Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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ernstes Antlitz, und nur diejenigen werden zurechtkommen mit dieser Zeit, die den Ernst dieses Antlitzes zu würdigen verstehen.

Ich möchte Ihnen auch, um dieses zu erhärten, einen für den Schüler der Geisteswissenschaft interessanten Zusammenhang vor die Seele führen. Es ist ja schon oftmals gesagt worden, daß die Geisteswissenschaft in die Gegenwart wahrhaftig nicht deshalb hereintritt, weil sie der Willkür des einen oder anderen entspringt, oder weil der eine oder andere sie aus seiner Neigung heraus zu seinem Ideal gemacht hat und sie an die anderen Menschen heranbringen möchte, sondern weil jetzt die Epoche ist, wo die geistigen Wesenheiten, welche das Tor dieser der Menschheit zu offenbarenden Wahrheit sonst verschlossen hielten, es geöffnet haben, daß diese Weisheit herunterfließt in die menschliche Seele. Und entgegen gehen wir einer Zeit, wo die Menschen immer mehr und mehr aufnehmen müssen die Weisheit, die nicht nur in abstrakten Begriffen, nicht nur in grauen Ideen des Verstandes von der Seele angeeignet wird. Zeiten leben wir entgegen, wo in die menschlichen Seelen, in die menschlichen Gemüter dasjenige hinein will, was wir Imagination nennen. Man möchte sagen, wenn man die Sache durchschaut: Da hängen sie, wie dichte Wolken vor einem Unwetter herunterhängen in die Landschaft hinein, da hängen sie in der geistigen Welt und wollen hinein in die menschlichen Gemüter, und warten, bis diese menschlichen Gemüter reif sind. Ja, so ist die Zeit; so ist es einmal.

Nun gibt es ein eigentümliches Gesetz: Das Imaginative, das hinein will in die menschlichen Gemüter und als Imagination noch nicht aufgenommen werden kann in irgendeinem Zeitalter, das wirft etwas wie ein Fata-Morgana-artiges Bild ebensoweit unter den physischen Plan hinunter, wie es selbst über dem physischen Plane ist. Die Imaginationen rufen in den menschlichen Wesenheiten Leidenschaften hervor, Gefühle, Triebe, Instinkte, die sich ausleben in Antagonismus. Und wenn man heute die Instinkte nimmt, die Leidenscbaftsausbrüche, mit denen sich die Völker beschimpfen, so sind sie nichts anderes als das Ergebnis dessen, daß Imaginationen, welche die europäischen Völker aufnehmen sollten, nicht herunter können, dafür sich spiegeln unter dem physischen Plan im Unterbewußten der Menschen in sol-

chen der Wahrheit widersprechenden Instinkten und Leidenschaften. Im Grunde genommen können wir sagen, daß alles, was wir an Ausladung von Instinkten und Leidenschaften in der Gegenwart erleben, der Ausdruck dafür ist, daß erneuerte Imaginationen in die Welt der menschlichen Kulturentwickelung hereinbrechen wollen. Alles das, was der Krieg an oftmals so traurigen Erscheinungen an die Oberfläche wirft, ist die umgewandelte Imagination, die die Menschheit nicht ergreifen kann.

Wiederum — und solches erscheint mir niemals ganz unwichtig zu sein - mache ich darauf aufmerksam, daß man nun nicht sagen soll: Also ist jeder Krieg umgewandelte Imagination. - Kriege können auch ganz etwas anderes sein. Der heutige ist das, was ich gesagt habe. Das Generalisieren, das für die Erkenntnis des physischen Planes eine Bedeutung hat, hat nicht eine Bedeutung für die geistige Welt. Hier müssen die Dinge einzeln, individuell erforscht werden.

