Slaby Drei Haltungen Affekt web vorab



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jan slaby – 4-2016



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kapitalistischen „capture“ anheim gegebenen grauen Alltag. Das ist das hippie’esque 



Moment: Bruch mit allem Etablierten, Organisierten, Alltäglichen; auch im Stil, im Gestus 

eine Wagenburg der Gegenkultur (jedenfalls dem Anspruch nach).

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Durchgängig und zuletzt nochmals verstärkt zielt Massumi mit seinen Überlegungen zum 

Affekt auf Analysen und Interventionen im Feld des Politischen. Offenbar versteht er seine 

affekttheoretische Arbeit als primär politisch motiviert, während er seine intellektuelle 

Haltung selbst unlängst als aktivistisch bezeichnet hat (vgl. Massumi 2011). Das ist zwar 

einerseits im Sinne eines breiteren intellektuellen Aktivismus gemeint, der nicht zuletzt auch 

künstlerische Aktivitäten und Haltungen umfasst, und somit primär als Form intellektueller 

Tätigkeiten zu deuten ist, hat aber zudem den Anspruch, Interventionen in lebensweltliche 

Macht- und Herrschaftskonstellationen anzuregen und anzuleiten. 

 

Thematisch und theoretisch war eine politische Orientierung bereits in „The Autonomy of 



Affect“ angelegt. Der Artikel schließt mit einem Abschnitt zu Ronald Reagans affektiver 

Wirkkraft, die dem conventional wisdom politiktheoretischer Analysen der damaligen Zeit 

deutlich zuwider lief. Der republikanische US-Präsident Ronald Reagan (im Amt von 1980-

1988) sei sowohl inhaltlich, rhetorisch als auch hinsichtlich seiner körpersprachlich-

gestischen Repertoires kaum mehr als eine Witzfigur gewesen, so Massumis durchaus heftige 

Zuspitzung. „He was nothing, an idiocy musically coupled with an incoherence“ (Massumi 

1995, S. 102). Woher rührte dann aber seine durchschlagende populäre Wirkung? Massumi 

verweist auf die medialen Arrangements und Gewohnheiten im amerikanischen 

Durchschnittshaushalt, und auf die unterschiedlichen sozialen Agenturen – Kirche, Familie, 

Schulen, town halls, etc. –, die das Phänomen Reagan auf jeweils selektive Weise aktualisiert, 

ihm lokal Wirksamkeit und Resonanz verschafft hätten. Massumis zentrale Überlegung dazu 

liest sich so: 

[Reagan] was an incipience. He was unqualified and without content. But the incipience that he 

was, was prolonged by technologies of image transmission, and then relayed by apparatuses, 

such as the family or the church or the school or the chamber of commerce, which in 

conjunction with the media acted as part of the nervous system of a new and frighteningly 

reactive body politic. It was on the receiving end that the Reagan incipience was qualified, 

given content. Receiving apparatuses fulfilled the inhibitory, limitative function. They selected 

one line of movement, one progression of meaning, to actualize and implant locally. That is 

why Reagan could be so many things to so many people; that is why the majority of the 

electorate could disagree with him on every major issue, but still vote for him. (Massumi 1995, 

S. 103) 


Man könnte Reagan also im Sinne von Massumis Affekt-Verständnis selbst als eine Art 

vermenschlichten Affekt bezeichnen. Unerlässlich dafür, dass jemand wie Reagan als Affekt 

wirksam werden kann, sind jedoch die komplexen apparativen Arrangements, die diesen 

eigenartigen Polit-Darsteller mit konkreten medialem und sozialen Milieus verschalten – 

hochspezifische Gefüge, die nicht primär propositionale Botschaften und ideologische 

Gehalte transportieren, sondern charakteristische affektive Stimmungslagen und Atmosphären 

erzeugen, mit milieu-spezifischen Eigenheiten, so dass sich eine einheitliche 

Gesamtformation kaum ausmachen lässt. Klassische Ideologie-Analysen reichen nicht hin, 

weil sie solche lokalen Agenturen und Ensembles der Affekt-Genese und Affekt-

Maschinierung nicht in den Blick bekommen und somit auch nicht sehen, dass es sich nicht 

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 Dass sich ein solcher Stil inzwischen zum Mainstream der kalifornischen Start-Up- und IT-Kultur entwickelt 



hat und insofern kaum mehr als gegenkulturell gelten kann, steht auf einem anderen Blatt (vgl. Turner 2006). 

