Zum Thema Affekt in der Psychoanalyse – einige lose Enden



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Metapsychologische Probleme mit der Theorie der Affekte


(Franz Oberlehner)

Ich kam eher zufällig zu diesem Thema. Aus beruflichen Zusammenhängen ergab sich für mich 1999 die Möglichkeit, den 41. Kongreß der IPA in Santiago zu besuchen. Er stand unter dem Generalthema „Affekt in Theorie und Praxis“. Ich konnte mir nicht recht viel darunter vorstellen. Leider wußte ich nicht, daß drei Hauptbeiträge vorveröffentlicht waren. Meine Vorbereitung war daher etwas dürftig.

Mir gefielen zwar Stimmung und Kontaktmöglichkeiten auf dem Kongreß außerordentlich, von den Hauptvorträgen verstand ich jedoch recht wenig. Die Übersetzerinnen in den Kabinen waren heillos überfordert und stammelten mehr oder weniger unsinniges Zeug daher.

In meinem theoretischen Verständnis der Affekte war ich nachher nicht viel weiter. Das war allerdings, wie ich glaube, nicht nur ein Sprachproblem. Die Vorträge in Spanisch und Portugiesisch verstand ich zwar gar nicht, aber für die Referate in Englisch reichten meine Kenntnisse aus, um in groben Zügen folgen zu können. Mit dem in zwanzig Minuten dargebotenen Kondensat einer psychoanalytischen Lebenserfahrung etwa eines Andre Green ging es erfahrenen Analytikern auch nicht viel besser als mir.

Das Thema ließ mich trotzdem nicht los, und so beschloß ich, mich etwas einzuarbeiten um einen Vortrag daraus zu machen. Mir wurde zwar immer klarer, wie vielschichtig und uferlos die Beiträge dazu sind. Der Gedanke, meine Ansprüche so weit zu bescheiden, daß ich einige Fäden aufgreife und verfolge, ohne in der Lage zu sein, ein entwirrtes und einheitliches Bild ihrer Verknüpfung angeben zu können, ermöglichte es mir, die Arbeit fortzusetzen. Ehrlich gesagt schwanke ich bis jetzt zwischen Reue und Stolz (um es mit Affekten auszudrücken), mich auf dieses schwierige Thema eingelassen zu haben.
In der psychoanalytischen Theoriebildung haben wir es mit verschiedenen Ebenen zu tun, grob gesagt mit der psychischen Phänomenologie der analytischen Situation, mit der klinischen Theorie und mit der Metapsychologie (Vgl. Wälder 1962, S. 620 und Schmidt-Hellerau 1995, S. 19). In diesem Referat geht es um Metapsychologie, um die theoretischen Vorstellungen vom Aufbau und von der Funktionsweise des psychischen Apparates und dem Platz, den Affekte darin finden.1

Den Begriff Affekt verwende ich hier in Übereinstimmung mit dem „Vokabular der Psychoanalyse“ von Laplanche und Pontalis, in dem er als ein „durch die Psychoanalyse von der deutschen psychologischen Terminologie übernommenen Ausdruck“ definiert wird, „der jeden affektiven Zustand bezeichnet, sei er peinlich oder angenehm, verschwommen oder näher bestimmt, ob in Form einer massiven Abfuhr oder allgemeinen Tönung sich anbietend.“(1967, S. 37).