Wir sehen heute - und ich möchte jetzt von einer gewissen Seite her eine Erscheinung vor Ihre Augen treten lassen, um sie auch noch zu erklären —, wir sehen heute, wie die Angehörigen der verschiedenen Völker in Haß einander verfolgen, wie sie sich beschimpfen. Woher kommt das? Nun, indem wir in allem tiefen Ernst schon aufgenommen haben das Wesen der wiederholten Erdenleben, erscheint uns nicht besonders unbegreiflich, daß die Seele in ihren wiederholten Leben durch die verschiedenen Nationalitäten durchgeht. Derjenige, der heute seine Inkarnation in einem deutschen Leibe durchmacht, der bereitet sich vielleicht schon in seinem Innersten vor, die nächste Inkarnation in einem englischen Leibe durchzumachen; derjenige, der sie heute in einem englischen durchmacht, bereitet sich vielleicht schon vor, sie in der nächsten in einem deutschen Leibe durchzumachen. Der Mensch ist schon dieses duale Wesen, diese Zweiheit. Da stehen wir äußerlich da vor der Welt - nicht nur in bezug auf das äußere physisch-sinnliche Anschauen, sondern in bezug auf manches andere -, ganz berechtigterweise durch unseren physischen Körper verknüpft mit dem Wesen und Weben der Volksseele; aber im Inneren macht sich schon geltend, was für die nächste Inkarnation ein ganz anderes sein wird. Nun ist der Mensch unter den mancherlei Dingen, denen er feind ist,

oftmals am allermeisten seinem eigenen innersten Wesen feind. Das bekämpft er am meisten. Er weiß nicht, daß es sein innerstes Wesen ist. Nehmen wir einen Engländer, der prädestiniert ist durch das Innerste seiner Seele, in seiner nächsten Inkarnation ein Deutscher zu sein. Da sehen wir ihn heute, wie er gegen sein eigenes Innere kämpft. Er kämpft gegen die nächste deutsche Inkarnation. Dies kommt heute dadurch zum Ausdruck, daß er in schändlicher Weise über das Deutsche schimpft. Weil er das Ziel im deutschen Leibe erblickt, wütet er gegen das, was in der spirituellen Welt sein innerstes Wesen ist. Es ist im Grunde genommen eine Auseinandersetzung der Seele mit sich selbst, und nur äußerlich, in der Maja, ist es so, daß drüben, jenseits des Kanals, über die Menschen hier in Mitteleuropa geschimpft wird. Im Grunde genommen bezieht sich das, was geschimpft wird, auf die eigene Seele. Darin zeigt sich die tiefe Tragik, die den Menschen überkommen muß in seinem ganzen Empfinden und in seinen innersten Impulsen, wenn er da, wo die Sache bitter ernst wird, die äußere Maja vergleicht mit dem, was in dem Inneren ist.

Und so können wir die Volksseelen sehen als wirkliche lebendige Wesenheiten, welche die einzelnen abgeschlossenen Individuen durchdringen, durchsetzen. Und was der einzelne erlebt, erlebt er im Zusammenhang mit seiner Volksseele. Auf dem physischen Plan, im äußeren Leben, stehen sich die Menschen heute gegenüber. Die eine Nation wirft der anderen die Schuld am Kriege vor und glaubt, etwas Besonderes damit zu sagen. Wie ist es eigentlich mit diesem Vorwerfen der Schuld? Das Karma jedes Volkes und das Karma des betreffenden Volkes hängen selbstverständlich mit demjenigen zusammen, was die Volksseele im Volke durchlebt und an Impulsen in die einzelnen Ätherleiber und dadurch auch Astralleiber hineinlenkt. So leben die einzelnen Nationen nebeneinander und miteinander in Verhältnissen als Ausdruck der Beziehungen ihrer Volksseele mit dem Volksseelenkarma. Und wenn die eine durch die andere dieses oder jenes erfährt, wenn der einen durch die andere dieses oder jenes geschieht, so geschieht es nicht, ohne daß es mit dem innersten Karma zusammenhängt. Insofern als die Volksseele eine abgeschlossene Wesenheit ist, gibt es auch ein Nationalkarma. Und während man im

