Slaby rev1 Affekt und Politik



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Zusammenhang formulieren. Damit steht Mohrmanns Studie in einer postmodernen Tradition 



ästhetisierender Kant-Deutungen; insbesondere Lyotard ist dafür einschlägig.

11

 



 

Die Basis für Mohrmanns Parteinahme für Kant bildet eine emotionstheoretische 

Weichenstellung, die für die gesamte Diskussion des Zusammenhangs von Affekt und Politik 

richtungsweisend ist. Mohrmann verortet sich damit in einer zentralen Traditionslinie der 

philosophischen Ästhetik.

12

 Während Hannah Arendts Affektverständnis einem 



Innerlichkeits- und Naturwüchsigkeits-Paradigma verpflichtet bleibe, das im Gefolge von 

Descartes und Rousseau Affekte als privat, triebhaft-körperlich und unmittelbar motivational 

versteht (S. 31), sei Kant an einem demgegenüber fortschrittlicheren ästhetischen 

Emotionsverständnis geschult. Zentral für dieses Verständnis ist einerseits die Unterscheidung 

von Akteuren und Zuschauern und damit die Idee von Zuschaueremotionen, die ihren 

Ausdruck in affektiven Urteilen statt in aktiven Eingriffen in die Situation finden. Zudem fasst 

Kant das Affektive gerade nicht durchgängig als ein triebhaft-impulsives »Anderes« der 

Vernunft, sondern konzipiert einige Ausprägungen der Affektivität als Formen eines 



Affektivwerdens der Vernunft. Gemeint sind vor allem jene Modi von Vernunftausübung, die 

einem Bewegtwerden durch Gründe entsprechen, wodurch Gründe also praktische oder 

kognitive Wirksamkeit erlangen. Das Gefühl der Achtung ist dafür beispielhaft, in anderer 

Ausprägung aber auch der Enthusiasmus, dem dann die entscheidende Rolle als politische 

(Zuschauer-)Emotion zukommt. Beim Enthusiasmus erfolgt dies nicht durch einen Bezug auf 

etablierte Gründe, sondern mit einem Zug ins Offene – einem Bezug auf das, was sich noch 

nicht kategorial bestimmen und im Rahmen bestehender Ordnungen formulieren lässt – aber 

indirekt verweisend auf die nicht sachhaltig fassbare Vernunftidee der Freiheit. 

Somit wird Mohrmanns Ergebnis wie folgt lauten: Politische Affekte sind 

Zuschaueremotionen, und das heißt: nicht unmittelbar handlungswirksame, sondern 

urteilende Haltungen einem Geschehen gegenüber, das seinerseits erst dadurch, dass es zum 

Gegenstand einer solchen nicht-bestimmenden affektiven Beurteilung durch distanzierte 

Zuschauer wird, zu einem genuin politischen Geschehen wird. Die enthusiastische 

Anteilnahme der Zuschauer ist teilkonstitutiv für das Politische. Dafür ist – das ist Kern des 

Begriffs des Politischen, den Mohrmann umreißt – der indirekte Verweis auf die Idee der 

                                                 

11

 Vgl. J


EAN

-F

RANÇOIS 



L

YOTARD


Der Widerstreit, übers. v. Joseph Vogl, München, 1989. Für eine etwas 

anders gelagerte, zurückhaltendere Deutung derselben Kant-Passagen vgl. Bedorf: »Politische Gefühle«, S. 

256ff. 

12

 Mohrmanns Buch ist als Dissertation in Frankfurt a.M. unter der Betreuung von Christoph Menke entstanden. 



Entsprechend ist ihr Ansatz in jenem Strang der philosophischen Ästhetik verortet, für den Menke und andere 

stehen und in dem zuletzt verstärkt auch die politischen Potenziale von Kunst behandelt wurden. Vgl. z.B. 

C

HRISTOPH 



M

ENKE


Die Kraft der Kunst, Berlin 2013 sowie J

ULIANE 


R

EBENTISCH

Die Kunst der Freiheit

Berlin 2012.  




 

Freiheit entscheidend; denn Freiheit ist Signum des Politischen.