Das Gebiet, auf dem ich mich damit bewege, ist eines voll merkwürdiger Widersprüche und unbefriedigender theoretischer Lösungen. Von wichtigen psychoanalytischen Theoretikern wurde über die Jahrzehnte immer wieder festgestellt, daß Freud keine ausgearbeitete Affekttheorie hinterlassen habe und daß es noch nicht gelungen sei, dieses Manko zu beheben, obwohl dies in einem merkwürdigen Gegensatz zur klinischen Bedeutung der Affekte stehe. Diese Feststellungen ziehen sich vom Marienbader Kongreß 1936, von dessen Vortragenden später Marjorie Brierley am meisten zitiert wurde - sie meinte damals: „Es wird Zeit, daß wir den Affekten in der Theorie einen Platz einräumen, der ihrer Bedeutung in der Praxis entspricht.“(Brierley 1936, S 440) - über eine Diskussion in den 50iger Jahren, für die Rapaport (1953) einen der wichtigsten Beiträge lieferte, bis zum Kongreß der IPA 1977 in Jerusalem, der zum Thema Affekt abgehalten wurde. Als Beispiel für letzteren sei nur Jacob Arlow (1976) zitiert: „(es) besteht bei vielen von uns die Überzeugung, (...) daß unsere Kenntnisse über die Affekte ungenügend, daß keine angemessene Theorie der Affekte vorhanden sei.“ (S. 637). Kernberg schreibt 1992 (S. 13): „Erst in den letzten zehn Jahren hat sich an dieser Situation etwas zu ändern begonnen.“. Es ist mir nicht klar, was er damit meint, außer seine eigene Theorie natürlich. Für „die Psychoanalyse“ konnte man Anfang der 90iger Jahre schon nicht mehr sprechen und heute noch viel weniger. Green zählt 1999 auf, was aus seiner Sicht noch alles unbeantwortete Fragen sind: das Verhältnis von Affekten zum Körper, zum Selbst und zum Objekt, zu Fantasie, zur Aktivität und zur Sprache (Green 1999b, S. 283).

Das Ziel dieses Vortrages ist es, einige wichtige Probleme herauszuarbeiten, die in der theoretischen Konzipierung der Affekte bestanden und bestehen. Als Bezugsrahmen dient dabei die klassische Metapsychologie. Es geht zuerst um das Verhältnis von Affekt und Trieb, dann um die Anwendung der klassischen metapsychologischen Gesichtspunkte auf die Affekte und schließlich das Verhältnis neuerer Konzeptionen zur Freudschen Theorie.



Affekt versus Trieb oder Widersprüche in den Fundamenten

Beginnen möchte ich damit, eine Vermutung zu formulieren, die bei der Bearbeitung des Themas entstanden ist. Ich tue dies mit einer gewissen Scheu, weil sie sozusagen die Fundamente betrifft und ich bis jetzt diesen Gedanken in der Literatur für mein Gefühl wohl implizit, aber nirgends in seiner vollen Ausformulierung explizit finden habe können.

Die Vermutung fand in meinem Kopf zuerst folgende Formulierung: Ich meine, daß sich die Psychoanalyse relativ schwer tut, eine kohärente Affekttheorie zu entwickeln, weil der Affekt zugleich Grundlage und Gegenstand der psychoanalytischen Theorie ist. Was ich damit meine, ist folgendes: Die Freudsche Metapsychologie ist eine Triebtheorie. Die Triebe bilden die Fundamente, die Affekte leiten sich von ihnen ab, sind Triebabkömmlinge. Insofern ist der Affekt Gegenstand der Theorie, erklärt in einem Rahmen, dessen Fundament die Triebe bilden. Aber zum Fundament dieser Theorie gehört auch das Lust-Unlust-Prinzip. Vor allem die Unlust ist Motiv für die Triebverdrängung und bildet als solches eine Art fundamentales Gegengewicht zu den Trieben. Man kann ja wohl sagen, daß Freud mit diesem Prinzip die am meisten akzeptierte Unterteilung der Affekte in lustvolle und unlustvolle aufgreift. Aber können dann Affekte, die die Möglichkeit der Triebabfuhr steuern, zugleich Triebabkömmlinge sein.

Was ich damit wohl behaupte ist, daß die klassische Metapsychologie durch die zentrale Rolle des Lust-Unlust-Prinzipes ebenso eine Affekttheorie wie eine Triebtheorie, präziser gesagt, ebenso eine auf Affekte reduzierende wie eine auf Triebe reduzierende Theorie ist. Ich weiß nicht, wie weit das haltbar ist. Ein Grundirrtum meinerseits könnte etwa darin bestehen, daß ich das Lust-Unlust-Prinzip mit Affekten gleichsetze, es in Wirklichkeit aber ein rein unbewußtes Steuerungsprinzip ist, das nichts mit Affekten zu tun hat, wie etwa Joffe und Sandler (1967) und Schur (1969) meinen. Für Freud besteht das Lustprinzip darin, daß der psychische Apparat „durch Empfindungen der Lust-Unlustreihe automatisch reguliert wird“ (GW X, S. 214). Sind Affekte Empfindungen aus der Lust-Unlustreihe? Wenn ja, würde der zitierte Satz für meine Annahme sprechen. Im gleichen Satz meint Freud jedoch weiter, „daß diese Empfindungen die Art, wie die Reizbewältigung vor sich geht, wiedergeben“. Damit wären Affekte oder Empfindungen doch nur Spiegelungen von Prozessen auf körperlicher Ebene oder Triebebene und wären nicht eigentlich Teil des steuernden Prinzips.

