Einleitung
Der Zahnarzt muss seine Patienten aus ethischen Überle-
gungen heraus nach bestem Gewissen und dem aktuellen
Stand des Wissens behandeln. Nachdem verschiedentlich
nachgewiesen wurde, dass zwischen der Aspiration von Bak-
terien aus ungepflegten Mundhöhlen sowie bei Patienten
mit Zahnfleischerkrankungen häufig (beim Kauen, Zähne-
reinigen etc.) auftretenden Bakteriämien einerseits und
Lungen- bzw. Herz-Kreislauf-Erkrankungen andererseits ein
Zusammenhang besteht
18,113
, sind in der Praxis zusätzliche
antibakterielle Maßnahmen nötig. Neuerdings steht auch
fest, dass bereits behandelte Stellen bei Patienten mit Zahn-
fleischerkrankungen (Parodontitiden) oft kurzfristig nach
den quadrantenweisen Behandlungen intraoral wieder von
nicht behandelten Stellen oder Personen im gleichen
Haushalt durch Speichelkontakte reinfiziert werden
9,26,82,133
.
Die auftretenden Rezidive sind bei dem heute weit verbrei-
teten Konzept der quadrantenweisen Behandlung von Pa-
tienten und ohne Einbezug ihrer Lebenspartner verständ-
lich. Allerdings wird durch eine Vorbehandlung mit Anti-
septika die absolute Bakterienanzahl vermindert und damit
die potenzielle Gefahr einer bakteriellen Aspiration sowie das
Ausmaß von Bakteriämien deutlich reduziert. Andererseits
könnte man Reinfektionen mindestens teilweise vorbeugen.
Bei der Wahl der zur Desinfektion geeigneten Mittel wird
der Praktiker sich nach den Produkten ausrichten, deren
Wirkung nachgewiesen ist. Dieser Beitrag soll einen kurzen
Überblick über orale Antiseptika vermitteln sowie neue Mög-
lichkeiten und Indikationen für deren Einsatz aufzeigen.
Antiseptika werden schon seit bald einem Jahrhundert
angewendet. Lister behandelte Wundflächen nach Amputa-
tionen 1860 erfolgreich mit einer 5%igen Karbollösung. Zur
Plaquebekämpfung wurden bereits 1940 Schwermetalle wie
1
Quintessenz 55, 4, 00–00 (2004)
PARODONTOLOGIE
Einsatz von Antiseptika bei der Parodontitisprävention
und -therapie (I)
Ulrich Peter Saxer, Prof. Dr. med. dent.
Klinikleiter, Prophylaxe-Schule Zürich-Nord, Herzogenmühlestraße 20, CH-8051 Zürich
E-Mail: u.p.saxer.pszn@bluewin.ch
Zvonimir Curilovic, Prof. Dr. med. dent.
Speerstraße 18, CH-8942 Obermeilen
E-Mail: z.curilovic@bluewin.ch
Antiseptika, Parodontitisprävention, Biofilm, Plaquekontrolle,
Entzündungshemmung
Orale Antiseptika werden seit mehreren Jahrzehnten eingesetzt. Ihre Wirkung
wurde meist mit mikrobiologischen Tests an einzelnen Bakterien überprüft.
Allerdings erfolgten viele Untersuchungen bezüglich der notwendigen
Konzentration zur „minimalen bakteriellen Hemmung“ (MBI/MBH) und der
bakteriellen Toxizität (MBT) nur in vitro. In der Zahnmedizin wurde erst seit
ca. 1987 erkannt, dass die oralen Bakterien in vivo meist im Biofilm zu finden
sind. Die Ökologie, der Stoffwechsel und vor allem die Hemmung oder gar
Toxizität der Bakterien unterliegen im Biofilm drastischen Veränderungen.
Dadurch sind Konzentrationen der Antiseptika (und Antibiotika) notwendig,
welche wegen der Empfindlichkeit der oralen Gewebe kaum erreicht werden.
Aus diesem Grund wird eine Vielzahl der oral angewandten Antiseptika hin-
sichtlich ihrer Wirksamkeit in der oralen Prävention und Therapie insbesondere
von parodontalen Erkrankungen neu beurteilt. Der Umgang mit Antiseptika
hat sich deshalb verändert. Auf der Grundlage einschlägiger Studien werden
Empfehlungen für die tägliche Praxis gegeben.
Indizes
Zusammenfassung
Q
Cu, Zn und Ag eingesetzt
108
. Eines der heute in der Zahn-
medizin immer noch aktuellen antibakteriellen Mittel zur
Plaquekontrolle, Chlorhexidindigluconat (CHX), wurde be-
reits 1962 von Schroeder et al.
118
beschrieben. Renggli
101
setzte
diese Untersuchungen fort, bevor
Löe und
Schiott
75
und
andere die umfassende Wirkungsweise von CHX ermittel-
ten
2,42,43,69,87
. Ohne Mundhygiene konnten CHX-Spüllösungen
Plaque und Gingivitis praktisch vollständig verhüten. In ver-
schiedenen vergleichenden Untersuchungen erwies sich
CHX immer wieder als das wirkungsvollste antimikrobielle
Mittel in der Mundhöhle
47,77,96,105,120
. In einem 6 Monate
dauernden Versuch verbesserten zwei tägliche 0,2%ige
CHX-Spülungen im Vergleich zu zwei wöchentlichen
0,2%igen Spülungen oder einer täglichen 0,1%igen
Spülung die Gingivitis von Schulkindern erheblich
68
. Eine
einzige Spülung mit einer 0,2%igen CHX-Lösung oder einem
0,2%igen CHX-Gel bewirkte eine deutliche Reduktion der
Spirochäten und der beweglichen Stäbchen
65
.