äußeren Exoterischen glaubt, die eine Nation tut der anderen dieses oder jenes zuleid, vollzieht sich das so, daß jede Nation in dem, was sie erlebt, ihr individuelles Nationalkarma erlebt. Wenn eine der anderen eine Niederlage beibringt, so vollzieht sich in dieser Niederlage der unterlegenen Nation etwas, was sie sich selbst zugefügt hat durch ihr eigenes Karma. Und wenn man in der ganz groben Weise, wie es äußerlich vollberechtigt ist, von dem Recht des einen und anderen spricht, so ist das wirklich nicht anders, als wenn einer ein alter Mann ist und neben sich ein kleines Kind sieht, das frisch ist und zur Jugendkraft heranwächst, und er nun sagt: Warum werde ich älter, warum zeigt sich mir immer mehr und mehr ein Verfall? Ich sehe: das Kind, das nimmt mir meine Kräfte; indem es älter wird, nimmt das Kind mir meine Kräfte. - Während er seine Kräfte in ganz natürlicher Weise verliert, kann er sich der Täuschung hingeben - er wird es nicht tun, aber ich habe schon solche Dinge gehört -, daß ihm das Kind seine Kräfte nimmt. Da sieht man gleich, daß es unsinnig ist, weil der Kausalzusammenhang in jedem einzelnen Wesen liegt. So ist es aber auch bei dem Karma der Völker. Die Völker gehen nebeneinander her, und wenn eines über das andere siegt, so ist der Sieg für sein Karma; wenn auch mit demselben Sieg das andere Volk unterliegen muß, so ist doch für dieses andere Volk die Niederlage durch sein anderes Karma hervorgerufen. So ist Geisteswissenschaft in den Seelen wirklich friedenstiftend, wenn sie auf der anderen Seite auch einsieht, daß die gegeneinander wirkenden Kräfte eben gegeneinander wirken müssen.

Gerade durch solche Dinge möchte man heute darauf hinweisen, daß Geisteswissenschaft nicht bloß ein Spiel sein will mit sensationellen Begriffen, sondern daß Geisteswissenschaft, wenn man sie in ihrem bitteren Ernst betrachtet, unsere Seele wirklich durchschüttelt und durchrüttelt und aus dem Menschen ein anderes Wesen macht, wenn er sie ernst nimmt. Das müssen wir nur gehörig ins Auge fassen, wirklich ins Auge fassen, wie oberflächlich man manchmal sie als ein bloßes Verstandesspiel nimmt, und wie man sie eigentlich als etwas nehmen sollte, was aus dem Menschen wirklich ein ganz anderes Wesen machen kann. Und vieles wird sich ergeben, wenn man sich auf solche Dinge

einläßt, vieles vom Verständnis der Zusammenhänge wird sich so ergeben.

Wenn zwei Menschen verschiedene Ansichten haben über irgendeine Sache, die sich vor ihnen abspielt, so wird in der Regel der eine unrecht haben. Man wird es leicht nachweisen können, daß der eine unrecht hat. Aber das individuelle Leben des Menschen ist anders als das Leben der Nationen. Man darf nicht das Leben der Nationen mit dem der einzelnen Individuen identifizieren, darf auch nicht glauben, daß die Taten der Nationen denselben Urteilsimpulsen unterliegen können wie das Leben der einzelnen Menschen. Sonst urteilt man so, wie man niemals urteilen würde, wenn man einen blauen Dunst hätte von den Beziehungen der Nationen, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn man sagt, man müsse Deutschland den Krieg erklären, weil es Belgiens Neutralität verletzt hat - wie es gesagt worden ist -, man müsse den Krieg aus moralischen Gründen erklären. In der Politik ist es einfach unsinnig, dieselben Kategorien anzuwenden, die man bei der Beurteilung des einzelnen Menschen mit Recht anwendet. Denn ganz selbstverständlich ist es, daß das Interesse Deutschlands erfordert, nach Belgien vorzurücken, und bei England, daß das nicht geschieht. Im Augenblicke, wo man aufrichtig gesteht, daß das Interesse da und da ist, hat man etwas vor sich, das darauf hinweist, daß es kontrastierende Interessen gibt. Wenn zwei Menschen etwas Entgegengesetztes behaupten, so wird nachzuweisen sein, daß der eine unrecht hat. Wenn zwei Nationen etwas Entgegengesetztes tun müssen, dann müssen sie es eben tun. Und zu glauben, daß man mit dem Urteil der einen Seite das der anderen Seite wegfegen kann, das ist ebenso gescheit, wie wenn jemand sagen wollte: Du hast mir einen Baum gemalt, der hat da einen Ast, dort einen, dort einen; das ist ganz falsch, der Baum sieht ja so aus. -Und nun zeichnet er so, daß hier der Ast sitzt und an einer anderen Stelle der andere und so weiter. Der eine hat ihn eben von der einen Seite gezeichnet und der andere von der anderen Seite. Das kann man natürlich zusammenbringen. Aber das, was sich in der Weltgeschichte abspielt, kann nicht durch bloßes Zusammenschauen ausgeglichen werden. Wenn die Volksseelen mit ihren andersgearteten Bewußtseinen Dinge tun müssen durch die Menschen, so ist es unmöglich, daß man