Ich kann diese Frage für mich nicht schlüssig beantworten. Es spricht zwar einiges dafür zu sagen, daß dieses Steuerungsprinzip die Affekte ja erst hervorbringt und nicht mit ihnen gleichzusetzen ist. Ich möchte aber noch einige Punkte anführen, die mich eher darin bestärkt haben zu meinen, daß die Affekte nicht in einseitiger Abhängigkeit von den Trieben gedacht werden sollen und daß dies eigentlich schon in der klassischen Theorie nicht schlüssig ist.
° Da ist zuerst die Geschichte. Sie liefert ein mögliches Motiv für die theoretische Unterordnung der Affekte unter die Triebe. Ich meine die der Geburt der Psychoanalyse aus Hypnose und Katharsis. In den vorpsychoanalytischen Schriften vertrat Freud eine ausgesprochene Affekttheorie. Dies wurde oft festgestellt. Sandler et al z.B. sprechen in ihrer Monographie über „Freud’s Models of the Mind“ in Zusammenhang mit diesen Schriften vom „Affekt-Trauma Modell“. So steht etwa in „Die Abwehr-Neuropsychosen“ noch der peinliche Affekt am Beginn der Neurose:

„Bei den von mir analysierten Patienten hatte nämlich psychische Gesundheit bis zu dem Moment bestanden, in dem ein Fall von Unverträglichkeit in ihrem Vorstellungsleben vorfiel, d.h. bis ein Erlebnis, eine Vorstellung, Empfindung an ihr Ich heran trat, welches einen so peinlichen Affekt erweckte, daß die Person beschloß daran zu vergessen, weil sie sich nicht die Kraft zutraute, den Widerspruch dieser unverträglichen Vorstellung mit ihrem Ich durch Denkarbeit zu lösen.“(GW I, S. 62f)

Ebenso ist der Affekt der Schlüssel des Neurosemechanismus:

„Es kommt aber einer ungefähren Lösung dieser Aufgabe (des abwehrenden Ich, die unverträgliche Vorstellung als nicht existent zu behandeln; FO) gleich, wenn es gelingt, aus dieser starken Vorstellung eine schwache zu machen, ihr den Affekt, die Erregungssumme, mit der sie behaftet ist, zu entreißen (bei der Hysterie durch Konversion, bei der Zwangsneurose und Angstneurose durch Anhaftung an andere, nicht unverträgliche Vorstellungen; FO). (GW I, S. 63)