Viele nachfolgende Untersuchungen in den letzten Jah-
ren haben diese Resultate bestätigt
1,61,66,67,76,116
. Wegen seiner
effizienten Wirkung wurde CHX auch bei Behinderten mit
Erfolg eingesetzt
3
. Nebenwirkungen werden mit Ausnahme
der bekannten Verfärbungen und reversiblen Geschmacks-
störungen nur ganz selten berichtet
38,59
. Zurzeit wird CHX
vor allem in der sekundären Prävention, nach parodontalen
oder chirurgischen Eingriffen sowie vor und nach dem Ein-
gliedern von Implantaten angewendet
54
.
Jenkins et al.
56
zeigten, dass lokale, gezielte CHX-Appli-
kationen direkt an den Zahnoberflächen so gut wirkten wie
Mundspülungen, aber die Nebenwirkungen geringer aus-
fielen. Diese Feststellung sowie die Erkenntnisse über Zu-
sammenhänge zwischen oralen und Allgemeinerkrankungen
eröffneten neue Aspekte (z. B. Spray-Applikation). Beim Ein-
satz von Antiseptika muss heute grundsätzlich unterschie-
den werden, ob supra- oder subgingivale Plaquebakterien
beeinflusst werden sollen und was das eigentliche Ziel der
Applikation ist – die orale oder die allgemeine Gesundheit
und ein unterstützender oder ein therapeutischer Effekt.
Merkmale der parodontalen Infektion
Biofilm
Die dentale Plaque bildet in dichten Lagen mit einer Poly-
saccharid-Matrix, die von den Bakterien produziert wird,
einen Biofilm. In diesem sind Mikroorganismen in einem
Exopolymer an einer festen Oberfläche organisiert. Aerobe
Bakterien an der äußersten Oberfläche des Biofilms konsu-
mieren den Sauerstoff und entziehen ihn dadurch rasch den
inneren Schichten, so dass bereits in Biofilm-Schichttiefen
von 30 bis 40 µm anaerobe Verhältnisse bestehen. Dieser
Umstand wiederum erlaubt es anaeroben Bakterien, auch
in supragingivaler Plaque zu gedeihen. Biofilme sind aus
verschiedenen Gründen von Bedeutung. Einerseits ist es
den Bakterien möglich, sich langsam unter optimalen Be-
dingungen zu vermehren. Andererseits sind die Bakterien
durch eine weitgehend nicht permeable Schicht vor ver-
schiedenen externen Einflüssen wie Antibiotika oder Anti-
septika gut geschützt
123
(Abb. 1). Obwohl die genetische
Zusammensetzung von Bakterien in Biofilmen genau mit
der frei beweglicher Bakterien übereinstimmt, ist ihre bio-
chemische Struktur im Vergleich zu den so genannten
Swimmern sehr verschieden. Bis zu 40 % der Zellwandpro-
teine unterscheiden sich von frei beweglichen Bakterien.
Auch aus diesem Grund werden „Biofilm-Bakterien“ von
Antibiotika kaum erreicht. Gegenüber Desinfektionsmitteln
sind Biofilme ca. 150- bis 200.000-mal resistenter
134
.
Untersuchungen haben gezeigt, dass Bakterien, die üb-
licherweise von CHX beeinflusst werden,
resistent werden
können
78
, was auch für Povidone-Jod
7
nachgewiesen wurde.
Um diesen Effekt zu umgehen, ist es wichtig, die Biofilme
primär durch mechanische Interventionen, vorzugsweise
durch Schall- und Ultraschalleinsatz, zu zerstören. Eine grö-
ßere laminäre Strömung reduziert das Ausmaß der Biofilme
deutlich, was durch die verbesserten entzündlichen Ver-
hältnisse nach Einsatz von Irrigatoren nachgewiesen ist
29,140
.
Bähni et al.
14
eliminierten sowohl mit Schall als auch mit
Ultraschall Bakterien in Taschen nach einem kurzen Einsatz
um 80 bis 90 %. Subgingival verabreichtes Tetracyclin pene-
triert nach Ciancio et al.
28
nur ungenügend in subepitheliales
Bindegewebe, während
Stabholz et al.
128
mit
Tetracyclin kurz-
fristig sehr gute Resultate erreichten. Actinobacillus actino-
mycetemcomitans (A. a.) ist ein ins Gewebe eindringender
Keim, der durch Povidone-Jod subgingival kaum, meist aber
durch selektionierte Antibiotikagaben reduziert werden
kann
125,137
.
Parodontopathogene Bakterien in Furkationen oder
Wurzeleinziehungen können häufig durch mechanische
Instrumente nicht erreicht werden
83,100
, eventuell aber durch
nachfolgendes intensives Spülen mit Antiseptika. Grundsätz-
lich stellt sich die Frage, ob die verschiedensten therapeuti-
schen Maßnahmen bei fortgeschrittener Parodontitis den
Taschenfundus tatsächlich erreichen
123
. Allerdings muss er-
wähnt werden, dass sich einzelne
Bakterien der Gewebe-
flüssigkeit entziehen, indem sie vorübergehend in Epithel-
zellen
97
oder Dentinkanälen
4
Zuflucht suchen. Die gezielte
kombinierte Anwendung von Antiseptika ist in diesem Zu-
sammenhang noch zu wenig erforscht.
Zahnmediziner müssen sich bewusst sein, dass Antibio-
tikabehandlungen unter Umständen über längere Zeit durch-
zuführen sind, um Bakterien wirklich zu unterdrücken
126,127
.
2
Quintessenz 55, 4, 00–00 (2004)
PARODONTOLOGIE
Einsatz von Antiseptika bei der Parodontitisprävention und -therapie (I)