irgendwie entscheidet durch Urteile wie: Der eine hat recht, der andere unrecht -, sondern da gibt es kontrastierende Interessen, die notwendigerweise sich entladen müssen in Erscheinungen, wie das heutige eines ist. Da widerlegt man nicht das, was auf der einen und anderen Seite gesagt wird. Ebensowenig wie man glauben darf, daß das Karma des einen nicht selbständig steht neben dem des anderen, so wenig darf man glauben, daß man mit dem Urteil von der einen Seite das Urteil von der anderen widerlegen kann. Denn das eine Volk kann Interessen haben, gegen welche nicht aufzutreten Pflichtverletzung wäre von dem Staatsmann des anderen Volkes, während selbstverständlich für diese Interessen einzutreten Pflicht des Staatsmannes des ersten Volkes ist.

Urteile der Menschen, Urteile in dem Bewußtsein, das wir haben auf dem physischen Plan innerhalb unseres physischen Leibes, kommen nur auf dem Felde des Verstandes in Betracht und gleichen sich dialektisch aus, indem das eine das andere aus dem Felde schlägt. Anders urteilen die Bewußtseine der Volksseelen. Die haben ebenso voneinander abweichende Urteile, aber diese Urteile sind nicht bloß Verstandesurteile, sondern es sind Tatsachen. Wenn ein Urteil das andere aus dem Felde schlägt in der Sphäre der Menschen, dann tut das allerdings nicht weh, dann tötet man zwar, aber man sieht das nicht für einen Tod an. Aber anders ist es, wenn das, was im Bewußtsein der Völkerseelen waltet und was eben nicht bloß abstraktes Urteilen ist, das dialektisch wirkt, sondern was als Tatsachen wirkt, wenn das aufeinanderprallt. Da muß man die Notwendigkeit einsehen, die eiserne, daß es so gekommen ist» Und da muß man die Möglichkeit haben, in seinem Gemüt gewissermaßen eine Form des Urteils, eine Geistesform anzunehmen, die nicht übereinstimmt mit der Geistesform, die man anwendet im alltäglichen Verkehr.

Man muß ja gleichsam mit den Volksseelen denken, nicht mit den einzelnen individuellen Menschenseelen. Wenn man mit den einzelnen individuellen Menschenseelen denkt, so ist es ganz selbstverständlich, daß man versucht, nicht ein solches Urteil zu fällen, das dem des anderen widerspricht, denn dann würde man nicht sozial in der Menschenwelt leben können. Wenn man mit der Volksseele zu denken,