Dementsprechend ist der Affekt auch zentral für die Therapie, die hier eben noch kathartisch ist. So finden wir in den Studien über Hysterie, daß die Psychotherapie „die Wirksamkeit der ursprünglich nicht abreagierten Vorstellung dadurch auf(-hebt), daß sie dem eingeklemmten Affekte derselben den Ablauf durch die Rede gestattet...“(S 97).
In den psychoanalytischen Schriften traten in Abgrenzung dazu der Trieb und die Vorstellung gegenüber dem Affekt deutlich in den Vordergrund.2 Die klassische Metapsychologie ist eine Triebtheorie, die in Abgrenzung zur affektbetonten kathartischen Theorie entstanden ist.
° Zum Zweiten wird niemanden überraschen, daß die moderne Säuglingsforschung Befunde liefert, die gegen die generelle Ableitung der Affekte aus Trieben sprechen, weil sie ja den Bezugsrahmen der klassischen Triebtheorie längst hinter sich gelassen hat. Demzufolge sind die Affekte schon in den ersten drei bis vier Monaten in einer Differenziertheit vorhanden, die mit der klassischen Vorstellung globaler, nur entlang von Lust und Unlust differenzierter Zustände unvereinbar ist (vgl. z.B. Dornes 1993). So zeigen zum Beispiel Säuglinge schon in den ersten Lebenswochen eindeutig Neugierde, ein Affekt, der in den klassischen Vorstellungen erst durch die Sublimationsleistung eines schon strukturierten Ich zustande kommen kann (vgl. z.B. Burian 1998 S. 16).
° Aber selbst für einen Theoretiker, der so sehr auf dem Boden der Triebtheorie steht wie André Green, kann man nicht alle Affekte den Trieben zuordnen. Freud greift, wie oben schon erwähnt, für die Affekte die Unterteilung in lustvolle und unlustvolle auf. Green meint nun, daß die Lust zwar gut mit dem Sexualtrieb, die Unlust jedoch nicht mit einem Trieb verbunden werden kann (Green 1999a, s 285). Es gibt eine Auswahl verschiedenster Mechanismen, sie zu erklären. Green führt z.B. folgende an: das Versagen der Verdrängung, Angst als Warnung vor einem Aufwallen von Triebansprüchen, Zusammenbruch der Gegenbesetzung, Durchbrechung des Reizschutzes durch exzessive Reizquantitäten, drohender oder wirklicher Objektverlust, Gefährdung der Ich-Grenzen, Mißbilligung durch das Über-Ich etc. Aber die Unlust kann eben nicht mit einem Trieb verbunden werden. Dies ist für mich das stärkste Argument für die obige Hypothese, daß auch schon in der klassischen Metapsychologie zumindest die Unlust-Affekte eigentlich eine ebenso basale Rolle spielen wie die Triebe.
Das Problem der Zuordnung der Affekte zu den Trieben löst sich auch nicht, wenn man wie Kernberg das Verhältnis umzudrehen versucht und den Affekten den genetischen Vorrang vor den Trieben gibt. Seiner Ansicht nach sind Affekte „Instinktstrukturen – das heißt, biologisch vorgegebene und im Verlauf der Entwicklung aktivierte psychophysiologische Muster. Der psychische Aspekt dieser Muster wird dann so organisiert, daß er die aggressiven und libidinösen Triebe bildet, die Freud beschrieben hat.“ (Kernberg 1992, S 15). Entlang der Grunderfahrung von Lust und Unlust organisieren sich also dann die Affekte zu den libidinösen bzw. aggressiven Trieben. Aber meines Erachtens gilt auch bei dieser Zuordnung, daß sie zwar für Lust und Sexualtriebe gut nachvollziebar ist, es der Vorstellung, daß sich die unlustvollen Affekte zum Aggressionstrieb bündeln, aber an Folgerichtigkeit mangelt.
Bei Kernberg wird jedenfalls sehr deutlich, was vielleicht für alle Objektbeziehungstheorien gilt: nicht die Triebe, sondern die Affekte stellen die Basis der Entwicklung dar. Die Affekte im Kontext mit Bedürfnisbefriedigung schweißen in Kernbergs Theorie Selbst- und Objektbilder zu so etwas wie Grundbausteinen der Psyche zusammen.3 Green schreibt über die Theorien von Klein, Bion und Winnicot, daß darin zwar der Affekt nicht speziell erwähnt sei. Dies sei aber deswegen so, weil er als basale Referenz (basic reference) am Beginn der Entwicklung betrachtet werde (Green 1999a, S. 282).

Psychoanalytische Säuglingsforscher wie Robert Emde (1999) vertreten wieder eine ausgesprochene Affekttheorie. Emde etwa greift die Idee eines affektiven Kernes des Selbst wieder auf (Vgl. schon Rangell 1976). So etwas wie Hintergrundaffekte ermöglichen uns demnach ein Gefühl der Kontinuität des Selbst und der Verbundenheit mit anderen.

Für sehr an der empirischen Psychologie und der Verhaltensforschung orientierte Psychoanalytiker wie Rainer Krause (1982, S. 1030ff) ist es schließlich kein Problem, Triebe und Affekte als relativ unabhängige Systeme zu denken. Er spricht dann konsequenter Weise von „Trieb-Affekt-Interaktion“. So ist die Voraussetzung für Affekte wie Neugierde und Interesse, daß die Triebreize nicht dominant sind. Sogenannte Notfallaffekte wie Angst und Wut unterbrechen umgekehrt manche Triebabläufe und setzten andere in Gang. (Krause 1982, S. 1032).