13

 So kann nur eine in dieser 

Weise vernunftgewirkte Affektivität als Determinante – zugleich Konstituent und Detektor – 

des Politischen fungieren. Und so gilt, dass das politische Handeln nicht allein in der Macht 

der Akteure liegt, die auf der politischen Bühne aktiv werden. Ohne die Zuschauer in ihrer 

Rolle als affektiv Urteilende wären die Akteure gar nicht in der Lage, politisch zu handeln. 

Zur politisch freien Handlung kann es nur im Zusammenwirken von Akteuren und 

Zuschauern kommen. 

 

Im Ergebnis läuft diese Nobilitierung der Zuschauerrolle auf eine (neuerliche) 



Profilierung der Idee einer politischen Öffentlichkeit hinaus. Im Umkehrschluss leitet sich 

daraus eine Kritik an Verständnissen direkter Demokratie und maximaler politischer 

Partizipation ab, die im Nachgang der Occupy-Proteste und des arabischen Frühlings in 

Theoriegefilden neue Befürworter finden. Mohrmann kritisiert diese Ansätze vor dem 

Hintergrund ihres theatralen – und demnach konsequent repräsentationalen – Politik-Modells 

als Spielarten einer »Metaphysik der Präsenz« (vgl. 196 ff.).

14

 

 



Entscheidend für diese Überlegungen – aber auch von eigenständiger Relevanz – ist 

Mohrmanns Emotionsverständnis. Zentral dafür ist die Umlegung der Theorie von einem 

Natürlichkeits- und Innerlichkeitsparadigma auf ein konstruktivistisches Verständnis. Damit 

versetzt Mohrmann die Affektivität in das ansonsten von Arendt stark gemachte 

»Bezugsgewebe der menschlichen Angelegenheiten«, aus dem Arendt die Affektivität gerade 

ausschließen wollte.

15

 Emotionen sind beim Menschen keine naturwüchsig-triebhaften 



Impulse, die deshalb auf die Sphäre des Privat-Häuslichen beschränkt wären, sondern 

kulturell codierte, diskursiv verfasste Vollzüge – Elemente sozio-kultureller 

Selbstverständnisse. Für die menschliche Affektivität gilt insofern in konsequenter Wendung 

gegen Rousseau und jeglichen Naturalismus: artifice all the way down.

16

 Als Paradigma 



fungiert das Konzept theatraler Emotionen, wie es in der Ästhetik des 18. Jahrhunderts, von 

                                                 

13

 Vgl. dazu A



RENDT

Was ist Politik?, S. 28. 

14

 Die damit angesprochenen präsentistischen, partizipativen und radikal-demokratischen Politikverständnisse 



können im Rahmen dieser Besprechung nur am Rande gestreift werden. Auch in diesen Ansätzen lässt sich ein 

Konzept politischer Affektivität als bedeutsam ausweisen. Das geschieht im Anschluss an Spinoza in M

ICHAEL 

H

ARDT



/A

NTONIO 


N

EGRI


Multitude: War and Democracy in the Age of Empire, New York 2004. Jüngst hat auch 

Judith Butler Sympathien für einen affektpolitischen Präsentismus bekundet: J

UDITH 

B

UTLER



Notes for a 

Performative Theory of Assembly, Cambridge, MA 2015. 

15

 Zu Arendts Begriff des »Bezugsgewebes der menschlichen Angelegenheiten« vgl. H



ANNAH 

A

RENDT



Vita 

Activa, München 2002 [1958], S. 224ff. Hilfreich sind die kritischen Erläuterungen dazu in S

EYLA 


B

ENHABIB


: 

The Reluctant Modernism of Hannah Arendt, New York 2003, insb. Kap. 5. 

16

 Ein solches Verständnis der Emotionen, das einen konsequenten Bruch mit naturalistischen und Ansätzen 



vollzieht, wird in einer Linie, die über Charles Taylor zu Heidegger zurück reicht, heute von einer Reihe von 

Autor_innen vertreten, vgl. etwa B

ENNETT 

H

ELM



Emotional Reason, Cambridge 2001; M

ARTIN 


H

ARTMANN




Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären. Frankfurt a.M. 2010; J

AN 


S

LABY


Gefühl und Weltbezug

Paderborn 2008. Auch in historischen Arbeiten zu den Emotionen finden sich vergleichbare Ausarbeitungen, 

vgl. z.B. M

ONIQUE 


S

CHEER


: »Are Emotions a Kind of Practice?« in: History and Theory 51 (2012), S. 193-220. 


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