zu empfinden hat, dann kommen Zeiten, in denen man unmöglich in irgendeiner anderen Weise in ihr drinnenstehen kann, als indem man sich mit ihr identifiziert und ihren Inhalt für berechtigt hält, ohne daß man herausgeht aus dieser Volksseele, ohne daß man das, was sie zu tun hat, mit dem vergleicht, was die andere zu tun hat. Denn das ist Sache der anderen, das läßt sich nicht in einem gemeinsamen Bewußtsein zusammenbringen, das geht von Bewußtsein zu Bewußtsein. Daher werden Sie es verstehen, daß man von einem solchen Gesichtspunkte aus fragen kann: Was hat das deutsche Volk zu sagen über seine Mission, indem es sich als aus den Nachkommen Fichtes, Schillers und der anderen Großen bestehend fühlt? - Es hat zu sagen, daß das, was es heute unternimmt, die äußere Verkörperung für seine geistige Mission ist, und daß es unmöglich ist, nicht für diese einzutreten. Mit allen Fasern muß der, der innerhalb des Volkes steht, fühlen: Das muß geschehen. - Und es gibt keine Möglichkeit, daß jemand, wenn man scharf herausschält, was aus dem deutschen Volk heraus zu geschehen hat, dies als Attacke bezeichnet. Die Attacke, der Angriff auf das andere Volk beginnt erst, wenn man anfängt zu schimpfen über das andere Volk. Das sind Dinge, die heute ganz besonders tief verstanden werden müssen: Das positive Eintreten für das, was das Wesen eines Volkes ist, bedeutet im Grunde genommen nichts anderes als das, was sich vergleichen läßt in dem individuellen Bewußtsein mit der Tatsache, daß man ja nur für seinen eigenen Körper sorgen kann, daß er möglichst in Ordnung ist, und nicht in derselben Weise für einen anderen Körper.

Ich bitte Sie, merken Sie, daß hier etwas Richtunggebendes für das Urteil vorliegt, das wir aus den Quellen der Geistesforschung heraus gewinnen können.

Und wenn wir hineinschauen in das Weben und Wesen der Volksseelen und das, was dahinter ist, hinter dem schauen, was sich äußerlich abspielt, wird, möchte ich sagen, für den Geistesforscher gerade heute die Sache recht sehr ernst, ganz außerordentlich ernst. Aber es geziemt sich auch dieser Ernst unserer Zeit, und es hängt gewissermaßen die Tatsache, daß wir die größten kriegerischen Ereignisse gesehen haben, zusammen mit der großen Forderung der Zeit, nun eine Kultur zu begründen, die mit dem rechnet, was hinter dem SinneS-

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Schleier liegt. Und diejenigen werden im rechten Sinne gerade das beurteilen, was sich in der äußeren Welt heute abspielt, welche in den äußeren Ereignissen etwas wie Zeichen, wie gewaltige Weltsymbole sehen für das Heraufdämmern eines ganz Neuen in der Menschheitsentwickelung.

Ich sagte: Nicht nur, daß der Verstand und seine Vorurteile sich in dem Menschen auflehnen gegen das, was Geisteswissenschaft über die übersinnliche Wesenheit hinter den äußeren Dingen zu sagen hat, sondern das Gemüt, die Willensimpulse lehnen sich auf. Sie wollen es nicht, weil die Seele sich umarten muß und über vieles anders fühlen und empfinden muß. - Das sagte ich. Ja, das ist auch so eine Wahrheit. Wir schlafen nämlich nicht nur in der Nacht, wir schlafen teilweise auch bei Tag, nur daß in der Nacht unsere Begierde zum physischen Leib so stark ist, daß sie wie ein Nebel unseren astralischen Leib und unser Ich durchzieht und unser Bewußtsein herabdämpft. Wenn wir nun mit demselben astralischen Leib und demselben Ich nach der Befriedigung der Begierde in unseren physischen Leib hinunterziehen, dann wird das, was wir da als Bewußtsein entwickeln, durchflutet von den Einflüssen der Volksseele und da wird wiederum das Bewußtsein durchsetzt, so daß da unten, trotzdem wir glauben, recht wach zu sein, immer etwas schläft in uns. Im Grunde schläft immer etwas in uns, und schon das ist in uns ein Schlaf, wie die Volksseele in uns hereinwirkt, denn das geschieht ja nicht mit demselben Bewußtsein, mit dem wir unsere tagwachen Urteile fällen. Und zu diesem, zu dem Schlaf des Tages, der nur verdeckt wird durch das gewöhnliche Bewußtsein, zu diesem gehört auch das Herüberwirken der Volksseelen von den anderen Nationen. Sie wirken doch in einer gewissen Weise wiederum hinein in das schlafende Menschengemüt und bringen allerdings andere Erscheinungen hervor als im Schlafe, aber sie bringen Erscheinungen auf dem physischen Plan hervor.