Ruth Stein zieht 1991 in ihrer Monographie über psychoanalytische Affekttheorien diesbezüglich das Resümee, daß sich herausgestellt habe, Erklärungen von Affekten in Triebbegriffen hätten, wenn überhaupt, dann nur eine sehr begrenzte Nützlichkeit (Stein 1991, S. 172). Jedenfalls scheint es so zu sein, daß zeitgenössische Autoren, mit Ausnahme von Green, den Affekt entweder gar nicht mehr oder zumindest nicht mehr ausschließlich als Derivat der Triebe sehen.


Nun aber weiter zur Anwendung der Metapsychologie auf die Affekte. Etwas metapsychologisch untersuchen heißt bei Freud, es nach dem ökonomischen, dem dynamischen und dem topischen Gesichtspunkt zu hinterfragen.

Der dynamische Gesichtspunkt: Affekt als Hysterie

„Was ist nun im dynamischen Sinne ein Affekt? Jedenfalls etwas sehr Zusammengesetztes.“ schreibt Freud in den Vorlesungen (1916-17, S. 382f), und er versucht dann, ein tieferes dynamisches Verständnis zu gewinnen, indem er den Affektzustand mit einem hysterischen Anfall vergleicht:

„Um mich verständlicher zu machen, der Affektzustand wäre ebenso gebaut wie ein hysterischer Anfall, wie dieser der Niederschlag einer Reminiszenz. Der hysterische Anfall ist also vergleichbar einem neugebildeten individuellen Affekt, der normale Affekt dem Ausdruck einer generellen, zur Erbschaft gewordenen Hysterie.“ (Freud 1916-17, S. 382).

Auch in „Hemmung, Symptom und Angst“ gibt es eine entsprechende Stelle, wo er meint, die Affekte seien

„... Reproduktionen alter, lebenswichtiger, eventuell vorindividueller Ereignisse und wir bringen sie als allgemeine, typische, mitgeborene hysterische Anfälle in Vergleich mit den spät und individuell erworbenen Attacken der hysterischen Neurose, ...“( GW XIV, S. 163f).

Freud stellt also überinidividuelle genetische Überlegungen an, um ein dynamisches Verständnis der Affekte zu bekommen. In diesen Überlegungen scheint er sich auf Darwin zu berufen. Jedenfalls bezieht er sich schon 1895 in einer ähnlichen Bemerkung direkt auf Darwin: dort meint er, der „Ausdruck der Gemütsbewegungen“ bestehe „wie uns Darwin gelehrt hat, aus ursprünglich sinnvollen und zweckmäßigen Leistungen“(Vgl. GW I, S. 251). In einem Artikel mit dem Titel „Freuds debt to Darwin“ betont Theodore Shapiro, daß man über Freuds Lamarkismus nicht vergessen darf, wieviel er in seinem Denken Darwin verdankt.4

Diesen darwinistischen Zug in Freuds Affekttheorie baut vor allem Landauer aus:

„Wir folgen Darwin, der die Affektbewegungen stammesgeschichtlich als Wiederholung von Bewältigungsversuchen des Reizvorgangs erklären wollte, die einstmals bei den Ahnen zweckmäßig waren, es heute aber nicht mehr sein müssen. Sie sind ihm Ruinen, analog den Resten ehemaliger Organe.“ (Landauer 1936 S. 48).

Landauer beschreibt einen phylogenetischen Ursprung der Affekte im Ich. Sind die Triebe die Kräfte des Es, so sind Affekte Reaktionen des Ich auf Reize der Außenwelt. (An dieser Stelle beschränkt er sich auf Reaktionen auf die Außenwelt, im weiteren Text und an anderer Stelle (S. 73) wird klar, daß es auch um Reize des Es und des Über-Ich geht).

„Und zwar sind die Affekte typische, als Möglichkeiten ererbte Antworten auf typische Anforderungen. Sie gehören somit nicht in den Bereich des persönlichen, im Einzelleben entstandenen Ichs, sondern sind ein wichtiger Teil des >unpersönlichen Ichs<.“ (Landauer 1936 S. 47).

Wichtig für das Verständnis der Affekte sind daher nach Landauer die sogenannten „Urreaktionen, die wir über das gesamte Tierreich verbreitet finden.“ (26) Dazu gehören z.B. Aus- und Einstülpung, Versteifung, Mimikry etc.

