Dem Einsatz und der Wahl der antimi-
krobiellen Substanz sollten mehr
Überlegung und Sorgfalt entgegen-
gebracht werden.
• Der Wechsel von CHX zu adäquaten
Alternativen (z.B. Octenidindihydro-
chlorid) kann dazu beitragen, mikro-
bielle Resistenzentwicklung zu ver-
meiden.
Text:
Dr. Nikolaus F. Schäfer
Redaktion: Dr. med. Richard Altorfer
Mit freundlicher Unterstützung
durch steinberg pharma AG.
bakterien in der Barrierefunktion der Spo -
renhülle (Coat) und in der aus Petidoglyk -
anen bestehenden Sporenrinde (Cortex) be-
ziehungsweise der Zellwandkomponente
Arabinogalactan (bei Mykobakterien) be-
gründet ist (2). Auch bei besonders wider-
standsfähigen Formen gramnegativer Bak-
terien, wie zum Beispiel Proteus spp., ist die
Resistenz auf eine Besonderheit der Zell-
membran zurückzuführen: Bei diesen Spe-
zies ist ein weniger saurer, neutralerer Typ
von Lipidpolysacchariden (LPS) enthalten
(8, 9). Im Falle von S. marcescens (10) und
P. stutzeri (11) gelang es, durch dauerhafte
Exposition gegenüber geringen CHX-Kon-
zentrationen Bakterien zu ent wickeln, die
sich durch eine stabile 258- bezie
hungs -
weise 50-fach erhöhte minimale Hemm-
konzentration (MHK) auszeichneten. Als
Ursache dafür werden unspezifische Ver -
änderungen in der Zellhülle an genommen.
Folglich wird das gehäufte Vorkommen von
Stämmen mit erhöhter MHK in Isolaten aus
Krankenhäusern auf den flächen
decken -
den Einsatz kationischer, antimikrobieller
Substanzen zurückgeführt, der eine Se lek -
tion resistenter Stämme begünstigt (2). Bei
einigen mukösen, grampositiven Bakte-
rienstämmen führt eine Schleimschicht zur
verringerten Aufnahme von CHX (12).
Die bisherigen Daten sprechen ferner dafür,
dass auch die intrinsische CHX-Resistenz
von Hefen, wie zum Beispiel S. cerevisiae und
C. albicans, auf eine Barrierefunktion durch
die Struktur der Zellwand zurück zuführen
ist. Insbesondere die Struktur der Glucane,
die Dicke und die Porosität der Zellwand
scheinen hier eine Rolle zu spielen.
2. CHX-Resistenz
durch Degradation/Inaktivierung
Degradation von Chlorhexidin konnte in
mehreren Bakterienarten nachgewiesen
werden (S. marcescens, P. aeruginosa,
Achromabacter/Alcaligenes xylosoxidans)
(13). Diese Form der Resistenz entsteht an-
scheinend nur durch chromosomale Ände-
rungen; eine Übertragung durch Resistenz-
plasmide wurde bisher nicht nachgewiesen.
3. CHX-Resistenz durch erhöhten Export
Effluxpumpen (oder auch «multidrug resis-
tance pumps») sind jedoch der wahrschein-
lich am besten untersuchte Resistenz
-
mechanismus gegenüber vielen Antibiotika,
antimikrobiell wirksamen Metallionen und
kationischen Desinfektionsmitteln und
Antiseptika wie CHX. Eine besonders hohe
klinische Relevanz haben Stämme von
methicillinresistenten S. aureus (MRSA),
die eine Hauptursache für Sepsis in Spitä-
lern sind. Dabei ist schon seit Längerem
bekannt, dass einige Antiseptika, wie zum
Beispiel Chlorhexidin, eine höhere MHK
bei solchen Stämmen haben, die ein Plas-
mid mit einem Resistenzgen für Gentami-
cin (ein Aminoglycosidanantibiotikum)
tragen. Auf diesen Plasmiden der pSK1-
Familie wurden in Staphylokokken bereits
verschiedene Resistenzgene identifiziert,
die zu den Genfamilien qacAB und qacCD
gehören und für Effluxpumpen kodieren
(14, 15). Eine experimentelle Elimination
der Resistenzplasmide hatte immer eine
Reduktion der MHK zur Folge. Ein Ein-
fluss auf die minimale bakterizide Konzen-
tration (MBK) konnte jedoch nicht nach -
gewiesen werden (16).
Darüber hinaus gibt es bis heute keine oder
nur sehr wenige Hinweise, dass sich Resis-
tenzen gegen antimikrobielle Substanzen
bei anderen grampositiven Bakterien mit-
tels Plasmiden manifestieren.
Obwohl etliche Studien zeigen, dass eine
Antiseptikaresistenz auch bei gramnega
-
tiven Bakterien (z.B. E. coli, P. stuartii,
P. aeroginosa, Proteus spp.) durch Plasmide
übertragen werden kann, fehlen bis anhin
Hinweise dafür, dass auch eine CHX-Resis-
tenz so vermittelt wird. Vielmehr werden
als Ursache intrinsische Faktoren oder
Mutationen angenommen (s.o.).