Der Lifestyle-Deleuzianismus hat sein kritisches Potenzial weitgehend eingebüßt. Davon wird an anderer 

Stelle ausführlicher zu handeln sein (vgl. auch Mühlhoff, im Erscheinen). 







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primär um Vorgänge im Register der Signifikation oder diskursiven Gehalte handelt. Das 



Phänomen „Ronald Reagan“ war Kristallisationsfigur einer komplexen Affekt-Maschinerie

eines affektiven Arrangements bzw. agencements, das nur in dieser Spezifik seine Wirkungen 

entfalten konnte. 

Ich referiere diese Überlegungen auch deshalb etwas ausführlicher, weil hier die analytische 

Schlagkraft von Massumis Ansatz über die vielen eher abstrakten, metaphysischen oder 

theorie-politischen Ausführungen hinaus deutlich wird. Freilich bleibt just die hierbei 

entscheidende Theoriestelle – die Idee komplexer, distribuiert implementierter affektiver 

Arrangements, die lokalspezifische Wirksamkeiten affektiven Dynamiken sicher stellen – 

ansonsten bei Massumi unterbelichtet.

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 Hier liegt eine strukturelle Schwachstelle von 



Massumis Ansatz: die ontologische Ebene, auf der von Affekt immer wieder bloß abstrakt als 

reine Prozessdynamik gehandelt wird, bleibt privilegiert gegenüber den konkreten 

Organisationsformen und Arrangements, in denen sich relationaler Affekt de facto vollzieht. 

Lawrence Grossberg – selbst ein Pionier der kulturwissenschaftlichen affect studies – legt den 

Finger in die Wunde, wenn er Massumi und andere dafür kritisiert, diesen Unterschied zu 

überspringen – „

there is a leap from a set of ontological concepts to a description of 

an 


empirical and affective context“

 (Grossberg 2010, S. 314) – und somit konkrete Analysen der 

lokalen, materiellen „Maschinierungen“ von Affekt weitgehend zu unterlassen. 

Grossbergs Kritik, bei gleichzeitiger Anerkennung des großen Potenzials, das Massumis 

affekttheoretischer Ansatz in diese Richtung trotz allem bereit hält, verweist uns sehr direkt 

ins Feld der zweiten intellektuellen Haltung der Affekt-Studien – der Haltung der empirischen 

Sozialforscherin, hier repräsentiert durch Margaret Wetherell. Lassen sich die Einsichten in 

die Relevanz und Wirkungsvielfalt dynamisch-prozessualer Affektivität in ein 

sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm verwandeln? Wäre eine solche 

forschungspragmatische Ausrichtung noch mit Massumis metaphysischer und stilistischer 

Orientierung vereinbar, oder liegt zwischen diesen Haltungen unweigerlich ein Bruch? 

 

3.2. Margaret Wetherell – die Forscherin 

 

Die Sozialpsychologin Margaret Wetherell ist als Methodenexpertin im Bereich der 



Diskursanalyse ausgewiesen. Für die hier verfolgten Zwecke vor allem einschlägig ist ihr 

2012 erschienenes Buch Affect and Emotion: A New Social Science Understanding, mit 

welchem sie einen umfassenden kritischen und rekonstruktiven Kommentar zum affective 

turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften vorgelegt. Ziel dieser Studie ist es, Affekt und 

Emotion in ihrer vollen Komplexität und Dynamik als sozialwissenschaftliche 

Forschungsgegenstände zu erschließen und eine Konzeptualisierung vorzuschlagen, die 

empirische Untersuchungen von komplexem affektiven Interaktionsverhalten in 

lebensweltlichen Settings ermöglicht (vgl. Wetherell 2012, S. 3). 

Leitend dafür ist das Konzept der affective practice, mit dem Wetherell sich in die 

praxeologische Tradition der Sozialtheorie einschreibt. Flankiert wird der konstruktive Teil 

ihres Projekts von kritischen Analysen zu den kulturwissenschaftlichen affect studies. Hier 

sieht Wetherell zwar eine wichtige Inspirationsquelle für eine auf dynamische, dramatische 

und alltägliche Interaktionen abhebende Sozialtheorie, aber auch viele Probleme 

konzeptueller und methodologischer Natur. Ein erklärter Gegner ist Brian Massumi, ebenso 

wie Nigel Thrift, Patricia Clough und anderen in der von Deleuze und Guattari inspirierten 

Theorielinie (vgl. Wetherell 2012, Kap. 3). 

 Zur näheren Bestimmung des Begriffs des affektiven Arrangements vgl. Slaby, Mühlhoff & Wüschner 



(in Vorbereitung). 


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