Während zum Beispiel das deutsche Volk eine Entwicklungslehre durch Goethe gehabt hat, die aus dem tiefsten Inneren des deutschen Wesens selber kam, hat es diese unbeachtet gelassen und den Darwinismus entgegengenommen. Wie das italienische Volk die Empfindungsseele zu entwickeln hat, das französische die Verstandesseele, das eng-

lische die Bewußtseinsseele, so hat der Deutsche das Ich zu entwickeln, und vieles wird verständlich im Wesen des deutschen Volkes, wenn man fühlt und ins Auge faßt, wie alles, was deutsche Kultur ist, aus dem Ich hervorquillt. Dieses Verbundensein des Ich mit den heiligsten geistigen Gütern, es ist ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Menschen.

An einer Erscheinung zeigt es sich ganz besonders stark. Wenn wir die okkulten Wahrheiten selber nehmen und nach dem Westen hinüberschauen: die äußere Kultur hat wenig Zusammenhang mit dem, was als Mystik, als Okkultismus auftritt. Es sind eigentlich immer zwei nebeneinander gehende Strömungen. Man wird nicht leicht in den gewöhnlichen Buchhandlungen in Paris zugleich etwas finden, was zusammenhängt mit dem Okkultismus; da muß man zu anderen gehen, die das eben hinstellen. Nun sehen wir, wie es in dem Deutschen liegt, alles aus dem Ich herauszuholen, wie der Deutsche den Jakob Böhme hat, wie die deutsche Kulturentwickelung nicht zu denken ist ohne diesen okkulten Einschlag. Denken wir an Goethe und Lessing. Da fließen nicht zwei Strömungen nebeneinander, sondern da ist ein Strom, da ist wirklich das Leben durchsetzt und durchdrungen vom Geistigen, da kann man nicht mit der materialistischen Anschauung gehen, daß sich der Christus jetzt noch verkörpert in einem physischen Menschen, wie es vom «Stern des Ostens» propagiert wird. Daher ergab sich — wie sich der heutige Antagonismus ergab zwischen Deutschland und England - die Notwendigkeit, mit der man nicht warten durfte, bis sie der Krieg herbeiführen würde: das, was deutscher Okkultismus ist, reinlich zu sondern von dem, was englischer Okkultismus ist. Und vielleicht wird der eine oder der andere nun nachdenken, warum jene Spaltung notwendig geworden ist. Ich wollte aber damit nur einen Hinweis geben. Denn es kann wirklich mancher eine Art von Urbild sehen in der Zusammenstellung von Tatsachen, der Rechtfertigung von Tatsachen, wenn er heute die Briefe nimmt von Grey und Annie Besant: Die Art und Weise, zu beweisen, die Dinge zusammenzustellen, hat eine große Ähnlichkeit bei beiden. Aber ich wollte damit nur darauf hinweisen, wie das, was aus dem deutschen Volk hervorgeht, mit der innersten Seele zusammenhängt.