Interessant finde ich vor allem, daß Landauer eine Erläuterung dieses Vergleichs von Affektzustand und hysterischem Anfall gibt. Ich bin sonst auf keine Erklärung dieses eher rätselhaften Vergleiches gestoßen, und Landauer macht deutlich, wie darin der dynamische Gesichtspunkt zum Ausdruck kommt. Er beschreibt zuerst an der Scham, daß sich ein Affektvorgang aus mindestens zwei widerstreitenden Tendenzen („einerseits die Aufmerksamkeit anzulocken, anderseits zu verhüllen“) zusammensetzt und meint dann:

„Freud glaubt, bei allen Affekten einen solchen ererbten Kompromiß widerstreitender Tendenzen annehmen zu müssen, und sagt deshalb in >Hemmung, Symptom und Angst<, die Affekte seien ererbte hysterische Anfälle.“ (Landauer 1936, S. 49)

In der Folge versucht er nachzuweisen, daß diese Feststellung tatsächlich für alle Affekte zutrifft. Daraus folgt für ihn auch, daß die Affekte ihre Energie aus dem Es nehmen und analog zu den Trieben auch eigene Zonen, Ziele und Objekte haben:

„Wenn wir Freud zustimmten, daß ein Affektanfall ein ererbter hysterischer Anfall ist, folgt, daß ein einzelner Anfall ein Kompromiß zwischen widerstreitenden Strebungen ist, die ihre Kraft von den Trieben beziehen. Es erscheint legitim, auf solche isolierten Anfälle die Beschreibung anzuwenden, die Freud bei den Trieben, besonders den Sexualtrieben verwandte. Er unterschied erogene Zonen, Sexualziele und Sexualobjekte. Entsprechend werden wir in der gleichen Weise von Affektzonen, Affektzielen und Affektobjekten sprechen.“ (Landauer 1936 S. 64).

Diese sehr originellen Ideen Landauers fand ich sonst nirgends fortgeführt, wie er überhaupt, etwa im Vergleich zu Brierley, wenig zitiert wird.


Aus dem bisher Angeführten ergeben sich im dynamischen Gesichtspunkt keine besonderen Probleme für die Affekttheorie. Affekte als Produkt von Konflikten bzw. in Konflikt untereinander sind selbstverständliche Theorieinhalte in der Psychoanalyse. Man denke etwa nur an den Konflikt zwischen Liebe und Haß bzw. zwischen Neid und Dankbarkeit in der Kleinianischen Theoriebildung.

Das gravierendste Problem, das sich hier ergibt, besteht in der Frage, durch welche Vorgänge Affekte dynamisch unbewußt gemacht und gehalten werden, vor allem, ob man dabei von Verdrängung sprechen kann. Diese Frage wird unter dem topischen Gesichtspunkt erörtert.



Der ökonomischen Gesichtspunkt: Abfuhr versus Spannung

Schon in den frühen Schriften, noch vor der Triebtheorie, steht der Affekt bei Freud für das Quantitative an den psychischen Funktionen. Man kann also schlecht fragen, woher bekommt der Affekt die Energie, er ist vielmehr die Energie, so wie sie in unserer Innenwahrnehmung in Erscheinung tritt.

So vertritt Freud in „Die Abwehr-Neuropsychosen“ die Vorstellung, „daß an den psychischen Funktionen etwas zu unterscheiden ist (Affektbetrag, Erregungssumme), das alle Eigenschaften einer Quantität hat – wenngleich wir kein Mittel besitzen, dieselbe zu messen – etwas, das der Vergrößerung, Verminderung, der Verschiebung und der Abfuhr fähig ist und sich über die Gedächtnisspuren der Vorstellungen verbreitet, etwa wie eine elektrische Ladung über die Oberflächen der Körper.“(GW I, S. 74). Im „Entwurf“ benutzt er dafür das Kürzel Q, in der Traumdeutung die Bezeichnung „psychische Energie“.