Diskussion
Es ist offensichtlich, dass sich Mikroorga-
nismen an eine Vielzahl von physikalischen
und chemischen Umgebungsbedingungen
anpassen können. Deshalb überrascht es
nicht, dass Resistenzen gegenüber häufig
eingesetzten Antiseptika und Desinfek
-
tionsmitteln, wie Chlorhexidin, beobachtet
wurden. Von klinischer Relevanz sind
dabei insbesondere der Selektionsvorteil re-
sistenter Keime im Spital- und Pflegeumfeld
sowie erworbene, plasmidkodierte Resis-
tenzen gegen grampositive Bakterien (ins-
besondere S. aureus). Gerade Letztere
müssen als problematisch erachtet werden:
Zum einen ist S. aureus einer der häufigsten
Gründe für spitalassoziierte Bakteriämien
(mit einer weltweiten Inzidenz zwischen
20 und 40 Fällen pro 100 000) (17), zum
anderen besteht die Gefahr von Kreuzresis-
tenzen mit Antibiotika. So könnte bereits
eine geringfügig erhöhte MHK von CHX
zu einem Selektionsvorteil für antibiotika-
resistente Staphylokokken (v.a. MRSA) füh-
ren, wenn die entsprechenden Resistenz-
gene auf demselben Plasmid kodiert sind.
Obwohl das Thema der Kreuzresistenzen
zu Antibiotika in der Fachwelt sehr kontro-
vers diskutiert wird, gibt es Hinweise, dass
ein unkritischer, flächendeckender Einsatz
von CHX, zum Beispiel zur Händedesin-
fektion, das Risiko der MRSA-Situation in
Spitälern tatsächlich verschlimmert (6).
Fazit
Während ein Antibiotikum bereits in gerin-
gen Konzentrationen in der Regel zur Ab-
tötung des Keims führt, kommt es beim
Einsatz von Antiseptika und Desinfektions-
mitteln oft nur zu einer Hemmung des anti-
mikrobiellen Wachstums (trotz ihrer häufi-
gen Bezeichnung als Biozide) (18). Trotz-
dem sollte dem Einsatz und der Wahl des
antimikrobiellen Mittels mehr Überlegung
und Sorgfalt entgegengebracht werden, da
resistente Keime durch allfällige Substanz-
Berichte, Studien, Innovationen
ARGUS HYGIENE
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Tabelle:
Arten der bakteriellen Resistenz gegen Chlorhexidin und ihre typischen Ursachen
Resistenzmechanismus
Resistenzursachen
Intrinsisch
Erworben
Reduzierte Aufnahme
Permeabilitätsbarriere
Degradation/Inaktivierung
Chromosomale Änderungen
Efflux
Plasmidkodierte Exportproteine
Phänotypische Anpassung
Zellwandplastizität/Biofilmbildung
rückstände im Spital- und Pflegebereich zu-
mindest theoretisch einen Selektionsvorteil
erfahren könnten und durch Kreuzresisten-
zen mit Antibiotika die Gefahr nosokomia-
ler Infekte substanziell erhöhen könnten.
Die intensiv geführte Kontroverse in Fach-
kreisen lässt erahnen, welch weitreichende
Konsequenzen Kreuzresistenzen im Spital-
und Pflegebereich hätten.
Der Eignung der eingesetzten antimikro-
biellen Substanz sollte daher immer im Hin-
blick auf Konzentration und Zielkeim(e)
besondere Sorgfalt zuteilwerden. Zudem
empfiehlt sich der regelmässige Wechsel des
Mittels mit einer Alternative aus einer
anderen Substanzklasse, um die Selektion
resistenter Keime zu unterbinden.
Eine valable Alternative zu CHX ist zum
Beispiel die ebenfalls kationische, anti
-
mikrobiell wirkende Substanz Octenidin -
dihydrochlorid (OCT). Im Gegensatz zu
quartären Ammoniumverbindungen wie
Benzalkoniumchlorid oder auch Guani
-
dinen wie Chlorhexidin unterscheidet es
sich jedoch durch die fehlende Amid- oder
Esterstruktur (19).
Bei Octenidin konnte eine Resistenzent-
wicklung in vitro in bisher über 20 Jahren
nicht nachgewiesen werden und ist auf-
grund der Wirkungsweise auch nicht zu er-
warten (20, 21). OCT übertrifft Chlorhexi-
din deutlich an Wirksamkeit (22) und
weist, wie in einer Studie von 2006 gezeigt
werden konnte, auch gegen qacA-positive
MRSA-Stämme eine ausreichende Keim-
zahlreduktion von mehr als 5-log-Stufen
auf, während CHX in dieser Untersuchung
bereits keine ausreichende Wirksamkeit
mehr erreichte (23). Octenidin kann CHX
in den meisten Anwendungsgebieten pro-
blemlos ersetzen (Infektionsprophylaxe,
Wunddesinfektion, Mundhöhlenantiseptik)
und empfiehlt sich zudem aufgrund der
besseren Hautverträglichkeit und des güns-
tigeren toxikologischen Profils (21).
❖
Dr. Nikolaus F. Schäfer
Scientific Services
steinberg pharma AG
Bleichestrasse 32
8400 Winterthur
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