Wenn der Deutsche wach ist, so hält er es zum Beispiel - ich sage das als Tatsache, ohne Sympathie oder Antipathie - mit der tiefen Entwicklungslehre Goethes, der die Reihenfolge der Organismen hingestellt, aber den Impuls zur Anordnung aus dem tiefsten Inneren des Ich hervorgeholt hat. Aus der Bewußtseinsseele heraus hat es ein halbes Jahrhundert hernach Darwin wiedergegeben, aber mit materialistischem Anstrich. Da hat es die Welt leichter verstanden, auch die deutsche Welt hat lieber die Evolutionslehre in darwinistischer Färbung als in Goethescher Färbung aufgenommen. Goethe hat sogar aus der Tiefe des deutschen Wesens heraus eine Farbenlehre begründet; die Physiker sehen sie heute noch immer als Unsinn an, denn die äußere Welt hat die Farbenlehre Newtons angenommen. Wann wird statt der Goetheschen Entwicklungslehre und Farbenlehre die Darwinistische und Newtonsche genommen? Dann, wenn innerhalb des deutschen Volkes die Menschen schlafen und die andere Volksseele einwirken kann. Da haben wir dieses Schlafen mitten im Wachen. Und wenn dann die Leute aufgerüttelt werden, dann verkennen sie noch die Sache, dann merken sie: da ist etwas nicht richtig -, dann gehen sie und nehmen ihre Schatulle, in der sie die von England gekriegten Orden haben. Die schicken sie zurück und vergessen dabei nur, die englische Färbung der Entwickelungslehre oder die Newtonsche Färbung der Farbenlehre mitzuschicken. Insbesondere könnte man das Beispiel einer gewissen Färbung des Haeckelianismus als ein gutes Rezept verschreiben. Man erlebt da so manche Dinge. So zum Beispiel konnte man es auch noch in diesen Tagen erleben, man konnte hören, daß in einer besondern wissenschaftlichen Gesellschaft in deutschen Städten ein Vortrag gehalten wurde über das, was an internationalem Wesen der Völker gestört worden ist durch diesen Krieg, und wie aufmerksam gemacht wurde auf etwas, was ja, wenn man größere Maßstäbe anlegt, richtig ist, aber nicht, wenn man diejenigen anlegt, die dieser Herr mit seinem gewöhnlichen Professorenverstand anzulegen hat. Geht man von diesen Maßstäben aus, so klingt es einem doch ganz sonderbar entgegen, wenn dieser Herr sagt: Es muß der Internationalismus gleich wieder auftreten, sobald der Krieg vorbei ist, denn sonst würde der Deutsche manches verlieren, und es würde wiederum aufwachen eine

besondere Metaphysik, die der Deutsche vorher entfaltet hat, während er froh ist, daß dieser deutsche Geist mit seiner Neigung zum Übersinnlichen überflutet worden ist von den Völkern, die wenig zum Übersinnlichen neigen. - Das konnte man in diesen Tagen erleben in einem besonderen volkswirtschaftlichen Vortrag: die Furcht vor dem Aufwachen des deutschen Wesens.

Es könnte sehr viel gesagt werden, ich wollte nur das eine und das andere aussprechen über das, was man gewinnen kann, wenn man den allerdings für eine äußerliche Lebensauffassung bitteren, aber doch beseligenden Ernst nimmt, der wie ein Zauberhauch in uns strömt, wenn wir Geisteswissenschaft in ihrer vollen Tiefe nehmen. Dies zu erwägen, zu fühlen, zu empfinden, ist, was uns in unserer Zeit obliegt, und mit solchen Gefühlen dürfen wir diese Zeit überblicken, dürfen uns vereint fühlen mit denen, die draußen stehen und die mit ihrem Blut und ihrer Seele einzustehen haben für das, was das Karma fordert.

So fassen wir zusammen dasjenige, was unsere Erkenntnis und unsere Aufgabe sein soll und was Zuversicht erwecken soll, in die Worte:

Aus dem Mut der Kämpfer, Aus dem Blut der Schlachten, Aus dem Leid Verlassener, Aus des Volkes Opfertaten Wird erwachsen Geistesfrucht -Lenken Seelen geist-bewußt Ihren Sinn ins Geisterreich.

DRITTER VORTRAG

München, 23. März 1915


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