Den Ausdruck „Affektbetrag“ greift er in den metapsychologischen Schriften von 1915 (in „Die Verdrängung“ und „Das Unbewußte“) wieder auf. Dieser entspreche „dem Triebe, insofern er sich von der Vorstellung abgelöst hat und einen seiner Quantität gemäßen Ausdruck in Vorgängen findet, welche als Affekte der Empfindung bemerkbar werden.“ (GW X, S. 255).5

Aber hier ist nicht mehr jede Energie ein Affekt, sondern nur die ungebundene. In „das Unbewußte“ schreibt Freud, daß „Vorstellungen Besetzungen – im Grunde von Erinnerungsspuren – sind, während die Affekte und Gefühle Abfuhrvorgängen entsprechen, deren letzte Äußerungen als Empfindungen wahrgenommen werden“.

In Besetzungen von Erinnerungsspuren gebundene Energie wird als Vorstellung innerlich wahrgenommen. Die Affekte entsprechen nach Freud eindeutig Abfuhrvorgängen:

„Die Affektivität äußert sich wesentlich in motorischer (sekretorischer, gefäßregulierender) Abfuhr zur (inneren) Veränderung des eigenen Körpers ohne Beziehung zur Außenwelt, die Motilität in Aktionen, die zur Veränderung der Außenwelt bestimmt sind“. (GW X, S. 493f).6

An dieser Feststellung, daß Affekte Abfuhrvorgänge seien, entzündete sich eine Diskussion, die sich über Jahrzehnte hinzog, bei der ich aber gar nicht so leicht sagen könnte, worin sie im Kern eigentlich besteht. Ich werde sie anhand der Wortmeldungen von drei wichtigen Proponenten dazu kurz skizzieren:


Marjorie Brierley hat 1936 am 14. Internationalen Kongreß in Marienbad einen Beitrag zur Affekttheorie geliefert, auf den sehr oft bezug genommen wird. Sie widerspricht darin der Auffassung, Affekte seien Abfuhrvorgänge, sondern behauptet, es handle sich dabei vielmehr um Spannungsphänomene. Sie schreibt:

„Alle unsere modernen Auffassungen von der Beziehung der Angst zur Symptombildung und von ihrer Rolle in der Entwicklung widersprechen dem Gedanken, daß der Affekt selbst eine Abfuhr sei, und unterstützen die Auffassung, daß er ein Spannungsphänomen ist, welches zur Abfuhr in der Außenwelt und Innenwelt drängt.“(Brierley 1936 S. 443)7

Sie meint, daß sie damit in einer Linie mit Freuds Auffassung des Lust-Unlust-Prinzips liege und beschreibt ihre Vorstellung folgendermaßen:

„Wir müssen uns, glaube ich, in quantitativer Hinsicht eine Art Schwelle vorstellen, bis zu der die Triebspannung als Affekt tragbar ist; bei höheren Spannungsgraden, die entweder durch die Reizstärke selbst oder durch Stauung von Versagung erreicht werden können, wird der Affekt unerträglich und fordert eine sofortige Entladung nach außen oder nach innen.“ (Brierley 1936, S. 443f)


Edward Glover versuchte das Dilemma zu lösen, indem er zwischen Spannungsaffekten und Abfuhraffekten unterschied. Dies sei für ihn „the most useful classification of affects“ (Glover 1939, S. 302). Da es keine exakte Korrelation zwischen Spannung und Unlust auf der einen, Abfuhr und Lust auf der anderen Seite gebe, müsse man durch Untersuchung klinischen Materials spezifische Spannungsaffekte identifizieren. Er beschreibt dann vor allem die Angst, die durch Triebdruck entsteht, als solchen. Dies klingt für mich plausibel, und diese Unterscheidung wurde auch mehrfach aufgegriffen.

Sie scheint jedoch das theoretische Problem nicht wirklich zu lösen, die Diskussion ging weiter. Vielleicht bewegt sich dieser Lösungsansatz zu sehr auf der Ebene phänomenologischer Beschreibung, als daß damit das metapsychologische Problem bearbeitet werden könne.

Edith Jakobson versucht die Aufgabe metapsychologisch zu lösen, indem sie dem Lust-Unlust Prinzip ein Konstanzprinzip8 überordnet. Der psychische Apparat strebt demnach nicht nach möglichst geringer Spannung, sondern nach einem konstanten Niveau, einer Mittellinie, um die der Spannungsgrad schwingt. Allen Abfuhrvorgängen bei steigender oder fallender Spannung entsprechen Affekten.


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